Habeck erklärt Energiekurs "Buh"-Rufe auf der Sommertour
Wirtschaftsminister Habeck war gekommen, um seine Energiepolitik zu erklären. Aber in Bayreuth und in Schleusingen schallten ihm "Buh"-Rufe entgegen. Persönliche Nachteile will hier kaum jemand in Kauf nehmen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck muss immer noch husten. Das Coronavirus ist besiegt, aber offenbar nicht vollständig auskuriert. Als er beim Bürgerdialog auf dem Ehrenhof in der Innenstadt von Bayreuth auf der Bühne steht, muss er immer wieder husten.
Zwischendurch wirft er einen Bonbon ein - und eine ältere Dame fragt besorgt, ob er denn ausreichend Schlaf bekomme, er sehe ja doch etwas mitgenommen aus. Habeck grinst; er schlafe schon genug, sagt er, und wenn er das Gefühl habe, er müsse etwas erklären, dann tue er das halt.
Demonstranten beschimpfen Habeck ...
In Bayreuth allerdings muss er nicht nur erklären, sondern auch 100 Demonstranten übertönen, die ihn laut und ausdauernd auffordern, abzuhauen. Einige beschimpfen den Minister als "Kriegstreiber". Habeck will an diesem Donnerstagabend in Bayreuth eigentlich eher seine Energiepolitik erklären. Er will klar machen, wie wichtig er es findet, Energie zu sparen.
Doch die Demonstranten verstummen nicht, und die Beschimpfung "Kriegstreiber" will Habeck dann doch nicht auf sich sitzen lassen: Der wahre Kriegstreiber sei Putin, ruft er. Angst vor steigenden Gaspreisen oder einer Mangellage spielen nur mittelbar eine Rolle.
Demonstranten beschimpfen den Grünen-Politiker Habeck - und sie haben viele Fragen.
... und die Strom- und Gasrechnung kommt noch
In Bayreuth muss Habeck Fragen beantworten, die ihm in Interviews kaum noch gestellt werden: Ob die Bundesregierung nicht doch mehr mit Putin reden solle, ob die Unterstützung der Ukraine die ganzen lästigen Konsequenzen wirklich wert sei, es gehe dort ja kaum voran. Habeck trägt geduldig und mehrmals vor, warum Deutschland der Ukraine helfe und warum Reden nur etwas bringe, wenn das Gegenüber auch zuhört - während die Demonstranten weiter "Hau ab" skandieren und mit ihren Trillerpfeifen Lärm machen.
Der neutrale Beobachter fragt sich, wie viel lauter die Proteste wären, wenn all diese und alle anderen Leute schon ihre Strom- und Gasrechnung in der Hand hielten. Vermutlich wäre der Wirtschaftsminister dann nicht mehr Umfragekönig.
Noch ist Habeck ja - Proteste in Bayreuth hin oder her - laut ARD-DeutschlandTrend der zweitbeliebteste Politiker in Deutschland, nur mit seiner Parteifreundin Anna-Lena Baerbock, der Bundesaußenministerin, sind die Wahlberechtigten noch ein bisschen zufriedener. Der Minister ahnt, dass diese Werte Vergangenheit sein dürften, sobald die Folgen der Energiekrise in den Portemonnaies der Verbraucher ankommen.
Demonstranten auch in Thüringen
Andere wissen längst, wie teuer die Gaskrise für sie wird. Habeck ist inzwischen nach Thüringen weitergereist, nach Schleusingen, zum Glasproduzenten Wiegand. Das Unternehmen produziert täglich 3,6 Millionen Flaschen und braucht dafür mehr als 80.000 Kubikmeter Gas am Tag. Es ist Freitagvormittag, wieder wird Habecks Besuch von Demonstranten vor dem Werkstor begleitet, und die Unternehmensleitung begrüßt den Minister mit alarmierenden Zahlen: Rund 100 Millionen Euro Mehrkosten entstünden der Firma durch die höheren Energiepreise. Man habe seinen Kunden schon die Preise erhöhen müssen, aber alles könne man nicht weitergeben.
Firmenchef Oliver Wiegand klagt dem Minister sein Leid: gestörte Lieferketten, Personalmangel, Bürokratie und natürlich die Energiekrise. Jetzt komme auch noch die Umlage, die den Gasimporteur Uniper retten soll und die Gasverbraucher wie sein Unternehmen werden zahlen müssen.
Habeck besucht das Schleusinger Unternehmen Wiegand Glashüttenwerke GmbH und lässt sich von den Geschäftsführern die Anlagen erklären. Auch hier warten Demonstranten vor den Werkstoren.
Frage nach Nord Stream 2
Von den Demonstranten vor dem Werkstor lässt Wiegand dem Minister ausrichten, dass man doch die Gasleitung Nord Stream 2 in Betrieb nehmen könne. Auch Wiegand selbst findet diesen Gedanken offenbar reizvoll. Für Habeck kommt eine Öffnung von Nord Stream 2 aus mehreren Gründen nicht infrage. Tatsächlich wäre Deutschland, würde sich die Regierung dafür entscheiden, bei seinen internationalen Partner wohl für lange Zeit unten durch.
Und so bekennt sich Habeck lediglich zu einer Verlängerung staatlicher Hilfe für Unternehmen mit großem Energiebedarf; bisher sind diese nur bis Anfang September möglich. Zu denken geben dürfte dem Minister, dass er ein halbes Jahr nach Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine ernsthaft nach einer Öffnung von Nord Stream 2 gefragt wird - und das in einer Zeit, in der Gas zwar teuer ist, aber noch geliefert wird.
Auf Habeck und die gesamte Regierung warten unruhige Zeiten. Noch ist eine Mehrheit der Deutschen bereit, wegen der Sanktionen gegen Russland persönliche Nachteile in Kauf zu nehmen. Aber die meisten haben auch ihre Gasrechnung noch nicht gesehen.