Schutz vor Einflussnahme "Verfassungsgericht gerät als Erstes in den Fokus"
Die Erfahrung in anderen Ländern zeigt: Autoritär-populistische Parteien versuchen, auf Verfassungsgerichte Einfluss zu nehmen, sagt der Jurist Steinbeis. Die nun beschlossene Reform sei sinnvoll. Sie hätte aber noch weiter gehen können.
tagesschau24: Ein neues Gesetz soll das Bundesverfassungsgericht für demokratiefeindlichen Einwirkung durch extreme Parteien schützen. Wie wichtig ist das in diesen Zeiten?
Maximilian Steinbeis: Das ist extrem wichtig. Wir sehen in allen ganz vielen verschiedenen Ländern - in Ungarn, in Polen, in ganz vielen anderen vermeintlich stabilen Demokratien -, dass gerade das Verfassungsgericht als Erstes in den Fokus gerät, wenn autoritär-populistische Parteien die Möglichkeit dazu erhalten. Und deswegen bin ich sehr froh darüber, dass jetzt eine Reihe von Szenarien durch Änderungen am Text des Grundgesetzes unmöglich gemacht werden - oder jedenfalls unwahrscheinlich.
"Es geht auch um die Ernennung von Richtern"
tagesschau24: Sie haben jetzt negative Beispiele aus anderen Ländern genannt. Aber ist unser Verfassungsgericht denn seit 75 Jahren nicht ausgewogen, unabhängig und auch stark genug?
Steinbeis: Ja, aber das muss ja nicht so bleiben. Wir sehen in anderen Ländern, wie schnell das gehen kann. Und wie gezielt und strategisch die autoritären Populisten vorgehen, um sich die Verfassungsgerichtsbarkeit zu unterwerfen. Und davor wäre auch das Bundesverfassungsgericht nicht gefeit.
tagesschau24: Reicht es denn, die Vorgaben so zu verankern, dass es eine Zweidrittelmehrheit statt einfacher Mehrheit wie aktuell braucht? Und die Amtszeit beispielsweise der Richter auf zwölf Jahre zu begrenzen?
Steinbeis: Die Zweidrittelmehrheit vorzusehen hat einen guten Grund. Es soll verhindert werden, dass die einfache Mehrheit, die die Regierung stützt, also die Regierungskoalition, aus eigener Kraft heraus die Regeln so manipulieren und verändern kann, dass sie das Bundesverfassungsgericht unterwirft. Da geht es um die Arbeitsweise und um die Organisationsweise des Gerichts.
Aber es geht auch um die Ernennung von Richterinnen. Und da haben wir ein Problem. Im Moment ist es so, dass die Richterinnen am Bundesverfassungsgericht teils vom Bundesrat, teils vom Bundestag jeweils mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden müssen. Aber diese Zweidrittelmehrheit kann mit einfacher Mehrheit abgeschafft werden, weil sie eben nicht im Grundgesetz drinsteht. Und das soll auch weiterhin so bleiben. Das halte ich für eine der Schwächen an dieser Reform.
"Die Chance ist jetzt wahrscheinlich vertan"
tagesschau24: Was wäre Ihr Vorschlag? Was müsste sich noch ändern?
Steinbeis: Ich wäre sehr froh gewesen, wenn es auch gelungen wäre, die Zweidrittelmehrheit, die für die Wahl der Richter in den Bundesverfassungsgericht notwendig ist, direkt im Grundgesetz zu verankern. Das wollte insbesondere die Union nicht, weil sie das Blockade-Szenarien befürchtet. Dass, wenn autoritäre Populisten mehr als ein Drittel der Stimmen im Bundestag haben, sie die Wahl blockieren.
Dafür ist aber auch jetzt schon ein eine Blockade-Lösungsmechanismus vorgesehen, der diesem Szenario seine Brisanz nimmt. Und deswegen halte ich es für sehr bedauerlich, dass diese Absicherung der Zweidrittelmehrheit nicht passiert ist.
tagesschau24: Was muss man aus Ihrer Sicht vielleicht noch tun, um das Bundesverfassungsgericht besser zu schützen?
Steinbeis: Ein weiterer Punkt, der in dieser Reform auch diskutiert wurde, aber zu dem es jetzt nicht kommen wird, ist die Zustimmungsbedürftigkeit bei Änderungen am Gesetz über das Bundesverfassungsgericht durch den Bundesrat. Dass es nicht eine Mehrheit im Bundestag alleine sein kann, die die Regeln für das Bundesverfassungsgericht verändert, sondern dass da die Länderkammer auch zustimmen muss.
Das ist auch insbesondere deswegen wichtig, weil es ja vorstellbar wäre, dass eine Mehrheit im Bundestag gesonnen ist, das Bundesverfassungsgericht zu knacken und sich zu unterwerfen. Und die dann auch eine Sperrminorität im Bundesrat hat. Also dass die auch im Bundestag eine Mehrheit hat und im Bundesrat mehr als ein Drittel hat. Und in dieser Konstellation könnte es jetzt durch diesen Blockade-Lösungsmechanismus dazu gekommen, dass sich die Regierungsmehrheit die Herrschaft über sämtliche Posten im Bundesverfassungsgericht sichert und tatsächlich alle Wahlen nach ihrem eigenen Gusto entscheidet.
Das ist jetzt nicht wahnsinnig wahrscheinlich, aber das Szenario ist absolut möglich, denkbar und vorstellbar. Die Chance, diesem Szenario einen Riegel vorzuschieben, ist jetzt wahrscheinlich erst mal vertan. Das ist schade. Trotzdem bin ich bei Meinung, dass diese Form jedenfalls sehr, sehr viel besser ist als nichts. Oder als das, was wir bisher hatten.
Das Gespräch führte Damla Hekimoğlu, tagesschau24. Es wurde für die schriftliche Version gekürzt und redigiert.