Berlin-Wahl Eine Stadt wählt das Patt
Die CDU gewinnt die Wahl in der Hauptstadt, hat aber vorerst keine Regierungspartner. Die SPD verliert haushoch, will aber nicht weichen. Viele Berliner wiederum haben eigentlich auf gar keine Regierung Lust.
Drei Spitzenkandidaten, die alle ihre jeweiligen Wahlkreise verlieren. Eine Regierende Bürgermeisterin, die ihre Partei zum schlechtesten Wahlergebnis in der Berliner Geschichte führt. Und ein geradezu vernichtendes Urteil der Wählerinnen und Wähler über die kurze Regierungszeit des amtierenden Senats.
Auf dem Papier ist das Ergebnis der Berliner Wiederholungswahl eindeutig eine rot-grün-rote Niederlage. Nach nur gut einem Jahr Regierungszeit hat SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey ihr bereits historisch mieses Wahlergebnis von 2021 noch einmal verschlechtert.
Zumal es andererseits einen klaren Sieger gibt. Die CDU hat in einem kurzen, aber intensiven Wahlkampf offenbar nicht nur auf die richtigen Themen gesetzt, sondern auch den passenden Ton getroffen: den der Wut auf eine Stadt, die nicht zu funktionieren scheint. Dass sich CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner dabei den Vorwurf anhören musste, mit aggressiver Rhetorik vor allem nach der Silvesternacht zu spalten, wird ihm egal sein. Die Suche nach einer neuen Regierung, so Wegner, könne nur mit ihm und den Christdemokraten beginnen.
Doch in Wirklichkeit ist dieses Wahlergebnis wie so vieles in Berlin: komplizierter, als man denkt.
Nicht einmal ein Drittel wünscht sich Schwarz-Rot
"Berlin hat den Wechsel gewählt", hatte Wegner unter Jubel am Wahlabend verkündet. Tatsächlich aber lehnen die Berlinerinnen und Berliner mehrheitlich jede seiner noch möglichen Koalitionsoptionen ab. Nicht einmal ein Drittel der Bevölkerung wünscht sich eine CDU-SPD-Koalition, und noch viel weniger Zuspruch hätte ein schwarz-grünes Bündnis. Wegners CDU wollten überhaupt nur 36 Prozent der von infratest dimap Befragten an der Spitze der nächsten Berliner Regierung sehen. Dass die Regierungsparteien bei dieser Frage noch schlechter abschneiden, ist ein schwacher Trost.
Es klingt paradox, aber die Berlinerinnen und Berliner sind höchst unzufrieden mit dem rot-grün-roten Senat - wollen aber auch keinen anderen. So konnte Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch am Wahlabend selbstbewusst verkünden: "Die jetzige Regierungskoalition hat eine klare und stabile Mehrheit."
Kaum ein Thema trennt so sehr wie die Verkehrspolitik
Wobei auch diese Aussage nur die halbe Wahrheit ist. Denn ein Blick auf die politische Karte Berlins zeigt: Die Bundeshauptstadt ist tief gespalten. Während innerhalb des S-Bahn-Rings mehrheitlich grün gewählt wird, dominiert außerhalb des Rings die CDU. Und kaum ein Thema trennt diese beiden Welten so sehr wie die Verkehrspolitik: Radfahrer der Innenstadtkieze gegen Autofahrer in den Randbezirken. Während die einen über den Klimawandel reden und auf den ÖPNV schwören, stehen die anderen täglich im Stau, weil Bus und Bahn wegen fehlender Verbindungen oder Dauerbaustellen für sie keine Option sind.
Diese Spaltung Berlins in zwei zum Teil sehr gegensätzliche Welten macht die Bildung einer Regierung erheblich schwerer, vor allem für CDU und Grüne. Schon die Frage, ob die Autobahn 100 bis in den Berliner Nordosten verlängert werden soll, könnte eine schwarz-grüne Koalition zerbrechen lassen.
Die SPD als Juniorpartner der CDU?
Mit der SPD wiederum hat die CDU zwar deutlich mehr Gemeinsamkeiten, vor allem beim in Berlin so wichtigen Wohnungsbau. Doch es darf bezweifelt werden, dass sich die Sozialdemokraten zum Juniorpartner degradieren lassen - erst recht nicht nach den schmerzhaften GroKo-Erfahrungen der Vergangenheit.
Allerdings wird auch viel abhängen von der Frau, die Berlins erste Regierende Bürgermeisterin ist und bleiben will. "Ein Jahr ist kurz, wenn man drei Krisen gleichzeitig bewältigt und eine Wahlwiederholung hat", sagte die sichtlich erschöpfte SPD-Spitzenkandidatin in der Wahlnacht. Corona-Krise, Flüchtlingskrise, Energiekrise: Normalität hat der rot-grün-rote Senat seit der vermasselten Wahl 2021 tatsächlich kaum erlebt.
So desaströs, wie das Wahlergebnis es vermuten lässt, ist die Bilanz des Giffey-Senats auch gar nicht: Der Wirtschaft geht es immer besser, die Flüchtlingskrise hat man bislang erstaunlich gut gemeistert und die Hilfsmaßnahmen für Haushalte und Unternehmen, die ihre Energiekosten nicht mehr zahlen können, kamen in Berlin schneller als anderswo. Das von Giffey durchgesetzte 29-Euro-Ticket findet reißenden Absatz, und sogar die Reform der notorisch überlasteten Berliner Verwaltung kommt voran - wenn auch nur langsam.
Ob das für Giffey reicht, um noch einmal ihren Führungsanspruch durchzusetzen, ist jedoch fraglich. Letztlich hängt die Fortführung der rot-grün-roten Koalition auch daran, ob Franziska Giffey persönliche Konsequenzen aus dem Wahldebakel zieht.
Leicht wird die Regierungsbildung in Berlin nach der Wiederholungswahl jedenfalls nicht. Wie lange sie dauert, kann auch niemand vorhersagen. Gut möglich, dass noch verhandelt wird, wenn das Bundesverfassungsgericht entscheidet, ob es die Beschwerden gegen die Wahlwiederholung doch noch annimmt.