Umgang mit der Corona-Krise Aufarbeitung - aber wie?
Die Corona-Pandemie soll zügig aufgearbeitet werden - darin sind sich die Koalitionäre einig. Doch umstritten ist, wie. Der Kanzler favorisiert einen Bürgerrat, im Gespräch ist aber auch eine Enquete-Kommission.
Einzelne Stimmen, die eine Corona-Aufarbeitung fordern, gab es schon lange. Nun haben sich die Ampelfraktionen auch offiziell darauf geeinigt, dass der Bundestag möglichst bald die Pandemiepolitik auswerten soll. Und noch etwas streben alle Koalitionspartner an: Noch vor dem Sommer soll das Ganze auf den Weg gebracht werden.
"Das muss zeitnah passieren", fordert die grüne Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge und verweist auch auf die Ost-Landtagswahlen im Herbst. Sonst entstehe der Eindruck, die Politik drücke sich nach den langen Diskussionen letztlich vor einer Aufarbeitung. Das wiederum könnte den Ampelparteien bei den Wahlen weiter zusetzen.
Scholz favorisiert einen Bürgerrat
Doch beim Zeitplan endet die Einigkeit offenbar. Wie genau die Aufarbeitung aussehen soll, ist noch umstritten: Dass sich Kanzler Olaf Scholz am vergangenen Wochenende im ARD-Sommerinterview auf ein Favoritenformat festlegte, erstaunte intern viele. Scholz nannte die Idee eines Corona-Bürgerrats "am sympathischsten", weil dann nicht nur Wissenschaft und Politik beteiligt seien, sondern die Erfahrungen Dutzender Bürgerinnen und Bürger aus dem ganzen Land.
Im Kern geht es darum, wer zu strittigen Themen aus der Corona-Zeit angehört wird. Ein Bürgerrat würde Stimmen aus der Durchschnittsbevölkerung versammeln. Etwa 160 zufällig ausgeloste Mitglieder würden sich mehrfach treffen und am Ende ein Bürgergutachten erarbeiten. Diese Vorschläge erhält das Parlament, kann damit aber frei umgehen. Die Rolle von Experten - zum Beispiel Virologen, Bildungsforschern oder Wirtschaftswissenschaftlern - wäre dabei eine kleinere: Sie bringen die Teilnehmer am Anfang auf einen gemeinsamen Wissensstand und sind danach noch für Fragen ansprechbar.
Möglich wäre auch eine Enquete-Kommission
Deutlich mehr Gewicht bekämen Experten und Entscheider in einer Enquete-Kommission. Sie würde man im Rahmen einer Untersuchung befragen. Die Anhörungen sind in der Regel öffentlich, während ein Bürgerrat nicht öffentlich tagt. "Über das genaue Format sprechen wir gerade noch miteinander", sagt Dröge. "Wir haben schon so lange dafür geworben, deswegen ist unsere Haltung mittlerweile: Hauptsache, wir einigen uns", fügt sie mit Blick auf die lange Diskussion hinzu.
Beides hätte Vor- und Nachteile. Für einen Bürgerrat spreche, "dass wir die Stimmen der Menschen mit ihren Erfahrungen direkt hören können", sagt Dröge. Aber auch für eine starke Rolle von Experten werben die Grünen. Wichtig sei in jedem Fall, "in beide Richtungen zu untersuchen": Waren bestimmte Maßnahmen überzogen? Aber auch: Hätten Gesundheitspolitiker die Menschen noch besser schützen müssen?
FDP gegen Bürgerrat als einziges Gremium
Andere schlagen längst schärfere Töne an, wenn es um die Art der Aufarbeitung geht. Für die FDP-Fraktion kommt ein Bürgerrat allein nicht in Frage, stattdessen brauche es ein Format, in dem damals Verantwortliche kritisch befragt werden können. "Denn wir wollen ja wissen, warum einzelne Landesregierungen und auch die Ministerpräsidentenkonferenz zu teilweise absurden Corona-Maßnahmen gekommen sind", begründet das FDP-Fraktionschef Christian Dürr. "Manche, und ich nenne Markus Söder ausdrücklich, die schämen sich heute dafür." Trotzdem seien die Länderchefs "der Öffentlichkeit Rechenschaft schuldig".
Womöglich hat die SPD genau daran weniger Interesse als FDP und Grüne, die einen Großteil der Corona-Zeit im Bund in der Opposition waren. Die SPD stellt auch mehrere Ministerpräsidenten. Vielleicht liegt darin ein Teil der Erklärung, warum Kanzler Scholz einen Bürgerrat bevorzugen würde. Die SPD-Fraktion will sich bislang nicht dazu äußern, ob sie dem Kanzler folgt.
Von mehreren Abgeordneten ist auch die Idee zu hören, dass beides kombiniert werden könnte: Bürgerrat und Enquete-Kommission. So würde man einerseits dem Vorwurf vorbeugen, dass wieder nur die üblichen Stimmen, die seit Jahren die Debatte prägen, zu Wort kommen. Andererseits brauche es Fakten und nicht nur Bürgermeinungen oder emotionale Erfahrungen, um das ganze Ausmaß zu bewerten, sagen Befürworter dieses Modells.
Spahn: Beide Instrumente "klug kombinieren"
Einer, der die Corona-Zeit an entscheidender Stelle mitgestaltet hat, kann sich dafür jedenfalls erwärmen: Jens Spahn, CDU-Bundesgesundheitsminister bis Ende 2021, plädiert dafür, dass man beide Instrumente "klug kombiniert". Das könne am ehesten dazu führen, dass in der Aufarbeitung "eine ganze Breite deutlich" werde, sagte er am Dienstag im WDR-Interview.
Spahn, der gerade wieder wegen seiner Masken-Einkäufe stark in der Kritik steht, wirbt dafür, "nicht unerbittlich" miteinander umzugehen. "Jeder hat in dieser Pandemie mal falsch gelegen." Diesen Gedanken würde er der Aufarbeitung - im Bürgerrat oder in einer Enquete-Kommission - mitgeben.