Alice Weidel und Tino Chrupalla
Porträt

Weidel und Chrupalla Wie funktioniert das ungleiche Duo?

Stand: 29.06.2024 16:26 Uhr

Die AfD-Chefs Weidel und Chrupalla könnten unterschiedlicher kaum sein - in ihrer Sprache, ihrem Auftreten und ihren persönlichen Lebensentwürfen. Doch für die Doppelspitze ergänzen sie sich. Wie funktioniert das Duo?

Von Lothar Lenz, ARD Berlin, zzt. Essen

Man kennt das Phänomen aus Romanen, aus Kinofilmen oder von Fernsehlieblingen wie den Ermittlern Boerne und Thiel im ARD-Tatort: Zweierteams bei den Hauptdarstellern funktionieren gut. Besonders dann, wenn die beiden Einzelpersonen möglichst unterschiedliche Charaktere aufweisen.

Dass auch Parteien auf personelle Vielfalt an der Spitze setzen, ist dabei nichts Neues. Bei den Grünen etwa gehört die Mehrfach-Spitze zu den Gründungsmythen. Das Selbstverständnis, Frauen und Männer gleichberechtigt an der Parteiführung zu beteiligen, wurde zum Markenkern.

Zudem kann eine Doppelspitze eine Partei auch nach innen hin festigen, denn unterschiedliche Strömungen können besser mit machtvollen Positionen bedacht werden, wenn es mehr davon gibt. Dass die Außenwirkung der Partei trotz Doppelspitze einigermaßen einheitlich bleibt, setzt allerdings eine enge Abstimmung der jeweiligen Co-Vorsitzenden voraus.

Chrupalla und Weidel gleichen Defizite gegenseitig aus

Auch die SPD hatte in ihrer langen Geschichte schon häufiger zwei (bis sogar vier) gleichberechtigte Parteivorsitzende an der Spitze - und kam 2019 auf das Doppel-Modell zurück. Damals hatte sich auch der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz - im Tandem mit der heutigen Bundesbauministerin Klara Geywitz - um jeweils eine Hälfte der SPD-Doppelspitze beworben.

Das Rennen machten allerdings andere: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Inzwischen führt Esken zusammen mit Lars Klingbeil die Partei. Mit Blick auf die an Richtungsstreitigkeiten nicht arme Geschichte der SPD klingt es schon fast wie ein Kompliment, wenn man das Verhältnis der beiden als "arbeitsteilig" beschreibt.

Und die AfD? Auch sie setzt weiter auf die seit zwei Jahren agierende Doppelspitze aus Alice Weidel und Tino Chrupalla. Zwei Personen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, politisch aber dennoch auf derselben Linie liegen. Und: Beide sprechen mutmaßlich sehr unterschiedliche Wählerschaften an, und so funktioniert das ungleiche Duo an der AfD-Spitze auch deswegen, weil jeder die Eigenschaften des bzw. der anderen konterkariert und ihre Defizite auszugleichen vermag.

Alice Weidel

Alice Weidel begann ihre politische Karriere direkt bei der AfD.

Rhetorisches Talent vs. holprige Wendungen

Alice Weidel, 1979 im westfälischen Gütersloh geboren, ist promovierte Ökonomin und hat ein ausgeprägtes rhetorisches Talent. Mit ruhiger Stimme, aber intellektueller Schärfe beschreibt sie ihre politischen Positionen - eine Hochbegabte am rechten Rand. Weidels Satzmelodie klingt oft etwas zäh und eigenwillig klagend. Im nächsten Moment aber kann Weidel als Rednerin laut und durchdringend werden und mühelos eine Parteitagshalle mit 600 Delegierten triggern. Sie kann sich lauthals empören. Sie beherrscht die treffende Zuspitzung bis hin zur Demagogie.

Ganz anders Tino Chrupalla: Der Maler- und Lackierermeister stammt aus dem Osten und lässt sich das auch nicht ohne Stolz anmerken. Chrupalla wurde 1975 in der Oberlausitz geboren und würde es wohl als Auszeichnung verstehen, wenn man über ihn sagt, dass er die Sprache der einfachen Leute von der Straße spricht. Seine Auftritte sind authentisch und ungekünstelt. Selbst bei seiner Bewerbungsrede zur Wiederwahl als Co-Sprecher geriet Chrupalla manche Wendung holprig. Er ist ein Politiker, dem der öffentliche Auftritt nicht unbedingt in die Wiege gelegt wurde, der aber erkennbar Freude hat an seiner Wirkung auf das Publikum.

