Leipziger OB zu Angriffen auf Politiker Justiz "viel zu luschig" bei Bedrohungen
In Berlin wurde Wirtschaftssenatorin Giffey angegriffen, der mutmaßliche Täter wurde inzwischen identifiziert. Angriffe auf Politiker häufen sich derzeit. Deutliche Worte findet der Leipziger OB - auch mit Blick auf die Justiz.
Der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung hat nach dem Angriff auf die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey auch ein entschiedeneres Vorgehen der Justiz bei der Bedrohung von Politikerinnen und Politikern gefordert.
"Wir sind viel zu lasch, viel zu luschig", sagte der SPD-Politiker im Deutschlandfunk. Er selbst habe in den vergangenen drei Jahren mehr als 50 Anzeigen wegen Bedrohungen an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. In zwei Fällen sei es zu einer Verurteilung gekommen. Vielfach würden solche Vorfälle als "normale, üble Nachrede" abgetan, die zu ertragen sei.
An Beleidigung und Stalking habe man sich fast gewöhnt, die Grenzen der freien Meinungsäußerung müssten neu markiert werden, forderte Jung, der auch Vizepräsident des Deutschen Städtetages ist. Als bei einer "Pegida"-Demonstration 2015 in Dresden ein Galgen für die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel "durch die Gegend getragen wurde, hat man zum ersten Mal geschlafen". "Da hätte man Eingreifen müssen", sagte er. Ermittlungen in der Sache waren von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden.
Jung betonte aber auch, man werde das Problem nicht alleine durch Polizei und Justiz in den Griff bekommen, sondern brauche eine Diskussion über die politische Kultur in Deutschland.
Giffey unvermittelt von hinten attackiert
Die SPD-Politikerin Giffey war gestern bei einem tätlichen Angriff im Berliner Stadtteil Rudow leicht verletzt worden. Ein Mann habe die frühere Regierende Bürgermeisterin am Nachmittag in einer Bibliothek unvermittelt "von hinten mit einem Beutel, gefüllt mit hartem Inhalt, attackiert und am Kopf sowie am Nacken getroffen", teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit. Nach dem Angriff habe sich Giffey "kurzzeitig zur ambulanten Behandlung der Kopf- sowie Nackenschmerzen in ein Krankenhaus begeben".
Der mutmaßliche Täter wurde inzwischen identifiziert. Weitere Informationen wollen die Ermittler im Tagesverlauf bekannt geben.
Giffey selbst meldet sich am Morgen zu Wort und teilte mit, sie sei wieder wohlauf. "Nach dem ersten Schreck kann ich sagen, es geht mir gut", erklärte Giffey. Angriffe auf Politiker stellten eine Grenzüberschreitung dar, der sich die Gesellschaft entschieden entgegenstellen müsse, sagte die Senatorin. Sie sei besorgt und erschüttert über eine sich verstärkende "Freiwildkultur", der Menschen, die sich politisch engagierten, ausgesetzt seien. Sie werde ihre Arbeit aber heute "unbeirrt" fortsetzen.
Wegner: "Das werden wir nicht hinnehmen"
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner verurteilte den tätlichen Angriff auf Giffey "aufs Schärfste". "Wer Politikerinnen und Politiker angreift, greift unsere Demokratie an", sagte der CDU-Politiker. "Das werden wir nicht hinnehmen. Wir werden uns jeder Form von Gewalt, Hass und Hetze entgegenstellen und unsere Demokratie schützen." Im Senat werde über Konsequenzen beraten werden, auch über härtere Strafen für Angriffe auf Politiker, kündigte Wegner an.
Die Polizeigewerkschaft GdP bezeichnete die Attacke auf Giffey als "hinterhältigen Angriff". "Die Attacken auf Mandatsträger haben in den letzten Jahren immer mehr zugenommen, im Social Media werden Hasskommentare abgegeben und mittels verbaler Gewalt der Nährboden für körperliche Gewalt gelegt", sagte Landeschef Stephan Weh in einer Mitteilung.
"Statt Meinungen auszutauschen und sich Argumenten zu stellen, wird heute gehetzt und zugeschlagen." Dies scheine mittlerweile längst Normalität, dürfe aber nicht sein. "Politiker, Polizisten, Feuerwehrleute und Ehrenamtler stehen im Fokus, weil sie selbst zurückstecken, um sich für andere zu engagieren."
Es werde Zeit, dass nachhaltige Maßnahmen ergriffen werden, um sie zu schützen. "Wir brauchen einen besseren strafrechtlichen Schutz von Amts- und Mandatsträgern sowie eine personelle und technische Stärkung von Polizei und Justiz, damit sie nicht zur Zielscheibe werden", so Weh.
Grünen-Politikerin in Dresden bedroht
In den vergangenen Tagen hatte es mehrere Angriffe auf Politiker verschiedener Parteien gegeben - neben SPD und Grünen war auch die AfD betroffen. Am Freitagabend war der 41-jährige SPD-Politiker Ecke beim Plakatieren in Dresden von mehreren Personen angegriffen und so schwer verletzt worden, dass er operiert werden musste.
Aus Sachsen wurde nun ein weiterer Fall gemeldet: In Dresden sei eine Grünen-Politikerin bedroht und bespuckt worden, teilte die Polizei mit. Die 47-Jährige habe in Begleitung Wahlplakate aufgehängt. Dabei habe sich ihr ein Mann genähert, sie beiseite gestoßen und zwei Plakate heruntergerissen, die Anwesenden beleidigt und bedroht. Eine Frau sei dazugekommen und habe die Politikerin bespuckt. Beide Verdächtigen wurden nach Angaben der Polizei in der Nähe des Tatorts festgenommen. Um welche Politikerin es sich handelte, wurde nicht mitgeteilt.
Innenminister wollen Übergriffe härter ahnden
Politiker aller Parteien verurteilten die Attacken auf Politiker und Wahlkämpfer scharf. Gestern hatten sich die Innenminister von Bund und Ländern vor dem Hintergrund der jüngsten Angriffe zu einer Sondersitzung getroffen. Sie sprachen sich für einen besseren Schutz politisch engagierter Menschen und auch für eine Verschärfung des Strafrechts aus.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte nach der Konferenz, die Zahl der Angriffe auf Mandatsträger sei 2023 bereits im Vergleich zu 2022 um 53 Prozent gestiegen. "Wir erleben hier eine Eskalation antidemokratischer Gewalt", erklärte sie.
Faeser pocht auf schnellere Justizverfahren
Im Interview mit den tagesthemen machte sie klar, dass "ein ganz deutliches Stoppsignal für Gewalttäter" nötig sei. Sie kündigte in diesem Zusammenhang eine Strafverschärfung an. "Ich werde mich dafür jetzt bei Bundesjustizminister Buschmann auch einsetzen", erklärte Faeser. Zudem gebe es einen Beschluss, auf den die Innenminister Bezug nehmen, der dem Deutschen Bundestag vorliegt. "Dort hat der Bundesrat eindeutig entschieden, dass bei der Strafzumessung etwas getan werden soll."
Dennoch dämpfte die Ministerin in dem Interview die Erwartungen, dass dies das Problem vollständig löse. Es brauche unter anderem schnellere Verfahren der Justiz, um Tätern schnell Grenzen aufzuzeigen. Wichtig sei auch, dass alle Straftaten angezeigt und konsequent verfolgt würden.