Olaf Scholz und Fumio Kishida
Analyse

Deutschland und Japan Zwei "Wertepartner" rücken näher zusammen

Stand: 19.03.2023 17:25 Uhr

Die Ampelregierung bemüht sich verstärkt um Partner mit ähnlichen Wertvorstellungen - Teil dessen ist auch der Kabinettsbesuch in Japan. Beide Länder eint der Wille, weniger abhängig von China zu sein.

Eine Analyse von Martin Ganslmeier, ARD Berlin

Die ersten deutsch-japanischen Regierungskonsultationen hatten etwas von Speeddating. Nach einem Flug um die halbe Welt trafen sich Bundeskanzler Olaf Scholz und sechs Ministerinnen und Minister aus seinem Kabinett für einige Stunden mit ihren japanischen Amtskollegen - zunächst für bilaterale Gespräche, anschließend tauschten sich beide Regierungen im Plenum über gemeinsame Interessen und deutsch-japanische Projekte aus.

Auf der Pressekonferenz lobte Japans Ministerpräsident Fumio Kishida: "Die deutsch-japanischen Beziehungen sind stärker und enger denn je." Und Bundeskanzler Olaf Scholz ergänzte, man habe die gemeinsamen Beziehungen auf eine neue Stufe gehoben: "Japan ist ein zentraler Wertepartner Deutschlands."

Harmonie beim deutsch-japanischen Regierungstreffen

Ulrich Mendgen, ARD Tokio, tagesthemen, tagesthemen, 18.03.2023 23:15 Uhr

Nationen mit ähnlichen Wertvorstellungen

Das Wort "Wertepartner" war immer wieder zu hören bei den Gesprächen in Tokio. Nach dem Schock des russischen Angriffskrieges und der "Zeitenwende" sucht die Ampelregierung engere Kontakte zu befreundeten Nationen mit ähnlichen Wertvorstellungen: Kanada zum Beispiel und nun auch Japan. Frühere Bundeskanzler besuchten Kanada oft nur im Anschluss an eine Reise nach Washington oder New York. Ähnlich erging es Japan, das sich in der Amtszeit von Angela Merkel allzu sehr im Schatten von China fühlte.

Umso mehr freute sich die japanische Regierung, dass Scholz an diesem Wochenende gleich sein halbes Kabinett mit nach Tokio brachte - wenngleich spürbar war, dass das Format bilateraler Regierungskonsultationen Neuland für Japan ist. Im Politikbetrieb Japans ist der freie Meinungsaustausch unter befreundeten Regierungen noch etwas gewöhnungsbedürftig.

Auch wenn es keine konkreten Handelsabschlüsse oder Vorzeigeprojekte zu verkünden gab, zog Scholz dennoch ein positives Fazit der Kabinettsreise in den Fernen Osten. Es sei symbolträchtig, dass nun zwei der weltweit stärksten Volkswirtschaften, die nach der "Zeitenwende" vor ähnlichen Herausforderungen stehen, enger zusammenrücken.

Gegenseitiger Austausch bei Zukunftstechnologien

Die Suche nach neuen Partnern in einer unsicheren Welt erklärt auch die vielen Auslandsreisen der Ampelregierung in den vergangenen Monaten. Die jahrzehntelangen Garanten für Deutschlands Erfolg funktionieren nicht mehr: billige Energie aus Russland, der riesige Exportmarkt China und der für unsere Sicherheit sorgende NATO-Alliierte USA. Deutschland muss sich um neue Partnerschaften kümmern und alte intensivieren, ob im globalen Süden oder bei lange Zeit vernachlässigten Ländern wie Kanada und Japan.

Scholz ist überzeugt, dass Deutschland von Japan lernen kann - zum Beispiel mit Blick auf die Sicherheit der Wirtschaft, dem Schwerpunktthema dieser Regierungskonsultationen. Japan hat dafür sogar eine eigene Ministerin für Wirtschaftssicherheit. Künftig wollen Deutschland und Japan gemeinsam dafür sorgen, dass ihre Wirtschaftsunternehmen sicher an Rohstoffe kommen und ihre globalen Lieferketten sicherer und unabhängiger von China werden.

Schließlich wollen beide Länder bei Zukunftstechnologien vom gegenseitigen Austausch profitieren. Japan ist interessiert an deutschem Windkraft-Know-how, das Land selbst ist wiederum führend bei der Wasserstofftechnologie. Gemeinsam wollen beide Länder einen globalen Markt für Wasserstoff aufbauen.

Ähnliche Herausforderungen in der Verteidigungspolitik

Auch in der Verteidigungspolitik stehen Deutschland und Japan vor ähnlichen Herausforderungen. Obwohl die Ukraine weit weg liegt, hat der russische Angriffskrieg auch in der japanischen Verteidigungspolitik für eine Zeitenwende gesorgt. Mit Unbehagen verfolgt Japan die Annäherung zwischen Russland und China. Trotz seiner pazifistischen Verfassung will Japan deshalb in den nächsten fünf Jahren seinen Verteidigungsetat von einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf zwei Prozent verdoppeln.

Verteidigungsminister Boris Pistorius sieht hier die Chance auf mehr Zusammenarbeit und Synergien im Rüstungsbereich. Schon in Tokio wurde für das kommende Jahr ein gemeinsames Marinemanöver im Pazifik vereinbart. Der Bundeskanzler sieht darin ein "Bekenntnis zur Freiheit der Meere".

Bei aller Freude über den neuen Schwung in den deutsch-japanischen Beziehungen: Japan kann China nicht ersetzen als wichtigster Absatzmarkt für deutsche Produkte in Asien. Dazu ist die Produktpalette der deutschen und der japanischen Wirtschaft zu ähnlich. In der Automobilindustrie, im Maschinenbau und in der Chemieindustrie konkurrieren deutsche und japanische Unternehmen um Marktanteile. Deutschland und Japan eint jedoch der gemeinsame Wille, die Wirtschaftsbeziehungen zu diversifizieren, um weniger abhängig von China zu sein. Um dieses Ziel zu erreichen, hält die Bundesregierung eine strategische Zusammenarbeit mit Japan für wichtig.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 18. März 2023 um 23:15 Uhr.