Bundesparteitag FDP lehnt Antrag zu Wiedereinstieg in Atomkraft ab
Seit einem Jahr liefert kein deutsches AKW mehr Strom. Das wollten drei FDP-Landesverbände ändern und auf dem Bundesparteitag in Berlin einen entsprechenden Antrag durchsetzen. Doch dieser scheiterte bei der Abstimmung.
Die FDP-Delegierten beim Bundesparteitag in Berlin haben sich mit knapper Mehrheit gegen einen Vorstoß zum Wiedereinstieg in die Atomkraft ausgesprochen. Sie lehnten einen Antrag der Landesverbände Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ab. Die Verbände hatten darin unter anderem mit dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und der Zunahme CO2-intensiverer Stromquellen argumentiert.
"Ziel muss es sein, allezeit verfügbare und kostengünstige Energie zu erzeugen", sagte Antragsteller Thomas Kemmerich. Er warb für die Rückkehr zur Kernenergie und führte zur Begründung unter anderem Stromimporte aus Kohle und Atomkraft aus dem Ausland an.
Der bayerische FDP-Politiker Florian Kuhl wies unter anderem auf hohe Strompreise und einen "Sonderweg" Deutschlands in der Atompolitik hin.
Mangelnde Wirtschaftlichkeit neuer AKW als Argument
Unter anderem der nordrhein-westfälische Delegierte Reinhard Houben sprach sich in der Debatte gegen den Antrag aus. "Selbst wenn wir heute den Antrag beschließen würden, würde ein AKW frühestens in 20 Jahren stehen", betonte Houben und verwies darauf, dass es für einen Wiedereinstieg keine politische Mehrheit in Deutschland gebe.
Andere Delegierte führten unter anderem mangelnde Wirtschaftlichkeit neuer Atomkraftwerke als Argument gegen den Wiedereinstieg an.
Erst diese Woche hatte ein Artikel des Magazins "Cicero" für Wirbel rund um den deutschen Atomausstieg gesorgt: Demnach sollen wichtige Mitarbeiter des Bundeswirtschaftsministeriums interne Bedenken gegen den Sinn eines fristgerechten Ausstiegs unterdrückt haben. Der zuständige Minister Robert Habeck und auch die Umweltministerin Steffi Lemke, deren Ressort ebenfalls unter Beschuss steht, verteidigten daraufhin ihre Entscheidungen in Sondersitzungen von Bundestagsausschüssen.
"Technologieoffenheit" bleibt Ziel
Mit der Debatte über den Antrag zur Rückkehr zur Atomkraft setzten die Liberalen ihren zweitägigen Parteitag in Berlin fort. Im Anschluss betonte Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, die Lehre aus dem Atomausstieg müsse sein, neuen Technologien offen gegenüber zu stehen. Aus heutiger Sicht wisse man, dass die damalige Entscheidung ein Fehler gewesen sei.
Unabhängig von dem heute ablehnten Antrag bekannte sich die Partei gestern in ihrem Leitantrag zu einer technologieoffenen Energiepolitik - dazu zählt sie auch die Atomkraft.
Leitantrag zur "Wirtschaftswende" gebilligt
Djir-Sarai unterstrich in seiner Rede den von Parteichef Christian Lindner ausgerufenen Kurs der Umkehr in der deutschen Wirtschaftspolitik. Um die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu erhöhen, sei eine "neue, nachhaltige wirtschaftliche Dynamik" nötig. "Wir sind davon überzeugt, dass Deutschland erheblich mehr Potenzial hat, als es gegenwärtig zum Ausdruck kommt. Wir wollen dieses Potenzial wieder heben, wir müssen es wieder heben."
Wer Wohlstand für alle, funktionierende soziale Sicherungssysteme und ökologische Transformation wolle, müsse ein vitales Interesse daran haben, die ökonomische Basis Deutschlands nachhaltig zu stärken, so Djir-Sarai.
Am Samstag hatten die Delegierten mehrheitlich den Leitantrag der Parteiführung zur "Wirtschaftswende" gebilligt. Der Zwölf-Punkte-Plan zur Ankurbelung der Konjunktur sieht unter anderem Steuersenkungen, Bürokratieabbau, eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, einen konsolidierten Staatshaushalt sowie Einschnitte in den Sozialstaat vor. Das Papier wird von den Koalitionspartnern SPD und Grüne abgelehnt.
Djir-Sarai sieht tiefe Differenzen zwischen FDP und Ampelpartnern
Djir-Sarai räumte bei seiner Rede die weltanschaulichen Differenzen zu den Ampelpartnern ein: "Es gibt einen großen Unterschied zwischen uns, und daran wird sich niemals etwas ändern". Die Liberalen hätten ein anderes Staatsverständnis als SPD und Grüne, sagte er unter dem Applaus der Delegierten. "Für uns ist das Geld der Steuerzahler nicht eine beliebige Verteilungsmasse - das ist der große Unterschied zu der Betrachtungsweise, die einige in dieser Koalition haben." Gleichzeitig unterstrich er, dass er die Koalitionspartner schätze - "das meine ich ernst".
Die FDP habe aus seiner Sicht aber eine Vorreiterrolle in der Wirtschaftspolitik. "Wenn wir als FDP uns der wirtschaftlichen Zukunftsfähigkeit des Landes nicht annehmen, dann wird es niemand tun." Die Reaktionen der Mitbewerber zeigten das deutlich.
In einer ersten Version des Textes wurde nicht herausgestellt, dass die FDP der Atomkraft grundsätzlich offen gegenüber steht, wie im am Samstag verabschiedeten Leitantrag festgehalten ist. Das haben wir geändert.
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