Türkeinahe Gruppierung Was im Programm von DAVA steht
Schutz des Islam, Stärkung "traditioneller Werte" und ein starker Sozialstaat: Das sind Kernthemen des Wahlprogramms, mit dem die politische Vereinigung DAVA vor allem muslimische Migranten erreichen will.
Was DAVA von anderen Parteien unterscheiden soll, wird schnell deutlich. Geht es in der Einleitung zum Programm der politischen Vereinigung, das dem WDR exklusiv vorliegt, noch um ein allgemeines Bekenntnis zur Förderung von Integration und Teilhabe, benennt schon der zweite große Block das Alleinstellungsmerkmal. Unter der Überschrift "Bekämpfung von Islamfeindlichkeit" heißt es: "Genauso, wie Ost und West untrennbar miteinander verbunden sind, erkennen wir an, dass der Islam ein integraler Bestandteil Deutschlands ist."
Dafür will DAVA auch Einfluss auf die Bildungsangebote der Schulen, die Arbeit der Medien und die Tätigkeiten öffentlicher Verwaltungen Einfluss nehmen. Ziel sei es "ein realistisches und positiveres Bild des Islams zu fördern". Im Kapitel "Kultur und Medien" wird das zum Beispiel dadurch konkretisiert, dass man sich dafür einsetze, "unsachgemäße Darstellungen des Islam und der Muslime in den Schul- und Geschichtsbüchern zu korrigieren und sie durch sachgemäße Informationen zu ersetzen".
Die im Januar gegründete "Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch" (DAVA) ist derzeit formal eine Wählervereinigung. Sie will als Partei bei der Europawahl am 9. Juni antreten.
Wer definiert das Bild vom Islam?
Das Programm lässt offen, was "unsachgemäße Darstellungen" und ein "realistisches und positiveres Bild des Islam" ausmachen - vor allem aber, wer darüber entscheiden soll. Doch ein Blick auf das Spitzenpersonal der DAVA legt nahe, dass hier vor allem das Selbstbild konservativer Islamverbände gemeint ist.
Der designierte Spitzenkandidat Fatih Zingal war Funktionär der UID, dem deutschen Ableger der türkischen Regierungspartei AKP und hat die Wahlkämpfe für Präsident Recep Tayyip Erdogan auch über Moscheegemeinden mit organisiert. Ali Ihsan Ünlü als Nummer Zwei auf der Liste kommt aus dem Moscheeverband DITIB, der von der türkischen Religionsbehörde Diyanet gesteuert wird. Und Mustafa Yoldas auf Listenplatz drei spielte über Jahre eine führende Rolle in der Gemeinschaft Milli Görüs, einer Organisation des politischen Islam, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Im aktuellen Verfassungsschutzbericht 2022 wird Milli Görüs als "legalistische Organisation" des Islamismus eingeordnet. Ihr Ziel sei es, "das gesellschaftliche und politische System zugunsten einer islamischen Grund- und Werteordnung mitzugestalten und ihre Agenda in Politik und Gesellschaft zu etablieren".
Keine Abgrenzung zu Islamismus
Bei all dem setzt die DAVA nicht nur auf Dialog und Aufklärung, sondern ausdrücklich auch auf "gesetzliche Maßnahmen" und fordert "die Einbeziehung von Feindlichkeit gegenüber Religionen, insbesondere Islamfeindlichkeit, in den offiziellen Diskriminierungsschutz". Dabei fehlt eine klare Abgrenzung zum politischen Islam und zum militanten Islamismus. An dieser Stelle fällt besonders auf, dass der gesamte Bereich "Innere Sicherheit" nicht explizit angesprochen wird.
Während der Bekämpfung von Islamfeindlichkeit ein ganzes Kapitel gewidmet ist, wird der Antisemitismus nur summarisch mit Rassismus und anderen Formen von Ausgrenzung und Diskriminierung erwähnt und abgelehnt: "Unser Ziel ist ein Europa, in dem alle Menschen unabhängig von ihrer Hautfarbe, Herkunft oder Religion gleichberechtigt und frei von Diskriminierung und Rassismus leben können."
