Politologe zu Lage nach der Wahl Großer Triumph mit Pferdefuß
Für die Wunsch-Koalitionen hat es nicht gereicht. Für Rot-Rot-Grün scheint es zu früh. Jetzt läuft alles auf eine Große Koalition hinaus, meint der Politologe Niedermayer im Interview mit tagesschau.de. Doch ob die bis zum Ende durchhalten würde, ist fraglich.
tagesschau.de: Angela Merkel hat gestern einen bahnbrechenden Wahlsieg errungen. So wirklich glücklich wirkte sie aber nicht, oder?
Oskar Niedermayer: Nein, so richtig genießen konnte sie den Erfolg wohl nicht. Für sie selbst und die Union ist das Wahlergebnis zwar ein riesiger Triumph, die CDU steht so gut da wie seit 20 Jahren nicht mehr. Aber sie hat ihren Koalitionspartner verloren und das trübt die Stimmung natürlich.
Und auch für die meisten anderen Parteien war es kein besonders glücklicher Abend. Kaum einer hatte damit gerechnet, dass die FDP tatsächlich zum ersten Mal nach ihrer Gründung aus dem Bundestag fliegt und nur wenige damit, dass die AfD so stark werden würde. Und auch wenn die SPD etwas zugelegt hat, in Bezug auf die gewünschte Koalition sind die Erwartungen bei weitem nicht erfüllt worden.
tagesschau.de: Mit wem wird Angela Merkel jetzt Gespräche beginnen?
Niedermayer: Ich glaube, dass sie sowohl mit der SPD als auch mit den Grünen sprechen wird. Allerdings bin ich mir relativ sicher, dass es nicht zu einer schwarz-grünen Koalition kommen wird. Selbst wenn sich die Parteispitzen einigen würden - was aufgrund der Neupositionierung der Grünen in Steuerfragen schon sehr fraglich ist - würde ein Koalitionsvertrag an der grünen Basis scheitern. Denn ein Verhandlungsergebnis müsste ja durch einen Parteitag bestätigt werden. Und da die SPD Rot-Rot-Grün im Wahlkampf sehr deutlich und immer wieder ausgeschlossen hat, kann es nur eine Große Koalition geben.
"Die SPD hat keine Wahl"
tagesschau.de: Sollte die SPD sich darauf wirklich einlassen? Nach der letzten Großen Koalition wurde sie ja ziemlich abgestraft.
Niedermayer: Der SPD gefällt diese Option natürlich überhaupt nicht. Das Trauma, das sie nach der letzten Großen Koalition davongetragen hat, wirkt nach. An deren Ende, 2009, erzielte sie ja ihr schlechtestes Wahlergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik. Aber sie hat keine Wahl: Sie wird sich hineinzwängen lassen müssen. Als Alternative bliebe ja nur, sofortige Neuwahlen zu fordern. Dann würde die SPD aber vom Wähler so abgestraft, dass sie gar keine Chance mehr auf irgendeine Machtperspektive hätte.
tagesschau.de: Welche Lehren wird die SPD aus ihrer schlechten Erfahrung mit der Großen Koalition für die Zusammenarbeit mit der Union ziehen?
Niedermayer: Sie wird zunächst versuchen, so viel Sozialdemokratische Politik wie irgend möglich im Koalitionsvertrag unterzubringen. Ich denke auch, dass die Union ihr in verschiedenen Punkten entgegenkommen wird. Andererseits darf die SPD den Bogen in den Verhandlungen nicht überspannen. Denn dann würde sie als die Partei dastehen, die eine Regierung verhindert, die ja von der großen Mehrheit der Bevölkerung gewünscht wird: nämlich eine Große Koalition. Und das kann sie sich auch nicht leisten.
"Krawalliger als bei Schwarz-Gelb wird es nicht"
tagesschau.de: Was trennt Union und SPD heute am meisten?
Niedermayer: Vor allem in der Steuer- und Sozialpolitik gehen die Vorstellungen stark auseinander. Die SPD will ja neue Steuern einführen und andere erhöhen. Die CDU hingegen hat sich darauf festgelegt, dass es keine Steuererhöhungen geben wird. Da wird es sicher am meisten Reibungen geben. Gleichwohl sind bei solchen Themen Kompromisse prinzipiell möglich.
In der Außenpolitik ist die Euro-Krise das beherrschende Thema. Da wird man einen Kompromiss finden müssen, der die soziale Gerechtigkeit stärker betont. Zum Beispiel stärker auf Investitionsprogramme für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in den Krisenländern zu setzen. Oder mehr in die Infrastruktur der Länder zu investieren, statt den reinen Sparkurs fortzuführen.
tagesschau.de: Müssen wir in den kommenden vier Jahren mit einer Großen Krawall-Koalition rechnen?
Niedermayer: Zunächst mal wird es sicher nicht krawalliger werden, als das was wir aus den vergangenen vier Jahren von Schwarz-Gelb gewohnt sind. Die sind ja als Streit-Koalition in die Geschichte eingegangen. Aber natürlich wird sich die SPD anders verhalten als in der letzten Großen Koalition. Sie ist ein wenig nach links gerückt und hat sich so inhaltlich weiter von der Union fortbewegt. Und sie wird sehr stark darauf achten, dass eine sozialdemokratische Handschrift erkennbar sein wird, und sie von Frau Merkel nicht untergebuttert wird.
Aber ich denke, Frau Merkel wird das auch verstehen und Zugeständnisse machen. Und davon abgesehen können sich beide den großen Krawall gar nicht leisten, denn es gibt ja gar keine Alternative.
Unklar, ob Große Koalition bis zum Ende durchhalten würde
tagesschau.de: Sigmar Gabriel wird also mit Angela Merkel vertrauensvoll und in Eintracht zusammenarbeiten? Das kann man sich nur schwer vorstellen.
Niedermayer: Er wird es müssen, zumindest am Anfang. Man kann ja nicht hundertprozentig ausschließen, dass eine Große Koalition vorzeitig platzen würde. Es gibt ja solche Gedankenspiele in der SPD, aber auch bei den Grünen und in der Linkspartei. Wenn der Leidensdruck der SPD im Laufe der Legislaturperiode sehr groß wird, wenn vielleicht auch die Umfragewerte weiter nach unten gehen, könnte es durchaus sein, dass Gabriel die Koalition vorzeitig aufkündigt und sich mit den Stimmen der Grünen und der Linksfraktion zum Kanzler wählen lässt. Wie realistisch das ist, kann man aber noch nicht sagen.
Und das kann natürlich nur funktionieren, wenn die Linkspartei deutlich stärker von den Pragmatikern aus dem Osten dominiert wird als die alte Fraktion und wenn man sich inhaltlich näher käme.
tagesschau.de: Die AfD hat den Einzug in den Bundestag nur knapp verpasst. Welche Zukunft hat diese Partei?
Niedermayer: Sie wird sicher nicht einfach wieder in der Versenkung verschwinden. Sie hat etwas geschafft, was noch nie eine Partei im deutschen Parteiensystem geschafft hat: Nämlich kurz nach ihrer Gründung fast ins Bundesparlament einzuziehen. Das wird ihr weiter Auftrieb geben. Und man darf nicht vergessen: Nächstes Jahr ist Europawahl und da gilt zum einen die 5-Prozent-Hürde nicht. Zum anderen ist bei der Europa-Wahl das Thema der AfD viel stärker im Fokus. Ich könnte mir gut vorstellen, dass sie es schafft, Abgeordnete ins Europäische Parlament zu schicken.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.