Robert Habeck neben Christian Lindner und Olaf Scholz
Analyse

Ampel-Verhandlungen Warum die Grünen schlecht aussehen

Stand: 29.03.2023 16:42 Uhr

Auch wenn sie darauf beharren, viele kleine, wichtige Erfolge erzielt zu haben - das Ergebnis des Koalitionsausschusses sieht schlecht aus für die Grünen. Vor allem die FDP setzte sich durch.

Eine Analyse von Michael Weidemann, ARD Berlin

Wie der erste Eindruck doch täuschen kann: Weit über die Hälfte der Beschlüsse und Maßnahmen des "Modernisierungspakets" trägt erkennbar eine grüne Handschrift. Das Einigungspapier der Koalition greift eine Fülle ökologischer und klimapolitischer Themen auf. Und doch wird beim Blick auf die wichtigsten Streitpunkte der Ampel sehr schnell klar: Durchgesetzt haben sich die anderen Partner - vor allem die Liberalen.

Sei es das "überragende öffentliche Interesse" am Ausbau des Autobahnnetzes - gleich 144 Streckenabschnitte sollen beschleunigt realisiert werden -, sei es der Verzicht auf die Austauschpflicht für Öl- und Gasheizungen oder die Abkehr von festen Klimazielen im Verkehrsbereich: Wo immer sich die Koalitionäre in den vergangenen Wochen ineinander verkeilt hatten, geht die FDP nun als klare Siegerin aus dem Ring. Die Grünen dagegen sind technisch k.o. Für das Regierungsbündnis, aber auch für die Zukunft der Grünen wird das nicht folgenlos bleiben.

Das Grünen-Milieu wendet sich ab

Noch ist es auffallend ruhig an der grünen Basis. In den Landesverbänden und Arbeitsgemeinschaften der Partei scheint man die Resultate der Marathonsitzung erst einmal verarbeiten zu müssen. Aus Klimainitiativen und Umweltverbänden aber hagelt es Kritik an den Beschlüssen der Ampel - und an der Rolle des Grünen-Establishments.

Das Grünen-Milieu wendet sich mit überraschend klaren Worten ab von der Führung in Partei und Fraktion. Das wird sehr bald auch auf die Parteibasis durchschlagen, wo der Unmut über frühere Niederlagen bei strittigen Entscheidungen noch immer gärt. Unvergessen das Machtwort des Kanzlers bei der Verlängerung der Laufzeiten von Kern- und Kohlekraftwerken - für viele Veteranen der Anti-AKW-Bewegung ein mehr als symbolischer Tabubruch, fast widerstandslos hingenommen von den grünen Kabinettsmitgliedern.

Anhaltend auch die Enttäuschung über den Kompromiss zum Kohleabbau in Lützerath, ausgehandelt vom eigenen Bundeswirtschaftsminister. Und weiter auf Unverständnis stößt auch der von der FDP erzwungene, von Robert Habeck hingenommene Kompromiss beim europäischen Aus für Fahrzeuge mit Verbrennermotor.

Einordnung von Christoph Mestmacher, ARD Berlin, zur Regierungsbefragung mit Kanzler Scholz

tagesschau24 15:00 Uhr

Vom Tiger zum Bettvorleger?

Der kalkulierte Wutausbruch Habecks gegen die "Fortschrittsverhinderer" in der Ampel hatte sich deshalb nicht zuletzt an die eigene Basis gerichtet. Jetzt, nach den über zweitägigen Verhandlungen, steht der rhetorische Tiger Habeck da wie der viel zitierte Bettvorleger - jedenfalls in den Augen derer, für die die reine grüne Lehre nach wie vor erste Richtschnur allen politischen Handelns ist.

Da nützt es wenig, dass die Parteivorsitzenden auf einer Feinanalyse der Beschlüsse des "Modernisierungspakets" bestehen und all die kleinen - in der Summe nicht einmal unerheblichen - Erfolge aufzählen, die sich in dem Papier aus grüner Sicht wiederfinden. Die öffentliche Wahrnehmung bleibt eine andere.

Es könnte eng werden

Die nächste Nagelprobe für Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock, Umweltministerin Steffi Lemke und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir steht unmittelbar bevor. Über den ebenfalls hart umkämpften Bundeshaushalt hat die Runde im Kanzleramt nämlich kein Wort verloren. Erst bei der anstehenden Festlegung der Haushaltseckwerte - und mehr noch beim im Frühsommer vorzulegenden Etatentwurf der Bundesregierung - wird sich zeigen, wie sehr die Position der Grünen nach dem Showdown im Kanzleramt tatsächlich geschwächt ist.

"Für eine Partei war es in der Tat ein gutes Ergebnis", Albrecht von Lucke, "Blätter für deutsche und internationale Politik"

tagesthemen, tagesthemen, 29.03.2023 22:15 Uhr

Setzen sich die grünen Chefs aus dem Wirtschafts- und Außenministerium, dem Umwelt- und dem Landwirtschaftsressort mit ihren Milliardenforderungen nicht gegen FDP-Finanzminister Lindner durch, könnte es eng werden für die grünen Galionsfiguren - nicht nur innerhalb der eigenen Partei.

Michael Weidemann, Michael Weidemann, ARD Berlin, 30.03.2023 05:39 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 28. März 2023 um 22:15 Uhr.