"Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof" steht auf einem Schild am Eingang zum Gebäude der Bundesanwaltschaft.

Gefangenenaustausch mit Russland Deal wider Willen

Stand: 01.08.2024 18:48 Uhr

Lange hat Russland versucht, den zu lebenslanger Haft verurteilten "Tiergartenmörder" freizubekommen. Jetzt ist Deutschland einen Deal eingegangen - allerdings gegen den Willen des Generalbundesanwalts.

Von Iris Sayram, ARD-Hauptstadtstudio

Es war ein hochpolitischer Prozess, der im Jahr 2020 vor dem Berliner Strafgericht verhandelt wurde. Angeklagt: Vadim Krassikow, russischer Staatsbürger. Er soll im Kleinen Tiergarten am helllichten Tag im August 2019 den Georgier Zelimkhan Khangoshvili im Auftrag der russischen Regierung erschossen haben.

Drei Schüsse seien abgefeuert worden, zwei davon direkt in den Kopf des am Boden liegenden 40-Jährigen, beschrieben Zeugen. Eine Vergeltung für seine Beteiligung im Tschetschenienkrieg gegen Russland, so hat es die Bundesanwaltschaft damals gesehen.

Das Urteil: lebenslange Haft wegen Mordes. Die besondere Schwere der Schuld wurde festgestellt. Damit wäre eine Freilassung nach Verbüßung eines Teils der Haft nicht automatisch möglich. Nun kommt er nach knapp fünf Jahren im Gefängnis doch frei. Krassikow saß zuletzt in der JVA Offenburg in Baden-Württemberg. Dort wurde er bereits heute Mittag abgeholt und zum Flughafen gebracht.

Russland versuchte jahrelang, Krassikow freizubekommen

Ein Gefangenenaustausch ist nicht direkt in den deutschen Strafprozessvorschriften geregelt - es ist eine hochkomplexe und vor allem sensible politische Angelegenheit, weniger eine juristische. Dennoch gibt es rechtsstaatliche Spielregeln, die auch hier gelten müssen. Verurteilte können nicht einfach so aus einer Haft entlassen werden.

Als Rechtsgrundlage wird daher Paragraf 456a der Strafprozessordnung herangezogen. Danach kann die Vollstreckungsbehörde von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe absehen, wenn der Verurteilte etwa ausgewiesen wird. Die Entscheidung darüber liegt im Ermessen des Generalbundesanwalts, der abwägen muss, was höher wiegt - das Vollstreckungsinteresse oder das Ausweisungsinteresse.

Weisung durch den Bundesjustizminister

Für Generalbundesanwalt Jens Rommel wiegt das Vollstreckungsinteresse im Falle Krassikows höher, heißt es aus Justizkreisen. Eine Ausweisung wäre damit eigentlich vom Tisch. Nicht nur müsse der Staat gerade bei einem Mord ein Urteil auch tatsächlich vollstrecken, es dürfe auch auf keinen Fall ein Exempel statuiert werden. Das könnte deutsche Staatsbürger im Ausland einer erheblichen Gefahr willkürlicher Verhaftungen aussetzen, heißt es weiter.

Doch Rommel hat hier nicht das letzte Wort. Der Bundesjustizminister hat ein Weisungsrecht. Davon macht Minister Marco Buschmann (FDP) Gebrauch. Die Begründung kommt am Abend: "Die Bundesregierung hat es sich nicht einfach gemacht", schreibt der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit, in einer Pressemitteilung. "Dem staatlichen Interesse an einer Vollstreckung der Freiheitsstrafe eines verurteilten Verbrechers standen die Freiheit, das körperliche Wohlergehen und - in einigen Fällen - auch das Leben unschuldig Inhaftierter gegenüber." 

Diese Schutzverpflichtung und auch die Solidarität mit den USA seien wichtige Beweggründe gewesen. Auch US-Staatsbürger in russischer Haft sind heute dafür freigekommen. Was deutlich wird: die Einmaligkeit des Vorgangs. Es ist der größte Austausch seit dem Kalten Krieg.

Hilfe bei der Entscheidungsfindung

Erst Anfang der Woche hatte der belarusische Präsident Alexander Lukaschenko den zum Tode verurteilten Deutschen Rico K. begnadigt. Ihm wurde Terrorismus vorgeworfen. Rico K. war Anfang November 2023 in Belarus verhaftet worden. Die Todesstrafe wurde im Juni ausgesprochen - er sollte per Genickschuss exekutiert werden. Belarus ist das einzige europäische Land, in dem die Todesstrafe noch vollstreckt wird.

Das Auswärtige Amt sprach von einer "erleichternden Nachricht", wollte sich aber nicht dazu äußern, ob der Fall ausschlaggebend war.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 01. August 2024 um 18:00 Uhr.