Gegen "Gender-Ideologie", für "traditionelle Familie"
Dieses Bekenntnis zu Vielfalt und Diskriminierungsschutz kontrastiert allerdings auffällig mit dem Kapitel zum "Schutz der Familie". Die DAVA spricht sich gegen "Gender-Ideologie" aus, bekennt sich zu einer "pro-life Position" und setzt sich für den Schutz des ungeborenen Lebens ein.
Mit Blick auf die Rechte von queeren Menschen heißt es: "Während DAVA die Bedeutung von Toleranz und den Schutz individueller Freiheiten anerkennt, betonen wir die Wichtigkeit traditioneller Familienstrukturen als Grundlage der Gesellschaft." Wie schon bei der Förderung des Islams will die DAVA auch ihr Werteverständnis mit staatlichen Instrumenten durchsetzen: "Wir treten für eine Gesellschaft ein, in der die Familie als Grundpfeiler geachtet und gefördert wird, und setzen uns für Bildungs-, Sozial- und Gesundheitspolitiken ein, die diesem Ziel dienen."
In der Konsequenz könnte eine solche Politik mit geltenden Gesetzen wie der Ehe für alle und dem Antidiskriminierungsgesetz, vor allem aber mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Konflikt geraten.
Mehr Geld für Gesundheit, Bildung und Rente
In den sozialpolitischen Kapiteln setzt die DAVA auf die Überwindung von Kinder- und Altersarmut sowie eine verbesserte Gesundheitsversorgung. So forderte sie eine deutliche Erhöhung der Renten und nennt als Maßstab die Niederlande, wo die Rentenhöhe bei 89,2 Prozent des letzten Gehalts liege.
Zur Förderung von Kindern und Jugendlichen fordert sie Investitionen in Bildung, die Finanzierung von Teilhabe im außerschulischen Bereich, eine kostenlose Gesundheitsfürsorge sowie eine direkte finanzielle Entlastung von Familien.
Im Gesundheitsbereich sollen Fachkräfte besser bezahlt, Zuzahlungen zu Medikamenten und medizinischen Leistungen reduziert und die Pflege hochwertiger, umfassender und zugleich billiger gestaltet werden.
Unklar bleibt in all diesen Bereichen allerdings die Finanzierung. Kapitel zu Wirtschafts- und Finanzpolitik sucht man im zwölfseitigen Dokument vergeblich. So erscheint dieser Teil des Programms eher wie das Idealbild eines Wohlfahrtsstaates als wie eine Handlungsvorlage für konkrete Politik.
Bekenntnis zur Zwei-Staaten-Lösung in Nahost
Auch im außenpolitischen Teil finden sich vor allem allgemeine Bekenntnisse zu Frieden, Menschenrechten, Multilateralismus, Klimaschutz und nachhaltiger Entwicklung und fairen Handelsbeziehungen - jedes dieser Stichworte wird in der Regel mit nicht mehr als einem Satz ausgeführt.
Während der EU eine aktive Rolle in der internationalen Politik zugesprochen wird, werden NATO und die Rolle der Bundeswehr darin mit keinem Wort erwähnt. Auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, das Verhältnis zu den USA und China sowie andere große internationale Herausforderungen werden nicht erwähnt. Überraschend mag auch sein, dass das deutsch-türkische Verhältnis an keiner Stelle thematisiert wird - zielt DAVA doch ganz besonders auf türkeistämmige Wählerinnen und Wähler in Deutschland.
Umso auffallender ist deshalb, dass das Kapitel zur Außenpolitik mit einem ausführlichen Bekenntnis zur "Zwei-Staaten-Lösung im Israel-Palästina-Konflikt" beginnt: "Wir unterstützen die Schaffung eines souveränen, lebensfähigen und unabhängigen palästinensischen Staates, der in Frieden neben Israel existiert." Gefordert wird "die Beendigung aller Aktivitäten, die eine Zwei-Staaten-Lösung gefährden könnten".