Nach Einigung der EU-Staaten Asyl-Kompromiss spaltet die Grünen
Mit Beteiligung der Grünen hat die Bundesregierung der Verschärfung der EU-Asylregeln zugestimmt. Doch in Teilen der Partei stößt der Beschluss auf heftigen Widerspruch. Innenministerin Faeser zeigte sich dagegen zufrieden.
Nach der Zustimmung der Bundesregierung zur geplanten Verschärfung der europäischen Asylregeln zeichnen sich hitzige Diskussionen bei den Grünen ab. Kaum hatten die EU-Innenministerinnen und -minister die Einigung ihrer Staaten in Luxemburg mit Applaus besiegelt, da meldeten sich die Doppelspitzen sowohl der grünen Partei- als auch der Fraktionsführung mit je zwei unterschiedlichen Bewertungen zu Wort.
Nouripour: "Notwendiger Schritt"
Der als Pragmatiker geltende Co-Parteichef Omid Nouripour erklärte am Donnerstagabend, zentrale Forderungen wie etwa eine Ausnahme für Familien mit Kindern im Grenzverfahren seien zwar nicht erreicht worden. Zugleich sprach er bei Twitter aber auch von "klaren Verbesserungen". "Es gibt viel zu diskutieren und das werden wir weiterhin tun - solidarisch und respektvoll - wie wir es als Grüne immer getan haben. In der Gesamtschau komme er zu dem Schluss, "dass die Zustimmung ein notwendiger Schritt ist, um in Europa gemeinsam voranzugehen."
Co-Parteichefin Ricarda Lang äußerte sich ähnlich differenziert, sie kommt aber zu einer anderen Bewertung. Auch auf Drängen Deutschlands gebe es Verbesserungen wie die Ausnahme für unbegleitete Minderjährige, schrieb sie bei Twitter. Zentrale Punkte seien jedoch nicht erreicht worden. "So wird es keine grundsätzliche Ausnahme von Kindern bei Grenzverfahren geben und auch ein verpflichtender Verteilmechanismus konnte, trotz Fortschritten bei Solidarität und Verteilung, nicht erreicht werden."
Lang folgerte: "Deshalb komme ich zu dem Ergebnis, dass Deutschland bei dem Vorschlag zur GEAS-Reform im Rat heute nicht hätte zustimmen dürfen." GEAS steht für Gemeinsames Europäisches Asylsystem. Der Riss geht dabei auch durch das Duo in der Fraktionsspitze: Britta Haßelmann befürwortete die Beschlüsse, Katharina Dröge lehnte sie ab.
Heinrich: "Ich bin fassungslos"
Massive Kritik kam von Europaparlamentariern der Grünen. "Die EU-Mitgliedsstaaten haben ihren moralischen Kompass verloren", monierte der Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament, Rasmus Andresen. "Es ist beschämend, dass auch die deutsche Innenministerin Nancy Faeser mit Zustimmung der Ampel-Koalition diesem Vorschlag zugestimmt hat." Die gute Nachricht sei, dass diese Einigung noch nicht Gesetz sei.
Geradezu entgeistert äußerte sich das Führungsduo der Nachwuchsorganisation Grüne Jugend, Timon Dzienus und Sarah-Lee Heinrich. Dzienus schrieb über den Kompromiss auf Twitter: "Das ist unmenschlich und ich werde das so nicht akzeptieren". Heinrich schrieb: "Ich bin Fassungslos. Abschottung sorgt nicht dafür, dass weniger Menschen fliehen. Es bedeutet, dass mehr Menschen leiden." Hunderte Grüne hatten zuletzt in einem Schreiben an Spitzenvertreter ihrer Partei vor den Asylplänen gewarnt.
Baerbock und Habeck verteidigen Kompromiss
Zustimmung zu den Beschlüssen kam von jenen Grünen, die mit SPD und FDP am Kabinettstisch sitzen. Außenministerin Annalena Baerbock und Vizekanzler Robert Habeck verteidigten den Kompromiss unter Verweis auf die Notwendigkeit einer Einigung in Europa. "Ich habe hohe Achtung vor denen, die aus humanitären Gründen zu anderen Bewertungen kommen", sagte Habeck der Nachrichtenagentur dpa. "Ich hoffe, sie sehen auch, dass es Gründe gibt, dieses Ergebnis anzuerkennen."
