Europarat kritisiert Deutschland Frauen nicht genug vor Gewalt geschützt
In Deutschland gibt es laut Europarat gravierende Defizite beim Schutz von Frauen vor Gewalt. Die Organisation fordert unter anderem den Ausbau von Beratungsstellen und Frauenhäusern. Positiv sei etwa die Kriminalisierung von Cyberstalking.
Der Europarat hat die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen in Deutschland stark kritisiert. Frauenhäuser und Beratungsstellen seien sehr ungleich verteilt und gerade in ländlichen Gegenden rar gesät, teilte die Expertengruppe des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (GREVIO) in ihrem ersten Bericht über Deutschland mit.
Mehr Frauenhäuser, mehr Beratungsstellen
Die Gruppe forderte, dass alle weiblichen Gewaltopfer kostenlosen Zugang zu speziellen Unterkünften für häusliche Gewalt haben sollten. In größeren Städten gebe es zwar grundsätzlich Beratungsangebote für die meisten Formen von Gewalt, oft aber mit langen Wartelisten. Berlin mit seinen 3,7 Millionen Einwohnern verfüge über eine einzige Beratungsstelle für Vergewaltigungsopfer. Auf eine Erstberatung müssten Frauen dort im Schnitt zwei Monate warten.
Auch geflüchtete Frauen in Gemeinschaftsunterkünften sollten Zugang zu Beratungsstellen haben. Es gebe anhaltende Sicherheitsbedenken für sie, etwa wegen nicht nach Geschlecht getrennten Zimmern in den Unterkünften, erklärten die Experten.
Eine Frau sitzt auf ihrem Bett in einem Zimmer im Frauenhaus. Laut einem Bericht des Europarats sind Frauenhäuser in Deutschland sehr ungleich verteilt und gerade in ländlichen Gegenden rar gesät.
Gewalt durch Väter und Partner
Der Bericht rügt auch, dass gewalttätige Väter in Deutschland ein Sorge- oder Besuchsrecht erhielten, ohne dass Sicherheitsbedenken der Frauen oder Kinder ausreichend berücksichtigt würden. Schutzanordnungen für die Opfer würden häufig nicht gewährt.
Sexuelle Gewalt werde eher milder beurteilt, wenn es sich beim Täter um einen aktuellen oder ehemaligen Partner handle. Allgemein schienen in der deutschen Justiz "negative geschlechtsspezifische Stereotypen und Haltungen der Täter-Opfer-Umkehr" fortzubestehen.
Das Gremium forderte weiter einen Überprüfungsmechanismus für häusliche Tötungsdelikte. Damit sollen alle geschlechtsspezifischen Tötungen von Frauen analysiert werden, um zu erkennen, wo die Behörden anders reagieren müssten.
Forderung nach besserer Ausbildung
Zudem sei eine bessere Ausbildung von bestimmten Berufsgruppen, die mit gewaltbetroffenen Frauen in Berührung kommen, dringend erforderlich. Fachkräfte müssten Risiken besser einschätzen können und sowohl Opfer wie Täter von Gewalt besser erkennen können.
Frauenrechtsgruppen hätten etwa darauf hingewiesen, dass zwar fast alle Polizeiakademien auf Länderebene Ausbildungseinheiten anböten - dass die dort erworbenen Kenntnisse jedoch nur grundlegend seien.
Lob für Kampf gegen digitale Gewalt
Der Europarat lobte zugleich die Einführung eines Straftatbestandes der sexuellen Gewalt, der auf der fehlenden Zustimmung des Opfers basiere.
Auch die Kriminalisierung von Cyberstalking und dem Teilen von Bildern im Internet lobten die Experten. Dies habe "in den letzten Jahren zu einem soliden Rechtsrahmen für die digitale Dimension der Gewalt gegen Frauen beigetragen".
"Kein nationaler Aktionsplan"
Insgesamt fehle aber bislang ein nationaler Aktionsplan, wie ihn die Istanbul-Konvention eigentlich vorsehe. Die Istanbul-Konvention war 2011 vom Europarat ausgearbeitet worden. Mit der Unterzeichnung hat sich Deutschland verpflichtet, Gewalt gegen Frauen zu verhüten, zu verfolgen und zu beseitigen. Seit Februar 2018 ist die Konvention in Deutschland verbindlich.
Der Europarat, der nicht zur EU gehört, setzt sich für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in seinen 46 Mitgliedstaaten ein. Für den Bericht trafen sich die Experten des Rats nach eigenen Angaben in Deutschland mit Beamtinnen und Beamten von Bundes- und Landesregierungen sowie mit Vertretern von mehr als 40 Nichtregierungsorganisationen.