Baukräne sind auf der Baustelle des neuen Stadtquartiers Kolbenhöfe in Hamburg-Ottensen zu sehen.

Plan gegen Wohnungskrise Grüne stellen Bedingungen für "Bau-Turbo" 

Stand: 10.10.2024 14:10 Uhr

Mit dem "Bau-Turbo" will Kanzler Scholz dringend benötigten Wohnraum schaffen. Doch einer der Koalitionspartner stemmt sich gegen das Projekt, das heute in den Bundestag geht: Die Grünen befürchten falsche Anreize.

Von Oliver Neuroth, ARD-Hauptstadtstudio

Mit markigen Begriffen für Gesetze und Vorhaben hat es die Bundesregierung bekanntlich. Den Paragrafen 246e des Baugesetzbuchs zum Beispiel nennt sie "Bau-Turbo". Im Sinne von: Wir gehen die Wohnungskrise jetzt besonders schnell an.

Vor gut einem Jahr war es Bundeskanzler Olaf Scholz persönlich, der dieses Programm auf einem Spitzentreffen von Baubranche und Politik verkündete. Der "Bau-Turbo" sollte Teil eines 14-Punkte-Plans sein, um die Bau- und Immobilienwirtschaft zu fördern und möglichst schnell für mehr neuen Wohnraum zu sorgen.

Konkret geht es dabei um Städte und Gemeinden mit einem angespannten Wohnungsmarkt, in denen die Nachfrage nach Wohnungen deutlich größer ist als das Angebot. Damit dort mehr Wohnraum entstehen kann, schränkt der "Bau-Turbo" den Einfluss von Bezirks- und Gemeinderäten ein. Bauprojekten von mehr als sechs Wohnungen sollen sie nicht mehr zustimmen müssen. Das Ziel: weniger Bürokratie, mehr Tempo beim Bauen. 

Grüne Ministerien stimmten zu

Dieser "Bau-Turbo" passierte das Bundeskabinett. Sprich: Alle Ministerinnen und Minister der Ampelkoalition stimmten der entsprechenden Änderung des Baugesetzbuches zu. Auch die Ressortchefs der Grünen. Doch nun ist es die Grünen-Bundestagsfraktion, die den "Bau-Turbo" im parlamentarischen Prozess ausbremsen will.

Sie befürchten, dass das Programm falsche Anreize setzt. "Unternehmen, die auf Gewinne aus sind, profitieren besonders von diesem Paragrafen. Es profitieren nicht die Menschen, die bezahlbaren oder sozialen Wohnraum suchen. Aber den brauchen wir dringend", sagt die baupolitische Sprecherin Christina-Johanne Schröder im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Nach ihren Worten droht ein Szenario, in dem die letzten Parks und Spielplätze in Stadtvierteln mit Luxusimmobilien bebaut werden.

Genau das hält auch ein Bündnis aus 20 Verbänden für denkbar, darunter ist der DGB, der Deutsche Mieterbund und die Architektenkammer. Sie kritisieren: Durch den "Bau-Turbo" würden demokratische Beteiligungsprozesse in Städten und Gemeinden beschnitten. Das Bündnis nennt das Programm "rechtlich fragwürdig".  

Bauministerium teilt die Befürchtungen nicht

Das SPD-geführte Bundesbauministerium wehrt sich gegen die Vorwürfe. Das Vorhaben erlaube die schnelleren Genehmigungsverfahren nur "in erforderlichem Umfang", erklärt ein Ministeriumssprecher auf ARD-Anfrage. Er spricht vom Verhältnismäßigkeitsprinzip. Das Ministerium erwartet, dass es in den parlamentarischen Beratungen um die sogenannte soziale Infrastruktur in Stadtvierteln gehen wird - also Schulen, Kindergärten und Spielplätze - und die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass sie nicht wegfällt.

Der baupolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Daniel Föst, weist auf ein Vetorecht der Kommunen hin. Das sei klar im betreffenden Paragrafen 246e des Baugesetzbuchs formuliert. Dadurch könnten Städte und Gemeinden letztlich verhindern, dass soziale Infrastruktur einem bestimmten Bauprojekt weichen müssten, sagt Föst im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Außerdem sei der "Bau-Turbo" befristet bis zum Jahr 2027. 

Genau diesen Punkt kritisiert die Opposition. "Die Ministerin bleibt auf halber Strecke stehen", erklärt Jan-Marko Luczak, der baupolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. Er wünscht sich den "Bau-Turbo" in noch ausgeprägterer Form. Die Schaffung von Wohnraum müsse bundesweit und für einen längeren Zeitraum erleichtert werden, sagt Luczak, um der Baubranche die nötige Planungssicherheit zu verschaffen - mit Blick auf die dramatische Lage beim Wohnungsbau. 

Grüne wollen Mieterrechte im Gegenzug stärken

Ein unbefristeter "Bau-Turbo" wäre wohl ein Albtraum für die Grünen. Sie wollen dem Programm in der bisherigen Form im Bundestag nur zustimmen, wenn es zu einem Deal kommt. Die Partei stellt die Bedingung, dass die Rechte von Mieterinnen und Mietern gestärkt werden. Zum Beispiel fordern die Grünen eine Verlängerung der Mietpreisbremse bis zum Jahr 2029. Und sie wollen an die sogenannte Kappungsgrenze ran: Mieten sollen innerhalb von drei Jahren höchstens um elf Prozent steigen dürfen.

Schröder, die baupolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, verweist darauf, dass diese Punkte im Koalitionsvertrag festgeschrieben sind. Und sie greift Bundeskanzler Scholz mit deutlichen Worten an: "Ein Kanzler, der als Mieten-Kanzler für sich geworben hat, muss liefern. Und das tut die SPD aktuell nicht", sagt Schröder im ARD-Interview. Der nächste Ampel-Ärger ist da. Und diesmal sind es die Grünen, die klare Forderungen stellen.