Beratung im Bundestag Kritik an Anträgen zur Sterbehilfe
Der Bundestag berät erstmals über eine Neuregelung der Sterbehilfe. Drei Anträge liegen auf dem Tisch - an allen gibt es bereits Kritik. Verbände bemängeln vor allem, dass die Suizidvorbeugung zu kurz komme.
Vor der ersten Bundestagsberatung über eine Neuregelung der Sterbehilfe haben Patientenschützer die drei vorliegenden Anträge kritisiert.
Wenn der Bundestag die organisierte Suizidbeihilfe regeln wolle, müsse die Selbstbestimmung der Sterbewilligen gestärkt werden und der Schutz vor Fremdbestimmung gewährleistet sein, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Keiner der drei Gesetzentwürfe kann diesen Ansprüchen gerecht werden."
"Suizidprävention bleibt häufig auf der Strecke"
Die vorgesehenen Pflichtberatungen gingen an der Realität vorbei, sagte Brysch. Es sei "unmöglich, autonome Entscheidungen mit allgemeingültigen Kategorien zu messen", sagte Brysch. Zudem seien die medizinisch-pflegerischen Angebote aktuell nicht ausreichend, um Selbstbestimmung zu stärken und Fremdbestimmung auszuschließen, warnte er. Auch Psychotherapie und Würde wahrende Pflege seien für viele sterbenskranke, lebenssatte oder psychisch kranke Menschen oft unerreichbar.
"Suizidprävention bleibt viel zu häufig auf der Strecke. Das lässt sich auch nicht über Nacht durch ein zusätzliches Suizidpräventionsgesetz ändern", sagte Brysch. Um die Autonomie der Sterbewilligen zu wahren, müsse der Bundestag als Minimalkonsens eine Suizidbeihilfe gegen Geld verbieten.
Darüber hinaus sollte das Handeln des einzelnen Sterbehelfers strafrechtlich in den Fokus rücken. "Sein Tun erfordert höchste Sachkunde und hat zweifelsfrei sicherzustellen, dass der Suizid selbstbestimmt gewünscht wird." Jeder Suizidhelfer habe "persönlich zu garantieren, dass die Entscheidung ohne Einfluss und Druck seitens Dritter zustande kommt".
Drei Entwürfe stehen zur Diskussion
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 das "Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" für nichtig erklärt. Es entschied, dass das Recht auf selbstbestimmtes Leben auch das Recht umfasst, sich das Leben zu nehmen und dabei Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Seitdem können Organisationen, die diese Form der Sterbehilfe anbieten oder vermitteln, legal in Deutschland tätig sein.
Um die Sterbehilfe neu zu regeln, liegen drei fraktionsübergreifend erarbeitete Anträge vor, die am Mittag in erster Lesung im Bundestag beraten werden. Einer der Entwürfe für eine Neuregelung sieht unter anderem ein Verbot geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe sowie bestimmte Auflagen für vorherige Beratungen vor.
Andere Vorlagen sehen liberalere Regelungen vor, setzen allerdings ebenfalls auf bestimmte Auflagen oder Beratungsangebote. Die Anträge müssen auch noch in den Ausschüssen beraten werden. Mit einer Entscheidung des Bundestags wird erst für den Herbst gerechnet.
Fachverbände drängen auf schnelle Präventionsregelung
Neben den Patientenschützern übten auch die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) und der Deutsche Hospiz- und Palliativverband (DHPV) Kritik an den drei vorliegenden Gesetzentwürfen.
Sie bewerteten den Antrag zur Stärkung der Suizidvorbeugung als zu unverbindlich und drängten auf eine schnelle rechtliche Regelung. Das müsse noch vor jeder Neuregelung der Beihilfe zur Selbsttötung geschehen. "Bevor wir eine staatlich geförderte Suizidbeihilfe in Betracht ziehen, geschweige denn gesetzlich verankern, muss dringend die Suizidprävention gestärkt werden", sagte der Vorsitzende des DHPV, Winfried Hardinghaus.
Nach den Worten des DHPV-Geschäftsführers Benno Bolze "verkaufen" die Gesetzvorlagen "eine Sicherheit, die es so überhaupt nicht gibt". Die Gesetze orientierten sich stärker an einer "gesicherten Einstiegsmöglichkeit" und weniger daran, Menschen von einer Selbsttötung abzuhalten, so Bolze.
Mehr Suizide befürchtet
Nach Einschätzung der zwei Fachverbände wird mit einer rechtlichen Regelung die Zahl der Suizide steigen, ohne dass die sogenannten harten Suizide zurückgingen. Dies legten etwa die Entwicklungen in Belgien oder den Niederlanden nahe. Mit der rechtlichen Regelung der Suizidbeihilfe werde erstmals ein geregelter Weg zur Selbsttötung zur Verfügung gestellt, kritisierte die DGS-Vorsitzende Ute Lewitzka.
Der stellvertretende DGS-Vorsitzende Uwe Sperling wies darauf hin, dass Entscheidungen für einen Suizid "meist in großer seelischer Not erfolgen, so nicht mehr weiterleben zu können". Hier seien vor allem Unterstützungsangebote gefragt. Dabei komme der Hospizarbeit und Palliativversorgung eine Schlüsselrolle zu. Die Verbände pochten zudem darauf, es dürfe keine Person oder Organisation dazu verpflichtet werden, an einer Suizidhilfe mitzuwirken.
Auch die Wohlfahrtsverbände der Kirchen, Diakonie und Caritas, fordern ein Gesetz zur Suizidprävention. "Das Parlament muss jetzt gesetzliche Regulierungen gestalten, um zu verhindern, dass Menschen in Erklärungsnot geraten, indem sie sich mit Suizidangeboten konfrontiert sehen", sagte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa. "Ein Suizidpräventionsgesetz ist unbedingt erforderlich und wäre ein starkes gesellschaftliches Zeichen des Parlaments für eine angemessene Balance von Lebensschutz und Selbstbestimmung", erklärte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie.