Experten-Kommission berät Gesucht: die Gaspreisbremse
Die Gaspreisbremse soll ein zentrales Rettungsinstrument der Bundesregierung in der Energiekrise sein - aber wie könnte sie aussehen? Eine 21-köpfige Kommission soll am Wochenende darüber brüten. Der Zeitdruck ist enorm.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Gaspreisbremse am Donnerstag vergangener Woche aus seiner Corona-Isolation verkündet. Das sah nach Dringlichkeit aus. Und der Begriff, den Scholz im Zusammenhang mit der Preisbremse verband, weckte Erwartungen. "Man kann sagen, das ist hier ein Doppelwumms", betonte Scholz nicht ohne Stolz.
Gigantische 200 Milliarden Euro will der Bund über ein Sondervermögen bereitstellen, damit die exorbitant gestiegenen Gaspreise abgefedert werden können. In normalen Zeiten sind 200 Milliarden Euro immerhin fast ein halber Bundeshaushalt. Mit der erneuten, enormen Schuldenaufnahme wollen Scholz und seine Ampelpartner die verunsicherten Menschen beruhigen und Unternehmen vor der Pleite bewahren. "Es soll dazu beitragen, dass jetzt schnell, zügig und für alle schnell feststellbar die Preise sinken für Energie", so Scholz. "Damit sich niemand Sorgen machen muss, wenn er an den Herbst und an den Winter denkt - und an die Rechnung."
Leichter verkündet als umgesetzt
Aber die Gaspreisbremse ist leichter verkündet als gemacht. Ein konkretes Modell soll die "Kommission Gas und Wärme" nun im Eiltempo erarbeiten. Nach einigen ersten Beratungen geht die Kommission das ganze Wochenende in Klausur. 21 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Gewerkschaften sowie Umwelt- und Sozialverbänden gehören dazu. Die Kommission wird geleitet von der Ökonomin Veronika Grimm, dem BDI-Präsidenten Siegfried Russwurm und dem Vorsitzenden der Gewerkschaft Bergbau Chemie Energie Michael Vassiliadis.
Der Teufel steckt im Detail
Die Gewerkschaften hatten frühzeitig die Idee einer Energiepreisbremse ins Spiel gebracht - und wurden anfangs noch eher belächelt. Jetzt sei die Idee ein allgemeines politisches Grundmodell geworden, sagte DGB-Chefin Yasmin Fahimi im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Wie sich die Bremse jetzt im Detail umsetzen lasse, werde die Expertenkommission im Laufe des Wochenendes sehr intensiv beraten, so Fahimi. "Ich freue mich, dass wir als Gewerkschaften uns in dieser Krise in so hohem Maße als Partner der Politik verstehen und unsere Ideen auch aufgenommen werden."
Die Ursprungsidee klingt recht einfach: Jeder Nutzer von Erdgas soll ein Grundkontingent bekommen - zu einem gedeckelten Preis. Der liegt unterhalb der derzeitigen Marktpreise. Für die Differenz würde der Staat aufkommen, finanziert über Schulden. Und wer mehr verbraucht als das Grundkontingent, muss dann den vollen Preis bezahlen. So weit, so einfach.
Allerdings liegen die Probleme im Detail. Aus der Kommission heißt es, dass insgesamt 54 Konzeptpapiere eingebracht worden seien, was deutlich macht, wie kompliziert die Aufgabenstellung ist.
"Ich beneide die Kommission nicht"
Aus Sicht des Ökonomen Justus Haucap von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf liegt ein Problem darin, dass der Preis gesenkt werden soll, aber man gleichzeitig die Sparanreize aufrechterhalten will. Dabei würden niedrigere Preise gerade nicht das Sparen befördern. Zum anderen solle das Modell sozial gerecht ausgestaltet werden, so Haucap. "Aber man hat wenig Informationen darüber, wer von den Gaskunden bedürftig ist und wer nicht. Und bei den Unternehmen ist das ähnlich." Haucap bezweifelt, dass die Kommission auf die Schnelle ein gutes Modell entwickeln kann. "Das ist keine Angelegenheit, die man mal im Handumdrehen macht. Ich beneide die Kommission nicht."
Viele Faktoren sind zu klären. Erstens: Wie groß soll das Basiskontingent sein? Manche Modelle wollen Kilowattstunden pro Haushaltsmitglied zuteilen, andere orientieren sich am Vorjahresverbrauch. Der könnte dann beispielsweise zu 80 Prozent subventioniert werden. Aber: Die Daten zu erheben, ist ein riesiger Aufwand. Und in Mehrfamilienhäusern haben in der Regel nicht die Stadtwerke die detaillierten Daten, sondern die Vermieter.
Zweitens: Bei welchem Preis soll der Deckel angesetzt werden? Je niedriger die Kosten für Verbraucher, desto teurer wird es für den Staat. Und wenn das Modell Sparanreize abschwächt und der Gasverbrauch eher steigt, könnte das die Gaspreise nach oben treiben, was das Subventionsmodell insgesamt verteuert.
Drittens: Was soll für Unternehmen gelten? Die haben je nach Branche ganz unterschiedliche Gasverbräuche, manche können Erdgas ersetzen, andere nicht. Zudem gilt es EU-Regeln des Beihilferechts zu beachten. Schon jetzt kommt deutliche Kritik aus den Nachbarländern, weil deutsche Unternehmen bei zu starken Hilfen unzulässige Wettbewerbsvorteile hätten.
Mehr Kriegswirtschaft als Marktwirtschaft
Michael Hüther, der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, verweist darauf, dass auch andere Länder ihrer Wirtschaft Hilfen gewähren würden. "Die europäischen Partner werden ebenfalls Probleme bekommen, wenn das industrielle Herz Europas nicht mehr so schlägt." Das sei nun mal Deutschland, so Hüther. "Ein kranker Mann in der Mitte Europas ist für alle anderen auch keine Freude." Hüther betont, dass er als Marktwirtschaft kein Freund davon sei, in die Preisbildung einzugreifen. "Aber wir müssen einfach sehen, dass wir in gewissem Sinne in einer Kriegswirtschaft sind, in einer Rationierungswirtschaft." Das erfordere dann mitunter solche Dinge, so Hüther.
Aus Kommissionskreisen heißt es, dass ein zweistufiges Modell denkbar wäre. Es ein kurzfristiges, eher grobgestricktes, das sofort umgesetzt werden könnte. Um dann mit mehr Bedenkzeit ein detaillierteres Nachfolgemodell zu entwickeln.
Doch zurück zur Gießkanne?
Einen denkbaren Weg für eine kurzfristige und einfache Regelung brachte die Ko-Vorsitzende der Kommission, Veronika Grimm, noch ins Spiel. Sie plädierte für Einmalzahlungen an die Bürger, womit sich viele komplizierte Berechnungen und Datenerfassungen ersparen. Allerdings würde damit wohl wieder nach dem Gießkannen-Prinzip verfahren - wie schon bei den 300 Euro Energiepauschale. Ungeklärt bliebe mit dem Modell auch noch die Frage der Unternehmenshilfen, die von Kommissionsmitgliedern als besonders schwierig bewertet wird.
Klar ist: Der Zeitdruck ist enorm, den zuletzt vor allem die Bundesregierung weiter verschärft hat. Anstatt wie anfangs gedacht erst Ende Oktober soll die Kommission möglichst schon nach der Zwei-Tages-Klausur am Wochenende etwas vorlegen - und so mit Doppel-Wumms-Tempo Verbraucher und Wirtschaft vor dem schlimmsten Preisschock bewahren. Am Ende müssen aber Kanzler Scholz und seine Koalitionspartner entscheiden, inwieweit sie den Kommissionsvorschlag umsetzen.