Baerbock, die gerade in Lateinamerika unterwegs ist, wendete sich in einem ausführlichen Brief, der dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt, an die Bundestagsfraktion der Grünen. Die Entscheidung für die Reform sei ihr persönlich schwer gefallen. Der jetzt erreichte Kompromiss sei absolut kein einfacher. "Zur Ehrlichkeit gehört: Wenn wir die Reform als Bundesregierung alleine hätten beschließen können, dann sähe sie anders aus. Aber zur Ehrlichkeit gehört auch: Kein Kompromiss hätte bedeutet, dass gar keine Geflüchteten mehr verteilt werden."
Faeser: "Weiter ein Europa der offenen Grenzen"
Ihr Kabinettskollege von der FDP, Justizminister Marco Buschmann, sprach auf Twitter von einem "historischen Durchbruch" und hoffte auf eine Entlastung auch deutscher Kommunen. Auch Innenministerin Faeser, die in Luxemburg für Deutschland der Reform zugestimmt hatte, zeigte sich zufrieden. "Erstmal bin ich sehr froh, dass diese historische Entscheidung heute gelungen ist", sagte sie im tagesthemen-Interview.
Es sei wichtig und richtig, dass nun mit der Asylmigration gemeinsam umgegangen werde statt nationalstaatlich. "Wir haben erreichen können, dass wir weiter ein Europa der offenen Grenzen sein können", so Faeser. Das sei andernfalls nicht zu halten gewesen, weil sich alle einfach abgeschottet hätten. "Diese großen Fragen können wir nicht mehr alleine lösen, als Nationalstaaten. Das geht nur europäisch."
Migrationsforscher in Sorge
Scharfe Kritik an den Beschlüssen kam von Pro Asyl. "Ich halte das, was die Ampel tut, für einen historischen Fehler", sagte der Leiter der Europaabteilung, Karl Kopp, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Die Ampel nimmt in Kauf, dass Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ausverkauft werden." Sie habe keine rote Linie durchgesetzt und alles akzeptiert.
Migrationsforscher Bernd Kasparek sagte im Deutschlandfunk, es sei beunruhigend, dass sich die deutsche Innenministerin Faeser im Grunde mit gar keinem Punkt habe durchsetzen können. Das zeige, wie weit rechts sich der Konsens in der EU im Moment befinde. Auch in einer Demokratie gebe es ein paar rote Linien, die man nicht überschreiten sollte. Das, was nun an den Grenzen geschehen solle, sei aber kein Asylverfahren mehr, so der Forscher. Die Menschen könnten ihre Fluchtgründe nicht mehr vorbringen und inhaltlich prüfen lassen.
Maria Sonnek von der Aktion Seebrücke kritisierte den Beschluss als menschenfeindliche "Aussetzung eines fairen und rechtsstaatlich abgesicherten Asylprozesses". Statt die Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einzuhalten, knicke die Bundesregierung "den rechten und faschistischen Regierungen und Strömungen in Europa gegenüber ein und macht die Gewalt gegenüber Schutzsuchenden zum Teil des europäischen Wertesystems".
Neue Regeln deutlich restriktiver
Die Asylverfahren in der EU sollen angesichts der Probleme mit illegaler Migration deutlich verschärft werden. Eine ausreichend große Mehrheit an Ministern stimmte in Luxemburg für umfassende Reformpläne. Vorgesehen ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive.
So sollen ankommende Menschen aus als sicher geltenden Ländern künftig nach dem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen. Dort würde dann im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, soll er umgehend zurückgeschickt werden.
Zudem sehen die am Donnerstag beschlossenen Pläne auch mehr Solidarität mit den stark belasteten Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen vor. Sie soll künftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, würden zu Ausgleichszahlungen gezwungen. Länder wie Ungarn stimmten deswegen gegen den Plan. Nach Angaben der zuständigen Kommissarin Ylva Johansson können abgelehnte Asylbewerber künftig grundsätzlich auch in Nicht-EU-Länder abgeschoben werden. Einzige Voraussetzung soll sein, dass sie eine Verbindung zu diesem Land haben.