Berlins neuer Bürgermeister Wegner Amtsantritt mit blauem Auge
Drei Wahlgänge brauchte Kai Wegner, um neuer Regierender Bürgermeister zu werden. Weil die neue Koalition gleich zu Beginn uneins war, lag am Ende ein Schatten über seiner Wahl. Schwarz-rot startet mit einem schweren Patzer. Ein Kommentar von Sebastian Schöbel
Seit Jahren hatte Kai Wegner auf diesen Moment hingearbeitet: das Rote Rathaus übernehmen. Die Sondierungsgespräche führte er am Euref-Campus in Schöneberg - dort, wo er einst seine Kandidatur für den CDU-Parteivorsitz bekanntgegeben hatte. Symbolpolitik eines Mannes, der sich sprichwörtlich vom Rand der Stadt, aus Spandau, ins Machtzentrum vorgearbeitet hat.
Wegner hat parteiinterne Konkurrenten wie Monika Grütters ausgestochen, sich die CDU zurechtgelegt und am Ende die historische Wiederholungswahl mit einem bewusst zugespitzten Wahlkampf genutzt, um ausgerechnet im rebellisch-linken Berlin die Christdemokraten zur Protestpartei zu machen.
Bis zum 27. April 2023, dem Tag seiner Wahl zum Regierenden Bürgermeister im Berliner Abgeordnetenhaus, hatte Kai Wegner alles richtig gemacht.
Erste niedrige Hürde bereits gerissen
Und nun startet er politisch schwer beschädigt in eine Rest-Legislatur, an der Seite eines offenbar unzuverlässigen Partners, überschattet vom Malus des "Bürgermeisters von AfD-Gnaden".
Dass es so weit kommen konnte, verdankt die schwarz-rote Koalition einer bemerkenswerten Verkettung von politischen Fehlern: Ausgerechnet die beiden Parteien, die dem Chaos der Stadt mit Berlin-untypischer Effizienz und beinahe langweiligem Pragmatismus zu Leibe rücken wollten, reißen bereits die erste, vergleichsweise niedrige Hürde.
Sie zwingen ihren Senatschef in einen dritten Wahlgang, in dem am Ende nicht klar ist, ob die einfache Mehrheit nur dank Stimmen der AfD zustande kam.
Offene Rechnungen von früher?
Dass Wegner im ersten Wahlgang scheitern würde, war sogar schon im Zeitplan eingepreist: Viele SPD-Abgeordnete brauchten erwartungsgemäß die Chance, wenigstens einmal ihren Unmut über die umstrittene Koalition zu Protokoll zu geben, mit einer Nein-Stimme.
Wegner räumte hinterher sogar ein: Selbst in seiner eigenen CDU-Fraktion gab es wohl Abweichler - ein paar offene Rechnungen von früher vielleicht, oder die Enttäuschung, bei der Postenvergabe leer ausgegangen zu sein. Doch spätestens im zweiten Wahlgang hätte es klappen müssen. Tat es aber nicht, weil eine Stimme fehlte. Im dritten Wahlgang nutzte dann die AfD ihre Chance: Mit der kaum zu widerlegenden Behauptung, Wegner gewählt zu haben.
Können sich CDU und SPD überhaupt trauen?
Die verzweifelten Beteuerungen und Rechennachweise der beiden Koalitionäre, am Ende doch zusammengestanden zu haben, verpuffen: Wie Wegner am Ende auf 86 Stimmen kam, wird man wohl nie endgültig klären können. Der Zweifel aber bleibt und hängt nun über der gesamten Koalition. Können sich CDU und SPD überhaupt trauen? Wohl kaum, wenn man sich nach solch einem Debakel die Schuld gegenseitig in die Schuhe schiebt, was natürlich umgehend geschah.
"Das Beste für Berlin" hat Schwarz-Rot versprochen. Das Vertrauen in die Politik wollte man nach dem Wahldebakel von 2021 wiederherstellen. Geliefert haben beide Parteien bei der erstbesten Gelegenheit nun aber erst mal Verantwortungslosigkeit. Für eine Stadt, die vor enormen Herausforderungen steht, ist das keine gute Voraussetzung.
In einer früheren Version dieses Kommentars war von einer "Mitte-Rechts-Koalition" die Rede. Das haben wir geändert.
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