
Finanzpaket im Bundestag Tag der "historischen Entscheidungen"
Der neue Bundestag ist schon gewählt, da stimmt der bisherige noch über Milliarden-Sonderausgaben ab. Möglich wird das durch eine Parteien-Einigung, die vor der Wahl nicht gelang. Ein ungewöhnlicher politischer Moment.
Der Bundestag debattiert zum zweiten Mal innerhalb von sechs Tagen über Grundgesetzänderungen zur Schuldenbremse - mit zwei milliardenschweren Sondervermögen, eines für Verteidigung sowie eines für Infrastruktur und mehr Verschuldungsspielraum für die Bundesländer.
Die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit hat Merz seit Donnerstag über Verhandlungen mit den Grünen erreicht. Auch im Bundesrat scheint sie zu stehen. So wird der Bundestag auf den letzten Metern der auslaufenden Legislaturperiode noch zum Ort "historischer Entscheidungen", wie viele Rednerinnen und Redner an diesem Tag betonen.
Die SPD kann weiter mitreden
"Warum erst jetzt?", steht einem prominenten Zuhörer der Debatte wie auf die Stirn geschrieben: Es ist der noch amtierende SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz, der von seinem alten Platz an erster Stelle der Kabinettsriege zuhört. Er schaut mit an, was nun möglich wird, in einer für kurze Zeit existierenden virtuellen Koalition aus Union, SPD und Grünen: die Aufnahme neuer Milliardenschulden.
Vor der Bundestagswahl war das mit seinem Koalitionspartner FDP nicht zu machen, weil die Partei die Schuldenbremse nicht antasten wollte. Aber auch die Union war dazu vor der Bundestagswahl in der politischen Zwischenphase nach dem Scheitern der Ampelkoalition im vergangenen November nicht bereit gewesen.
Immerhin, mag Scholz sich denken, hat die SPD weiter mitzureden und bleibt aller Voraussicht nach mit an der Regierung. Für einen kurzen Moment sitzt er nun ganz am Ende seiner Amtszeit noch mit dem ehemaligen Kontrahenten Merz und dem neben ihm auf der Kabinettsbank feixenden, ebenfalls scheidenden grünen Vizekanzler Robert Habeck politisch in einem Boot.
Etwa, als FDP-Fraktionschef Christian Dürr auf dem Verhandlungsführer Merz herumhackt, das schwarz-rote Finanzpaket sei noch mangelhafter geworden, nachdem er mit den Grünen verhandelt habe: "Herr Merz, was Sie hier heute machen, ist ihr ganz persönlicher Green Deal, und er führt Deutschland in die falsche Richtung."
"Startschuss für hemmungslose Schuldenmacherei"
Die FDP wird aufgrund ihres unter der Fünf-Prozent-Hürde liegenden Wahlergebnisses dem Bundestag nicht mehr angehören. Sie nutzt spürbar die Chance, noch einmal wortgewaltig für ihre ablehnende Position zu werben: Die Grundgesetz-Anpassung sei ein "Startschuss für hemmungslose Schuldenmacherei". Der ehemalige Ampel-Koalitionspartner wirbt mit einem eigenen Antrag ausschließlich dafür, zusätzliche Kreditermächtigungen für Verteidigungsausgaben mittels eines Verteidigungsfonds zu beschließen.
Die politischen Lager und Rollen sortieren sich also bereits neu, auch wenn SPD noch kaum bis gar nicht koalitionär-loyal für Unionsredner klatscht - ebenso wenig wie umgekehrt die Union für die Sozialdemokratie. Eine Ausnahme zeigt sich in Person des Verteidigungsministers Boris Pistorius. Der SPD-Politiker schafft es mit seinem Plädoyer für mehr Ausgaben in Sicherheit wie in Infrastruktur, auch Applaus aus dem Lager der Grünen und der Union im Plenum zu erhalten.
Pistorius versucht, die Dringlichkeit deutlich zu machen. Die heutige Abstimmung dulde keinen Aufschub: Ab jetzt gelte, dass "Bedrohungslage vor Kassenlage" stehe. Er reagiert auch auf die FDP-Kritik vehement: "Wir verkaufen nicht die Zukunft, wie Sie in religiösem Eifer für die Schuldenbremse glauben machen wollen. Wir sichern die Zukunft." Merz scheint es zu gefallen.
Gut vorstellbar, dass Pistorius in der angestrebten künftigen Koalition aus Union und SPD die Rolle des Verbinders und Moderators weiter zukommt. Beim Erstredner, dem SPD-Parteichef und -Fraktionsvorsitzenden Lars Klingbeil, klingen jedoch auch schon die Konfliktlinien der möglichen neuen Koalition an: Für die Modernisierung des Landes und für Bürokratieabbau stehe man zur Verfügung, für den Abbau von Arbeitnehmerrechten jedoch nicht.
Grüne ambivalent
Die Grünen wiederum, die nun die Finanzreform mit ihren Stimmen ermöglichen, positionieren sich bereits neu als kritisch-konstruktive Opposition. Einerseits lässt Co-Fraktionschefin Britta Haßelmann kein gutes Haar an Merz, was dessen bisherige Weigerung für Reformen dieser Art und seinen plötzlichen Sinneswandel angeht. Andererseits zeigt sie sich wohlwollend zufrieden mit dem Ergebnis der schwarz-rot-grünen Verhandlungen: "Ich bin dankbar, dass wir das so miteinander vereinbaren konnten."
Es ist bei dieser zweiten Bundestags-Sondersitzung zum Finanzpaket viel von der "demokratischen Mitte" die Rede, die zusammenhalten muss. Ausgerechnet die CSU, die vor der Wahl mit deftigen Abwertungen der Grünen auffiel, gibt sich jetzt besonders feierlich.
CSU-Landesgruppenchef und Unions-Fraktionsvize Alexander Dobrindt hält eine geradezu präsidiale Rede. Der vorliegende Kompromiss sei "eine gemeinsame Kraftanstrengung aus der Mitte dieses Parlaments" gewesen. Dass der demokratische Grundkonsens so belastbar sei, sei "eine Stärke unserer Demokratie".
Es geht heute um alles. Zumindest für die Unionsparteien und ihren neuen alten Partner SPD.