Corona-Lage Der doppelte Lauterbach
Er war der unermüdliche Warner in der Corona-Pandemie. Doch nun spricht Gesundheitsminister Lauterbach plötzlich ganz anders. Liegt das wirklich nur an der FDP?
Karl Lauterbach hat schon gemahnt und gewarnt, als Corona noch die unbekannte Seuche war. Seit mehr als zwei Jahren fordert der berühmteste Gesundheitspolitiker des Landes in jedem Interview, jeder Talkshow und jeder Pressekonferenz härtere Regeln und stärkere Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Er hat sich den Ruf des "Corona-Mahners der Nation" hart erarbeitet. Das war mit ein Grund, warum Lauterbach Bundesgesundheitsminister geworden ist. Doch nun scheint er klein beizugeben. Das neue Infektionsschutzgesetz wirkt für viele wie ein stumpfes Schwert.
Lauterbachs Wendung
Lauterbach vollzieht innerhalb einer Pressekonferenz eine überraschende Wendung. Zu Beginn beschreibt er, dass auch die Omikron-Variante gefährlich sei. Er sagt: "Die Lage ist objektiv viel schlechter als die Stimmung."
Dann allerdings erklärt er, dass zukünftig die Landesparlamente die nötigen Corona-Maßnahmen alleine entscheiden sollen. Er fordert sogar die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten auf, sich nicht damit aufzuhalten, das neue Infektionsschutzgesetz zu kritisieren, sondern es einfach umzusetzen. Er spricht von Hotspots, in denen man dann Maßnahmen durchsetzen könne, doch es ist klar, dass es keine Definition von Hotspots mehr gibt. Das kann ein Stadtteil sein, oder ein ganzes Bundesland. Und auch das entscheidet nicht mehr der Bund, sondern jedes Bundesland für sich. Der viel beschworene Flickenteppich, er kann mit der jetzigen Variante des Infektionsschutzgesetzes noch bunter, noch kleinteiliger und noch unterschiedlicher werden.
Zepter des Handelnden
Lauterbach gibt das Zepter des Handelnden aus der Hand. Mehr als zwei Jahre lang forderte Lauterbach bundesweite Maßnahmen, einen deutschlandweiten Rahmen im Kampf gegen Corona. Jetzt scheint er sich aus der Verantwortung zurückzuziehen. Er erklärt das auf Nachfrage damit, dass er mit weiteren Eingriffen in die Freiheitsrechte der Menschen nicht mehr vor dem Bundesverfassungsgericht und auch vor keinem anderen Gericht durchkäme. Doch wenn die Situation der Erkrankten und auch Vielzahl der Sterbenden so dramatisch ist, wie er sie - mit seinem Adlatus RKI-Chef Lothar Wieler an der Seite - darstellt, ist es dann nicht die Aufgabe eines Bundesgesundheitsministers, die Notwendigkeit dieser Maßnahmen zu rechtfertigen?
Lauterbach wirkt wie der Mann, der über viele Monate laut und voller Überzeugung gerufen hat, und der jetzt unter dem Druck der Wirklichkeit leise wird.
Einer Wirklichkeit, in der ja tatsächlich immer mehr Menschen genug haben von dieser Pandemie, immer mehr Menschen in ihrem Bekanntenkreis leichte Verläufe der Krankheit erleben, in der die Warn-App im Dauermodus rot ist und die lebensbedrohliche Gefahr der Omikron-BA.2-Variante auf den Intensivstationen (noch?) nicht angekommen ist.
Kompromisse mit der FDP?
Lauterbach hätte für seine Wendung sogar eine passable Begründung: Er könnte darauf hinweisen, dass er sich in einer Koalition befindet, dass er insbesondere mit der FDP Kompromisse machen muss. Dass es so war, hört man übrigens aus den Kreisen der Grünen. Die betonen, dass das jetzige Infektionsschutzgesetz eben der kleine Nenner war, auf den sich die Ampel einigen konnte. Und so hatte man immerhin irgendetwas, bevor nach bisheriger Rechtslage alle Schutzmaßnahmen aufgelaufen wären.
Doch Lauterbach weist diese - naheliegende - Erklärung von sich. So sei es nicht gewesen, wehrt sich der SPD-Gesundheitsminister. Und sagt über das neue Infektionsschutzgesetz: "Es war sogar mein Vorschlag."
Wunsch nach einheitlichem Vorgehen
Das aber ergibt keinen Sinn. 200 bis 250 Menschen pro Tag sterben zurzeit an oder mit Corona. Lauterbach nennt das eine "unhaltbare Situation". Gleichzeitig erklärt er aber, dass er darauf hofft, dass die Länder schon das Richtige machen werden. Lauterbach spricht davon dass er sich "wünscht", dass die Länder zu einem einheitlichen Vorgehen zusammenfänden. Wie das in den vergangenen Jahren geklappt hat, weiß er ebenso wie jeder andere in diesem Land.
Zweimal wird der RKI-Chef Wieler neben Lauterbach übrigens gefragt, wie er das neue Infektionsschutzgesetz denn findet. Er antwortet, dass es wichtig sei, dass die Menschen weiterhin vorsichtig sind und wir alle viele Möglichkeiten hätten, uns selbst zu schützen.
Nach staatlichem Schutz hört sich das nicht an. Und nach einem Gesundheitsminister, der sich durchsetzt, auch nicht.