Regierungsbefragung Warum die Fragestunde selten zündet
Eine lebhafte Debatte mit klugen Fragen und schlagfertigen Antworten: Das ist die Regierungsbefragung im Bundestag. Zumindest in der Theorie. Und in der Praxis? Heute stellte sich Minister Özdemir den Abgeordneten.
Mittwoch mittags, Fragestunde im Deutschen Bundestag - jede Sitzungswoche das gleiche Spiel. Das Bundeskabinett hat dann am Vormittag bereits zusammengesessen und die aktuellen Themen der Regierung besprochen. Jetzt sind die Abgeordneten des Bundestags dran. Und die dürfen 60 Minuten die Regierungsbank löchern.
Immerhin ein Mitglied des Kabinetts soll an der Befragung teilnehmen, mindestens dreimal ist der Bundeskanzler vorgeladen - so will es die parlamentarische Geschäftsordnung. Heute etwa stellt sich Landwirtschaftsminister Cem Özdemir den Fragen des Parlaments.
Kontrolle und Selbstdarstellung
Doch gut fragen, will gelernt sein. Wie stellt man aber gute Fragen? Die "Befragung der Bundesregierung" und die anschließende Fragestunde ist für die Parlamentarier rein formal erst einmal eine Grundlage ihrer Kontrollrechts. Sie ist aber noch viel mehr: nämlich eine Form der Selbstdarstellung der Abgeordneten für ihre Wähler.
"Am Anfang steht immer die Frage, was will ich mit einer Frage eigentlich erreichen?", sagt Olaf Kramer. Als Rhetorik-Professor an der Universität Tübingen kennt er die rhetorischen Kniffe und Tricks der Parlamentarier. "Es gibt im Parlament Fragen, die vor allen Dingen dazu dienen, die eigene Position als Abgeordneter zu einer Sache darzustellen", so Kramer. Das sei erstmal nichts Schlechtes.
Belange der Wähler ins Parlament bringen
So sieht das zum Beispiel Canan Bayram. Sie sitzt seit 2017 für die Grünen im Bundestag und hat schon an vielen Fragestunden teilgenommen und sich dort eingebracht. Sie sieht es so: "Die repräsentative Demokratie lebt ja davon, dass ich als Abgeordnete die Belange der Wählerinnen und Wähler in den Bundestag trage, damit wir dort Gesetze machen, die die Probleme in unserem Wahlkreis lösen", sagt sie.
Insofern helfe ihr die Möglichkeit der Frage auch die Probleme aus meinem Wahlkreis in den Bundestag zu tragen. Die Antworten, die Bayram im Bundestag erhält, gebe sie dann in Form von Newslettern, auf Social Media oder auf Veranstaltungen zurück.
Anders sieht es Bayram aber, wenn das Fragerecht dazu genutzt wird, ein Werturteil nachzufragen. Eine typisch schlecht gestellte Frage ist für sie: "Stimmen Sie mit mir überein, dass wir …"
Fragen, denen man nicht entwischen kann
Das kann auch Rhetorik-Professor Kramer bestätigen. Eine lange Frage, die nicht auf den Punkt gesetzt und eine vorhersehbare Wertung abgeben soll, ist ein Problem. Denn der Befragte kann einem dann leicht entwischen.
Neben der eigenen Positionierung gibt es aber noch den Typus an Fragen, die darauf abzielten, den politischen Gegner in die Enge zu treiben, so Kramer. Und zwar durch eine kurze, spitze, schlagfertige Bemerkung. Dabei sei es wichtig, dass der Fragesteller es auf den Punkt bringt. Das findet in den Fragestunden eher seltener statt, da hier die Abgeordneten ihre Fragen vorab an die Bundesregierung übermitteln müssen.
"Politikshow" im Bundestag?
Die CDU-Abgeordnete Julia Klöckner kennt beide Seiten, die der Befragten und die der Fragenden. Sie war mal Landwirtschaftsministerin - jetzt ist sie in der Opposition. Rückblickend sagt sie: "Ich habe diese Fragestunden in meiner Zeit als Ministerin immer ganz gerne gemacht." Klar sei jedoch, dass sich die Art der Fragen aus ihrer Fraktion nun einfach geändert habe. "Wenn man selbst nicht mehr in der Regierung ist, geht man natürlich auf Recherche und will etwas herausfinden."
Wenigen Parlamentariern der CDU/CSU-Fraktion war die Form der Regierungsbefragung aber anfangs so genehm. Als die SPD 2017, in der letzten Großen Koalition, durchsetzte, Angela Merkel häufiger im Plenum zu befragen, schallte es noch Kritik: eine "Politikshow" im Bundestag sei zu befürchten.
Die Sorge damals, die vorgeladene Bundeskanzlerin Merkel könnte durch unberechenbare Fragen von Abgeordneten womöglich ins Schleudern geraten. Doch eingetreten ist davon: nichts. Merkel konnte in den Befragungen im Plenum mit rhetorischem Geschick punkten - und mit Humor.
Das einstige Anliegen der SPD aber war: Parlamentsdebatten sollten wieder dynamischer und spannender gestaltet werden. Seit sich Olaf Scholz als Bundeskanzler den Fragen im Plenum stellen muss, ist von Spannung jedoch wenig zu spüren.
Der CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul echauffierte sich bei der jüngsten Regierungsbefragung mit Scholz vor der Sommerpause sogar vor der Bundestagspräsidentin und kritisierte die "mittlerweile (…) unselige Tradition der Bundesregierung (…), hier eine zweite Regierungserklärung abzugeben."
Mehr Dynamik
Eine Kritik, die der Tübinger Rhetorik-Professor Kramer durchaus für berechtigt hält: "Was man aber auch in den letzten Monaten bei Olaf Scholz beobachten konnte, ist die Tendenz zum Co-Referat - und das ist wiederum eigentlich schade, weil es Dynamik aus den Fragerunden rausnimmt."
Denn das sei ja eigentlich etwas Positives unter Parlamentariern, "dass man Dynamik hat, dass man Dialog miteinander hat." Eine Dynamik, die man eben bei einer Bundestagsrede so nicht hat - die Befragung der Regierung mit anschließender Fragestunde ist deswegen mehr als eine willkommene Abwechslung im Parlamentsalltag.