Während Weidel wie die stets beherrschte Chef-Ideologin einer immer weiter nach rechts außen rückenden AfD wirkt, steht Chrupalla für das unkontrollierte, das latent aufmüpfige Moment innerhalb einer AfD, die deren ehemaliger Bundesvorsitzender Alexander Gauland einmal einen "gärigen Haufen" nannte. Während Weidel ihre politische Karriere direkt bei der AfD begann, ging Chrupalla zunächst zur Jungen Union und wechselte später zur AfD - auch aus Enttäuschung über die Flüchtlingspolitik der damaligen, CDU-geführten Bundesregierung.

Tino Chrupalla

Tino Chrupalla startete seine politische Arbeit bei der Jungen Union.

Ähnliche Positionen bei Putin und Ukraine

Auch die Lebensentwürfe der beiden Co-Sprecher der AfD, die zugleich - ebenfalls als Doppelspitze - die Bundestagsfraktion führen, könnten kaum unterschiedlicher sein: Weidel lebt in einer lesbischen Lebenspartnerschaft mit einer Filmproduzentin in der Schweiz und erzieht zwei Söhne. Chrupalla ist verheirateter Vater dreier Kinder und gestand in einer Talkshow zuletzt, dass seine Ehefrau ihm jeden Morgen seinen Tagesbedarf an Bargeld in die Tasche stecke. Die Kosmopolitin hier, der biedere, heimatorientierte Familienvater dort. Politisch aber passt zwischen die beiden so verschieden geprägten Co-Sprecher der AfD kaum ein Blatt.

Beide werben um eine "Verständigung" mit Putin und lehnen sämtliche Sanktionen gegen Russland und jede Waffenhilfe für die Ukraine ab. Beide werben für eine äußerst restriktive Migrationspolitik und fordern die Abschiebung von hunderttausenden ausreisepflichtigen Personen. Beide prägt eine tiefe Skepsis gegenüber multinationalen Organisationen wie der Europäischen Union oder der NATO - bei Chrupalla ergänzt um einen offenbar tief verwurzelten Anti-Amerikanismus. Den vom russischen Präsidenten Wladimir Putin verhängten Lieferstopp für russisches Gas bezeichnete Chrupalla im Bundestag als Folge eines "von Robert Habeck angezettelten Wirtschaftskriegs".

Zweierspitze womöglich nicht auf Dauer ausgelegt

So gut sich also Weidel und Chrupalla charakterlich ergänzen und politisch ähneln: Ihre gemeinsame Führungsrolle in der AfD ist wohl kaum auf Dauer angelegt. Schon auf dem Parteitag in Essen gibt es deutliche Stimmen, die statt der Zweierspitze eine oder einen einzigen Parteivorsitzenden fordern, dem dann ein Generalsekretär oder eine Generalsekretärin an die Seite gestellt würde. Es ist allen klar, dass in einem solchen Fall das Spitzenamt wohl eher auf Weidel zulaufen würde. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil sie auch als eine mögliche Kanzlerkandidatin der AfD wohl die weitaus besseren Chancen hätte.

Nicht wenige Delegierte machen Chrupalla zudem verantwortlich für den holprigen Europawahlkampf der AfD rund um den auch parteiintern umstrittenen Spitzenkandidaten Maximilian Krah. Einstweilen aber ist Chrupalla vor einer offenen Demontage geschützt, denn die AfD möchte sich einen Führungsstreit vor den für sie so erfolgversprechenden Landtagswahlen im September in Sachsen, Thüringen und Brandenburg nicht zumuten. Chrupallas ansehnliches Wahlergebnis von knapp 83 Prozent der Delegierten lässt das erkennen. Aber womöglich sieht er seine Rolle in dem so unterschiedlich besetzen Führungsduo der Bundes-AfD ja selbst nicht als Daueraufgabe - sondern als eine Art Meisterstück für künftige politische Ämter.

In einer früheren Version des Textes hieß es, dass die erste Doppelspitze der SPD aus Saskia Esken und Lars Klingbeil bestand. Richtig ist Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.

Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 29. Juni 2024 um 10:03 Uhr.