Gillamoos in Abensberg Aiwanger überall
Der politische Frühschoppen beim Gillamoos im niederbayerischen Abensberg ist in der bayerischen Landespolitik ein Pflichttermin - im Wahljahr besonders. Aiwanger und die Flugblatt-Affäre dominieren die Debatte.
An einem kommt heute niemand vorbei: Hubert Aiwanger. Der Vorsitzende der Freien Wähler blickt von zahlreichen Plakaten zu den Passanten. Der Weißbierstadel, in dem er heute auftreten wird, liegt gleich am Eingang des Festgeländes. Ein Lautsprecher steht direkt am Eingang. Den Ton haben die Freien Wähler voll aufgedreht.
Aiwanger dominiert den heutigen Tag. In den kommenden Stunden wird er überall irgendwie dabei sein, zusammen mit Bierdunst und Hähnchen-Geruch durch die Zelte wabern.
Ton für den Wahlkampf-Endspurt gesetzt
Der Gillamoos im niederbayerischen Abensberg hat Tradition. Seit 1313 gibt es das Volksfest, das sich selbst lieber als "Jahrmarkt" bezeichnet. Und montags kommt immer die Politik in die Festzelte, bekommt eine Bühne und die Gelegenheit zum Schlagabtausch.
Schon in normalen Jahren ist der Gillamoos ein Garant für Aufmerksamkeit. In diesem Jahr ist er das umso mehr - fünf Wochen vor der Landtagswahl und einen Tag nach der Entscheidung von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, an seinem Vize Aiwanger trotz der Flugblatt-Affäre festzuhalten.
Eine Belastung für Söder
Um 9.45 Uhr stellt sich CSU-Chef Söder für den Festzug auf. Die Blaskapelle spielt. Er lächelt und winkt. Dann spricht er über seine üblichen Themen: die Ampel, den Wiedereinstieg in die Atomkraft, den Länderfinanzausgleich, die Pflicht zum Gendern. Aiwanger erwähnt er nicht. Die Flugblatt-Affäre soll seinen Wahlkampf nicht mehr belasten.
Die vergangene Woche war nicht leicht für Söder. Der Druck aus dem Bund und von der Opposition in Bayern war groß, sich klar von Aiwanger zu distanzieren. Dieser sei nicht mehr haltbar und habe dem Ansehen Bayerns geschadet, so die Haltung auf der einen Seite. Auf der anderen Seite liegen die Vorwürfe mehr als 35 Jahre zurück, nicht alles war und ist erwiesen - und eine Entlassung hätte womöglich CSU-Anhänger zu den Freien Wählern getrieben. Söder hat sich gestern dafür entschieden, an seinem Vize festzuhalten. Es war der einfachere Weg.
Allerdings: Er hat seine politische Zukunft damit auch ein Stück weit mit Aiwanger verbunden. Vergreift der sich einmal im Ton, wird Söder sich die Frage anhören müssen, ob er richtig entschieden hat. Wie Aiwanger heute auftritt, dürfte er deswegen besonders aufmerksam verfolgt haben.
Lange Schlange vor Aiwanger-Rede
Aiwanger tritt zwei Zelte weiter auf. Schon am Morgen, als es bei den meisten Parteien noch fast leer ist, steht vor dem Weißbierstadl eine Schlange, gut hundert Meter lang. Die Affäre um das Flugblatt hat Aiwanger zumindest bei seinen Anhängern nicht geschadet. Im Gegenteil. Am Eingang steht ein Mann mit einem T-Shirt: "Steht zu Aiwanger in der Not, sonst ist unser Bayern tot."
Drinnen haben zwei Frauen spontan einen Stand eröffnet. Plakate mit dem Aufdruck "#Wirhaltenzam" stehen dort. Seit 15 Jahren sei sie Fan von Hubert Aiwanger, sagt eine der beiden Frauen. Er sei den anderen zu stark gewesen, deswegen habe es die Vorwürfe gegeben.
Als wäre nichts gewesen
In den vergangenen Tage hatte sich Aiwanger immer wieder als Opfer eine Kampagne und einer "Hexenjagd" inszeniert. Reue und Demut war dabei einigen zu kurz gekommen. Und heute? Um 11.04 Uhr tritt Aiwanger auf die Bühne und spricht, als wäre nichts gewesen. Über das Heizungsgesetz, das Selbstbestimmungsgesetz, Vorhaben, "die man als Normalbürger nicht verstehen kann", sagt er.
Es brauche eine geordnete Zuwanderungspolitik. Und früher, wenn man bei einem Bäcker Kakerlaken gefunden habe, dann wäre die Bäckerei geschlossen worden. "Jetzt sagt man, das gehört zum guten Ton, wenn da was im Brötchen ist." Die Freien Wähler seien diejenigen, die das Kind noch beim Namen nennen, behauptet Aiwanger.
Es ist eine typische Aiwanger-Rede. Allerdings: Er scheint sich heute etwas zurückzuhalten. Keine Provokation wie im vergangenen Jahr, als er zusammen mit Winnetou aufgetreten ist. Keine Formulierungen wie "Ihr habt den Arsch offen". Keine Kommentare dazu, dass sich eine schweigende Mehrheit die Demokratie zurückholen müsse.
Und vor allem: Kein Kommentar zum Flugblatt und den Vorwürfen der vergangenen Woche. Aiwanger will aus der Schusslinie und das Thema hinter sich lassen.
Opposition greift Aiwanger und Söder an
Es sind zwei Fronten, die beim politischen Frühschoppen sichtbar werden. Denn die Opposition treibt die Flugblatt-Affäre weiter. Obwohl Sachthemen dadurch in den Hintergrund treten, kommen Vorwürfe gegen Aiwanger und Söder in jeder Rede vor: Der SPD-Landesvorsitzende Florian von Brunn bezeichnet den Freie Wähler-Chef als "rechtspopulistischen Geisterfahrer", der nicht länger die Hände am Lenkrad Bayerns haben dürfe. Für AfD-Spitzenkandidatin Katrin Ebner-Steiner ist Aiwanger ein "Bierzelt-Tiger, der als Schmusekätzchen bei Söder auf dem Arm landet".
Martin Hagen von der FDP nennt das Flugblatt "niederträchtig" und den jungen Hubert Aiwanger "ideologisch verirrt". Grünen-Spitzenkandidat Ludwig Hartmann stellt fest: "Söder und Aiwanger stehen für alles, außer für Bürgerlichkeit und Anstand."
Affäre überlagert andere Wahlkampfthemen
Die Grünen-Anhänger johlen am Ende. Sie klopfen auf die Tische und stampfen mit den Füßen. In nicht einmal drei Stunden ist in Abensberg klar geworden: Die Fronten sind verhärtet. Zwischen der Regierung, die das Thema abhaken will, und der Opposition, die es weiter vorantreibt. Und in der Bevölkerung zwischen Aiwanger-Anhängern und -Gegnern.
Eine Frau sitzt bei den Grünen am Rand eines Tischs. Die Stimmung sei so aggressiv, klagt sie. Und die Unterstellung, dass alles eine Kampagne sei: "Das macht mich traurig."
Neben ihr sitzt ein älterer Herr. "Ich werde für die Freien Wähler stimmen", sagt er. Die Frau nimmt ihre Tasche und geht.