Haushaltsdebatte im Bundestag Lindner gegen "neue uferlose Schulden"
37 Milliarden Euro allein für Zinskosten: Für Finanzminister Lindner ist ein Kurswechsel in der Haushaltspolitik alternativlos. Angesichts "neuer uferloser Schulden" müsse gespart werden, sagte er im Bundestag. Und er machte wenig Hoffnung auf Besserung.
Bundesfinanzminister Christian Lindner hat den Kurswechsel der Ampelkoalition in der Haushaltspolitik verteidigt. Zum Auftakt der Haushaltswoche im Bundestag sagte der FDP-Politiker, es gehe "um die Rückkehr zur Schuldenbremse - oder genauer gesagt: zu langfristig tragfähigen Staatsfinanzen."
In der Corona-Pandemie seit 2020 und den Energiepreisschocks 2022 sei es richtig gewesen, staatlich zu helfen. Nun müsse die Regierung aber angesichts der hohen Inflation einen Ausweg aus der lockeren Finanzpolitik finden. "Wir müssen uns neu fokussieren", sagte Lindner. Deswegen werde im Kernhaushalt die Schuldenbremse wieder eingehalten. "Wer den Ausstieg aus der Krisenpolitik nicht findet, der gefährdet dauerhaft die Stabilität unseres Gemeinwesens."
37 Milliarden Euro allein für Zinsausgaben
Lindner verwies auf die rasant steigenden Ausgaben für den Schuldendienst. Im kommenden Jahr rechne er mit 37 Milliarden Euro Kosten allein für Zinsausgaben - gegenüber 2021 sei dies eine Verzehnfachung. "Die Zinskosten im Haushalt sind mittlerweile doppelt so hoch wie der Etat der Bildungs- und Forschungsministerin", sagte er. "Wir können uns neue uferlose Schulden einfach nicht erlauben. Sie wären schlicht nicht finanzierbar."
Der Bundestag berät die ganze Woche noch über den Haushaltsentwurf für 2024 und die mittelfristige Finanzplanung bis einschließlich 2027. Der Etatentwurf für 2024 sieht Ausgaben von 445,7 Milliarden Euro vor und damit rund 30 Milliarden weniger als in diesem Jahr. Lindner sagte, die Gesamtausgaben lägen noch rund ein Viertel über dem Niveau von 2019, also vor der Pandemie. "Von einem Kahlschlag kann also keinesfalls die Rede sein." Mit einer Neuverschuldung von 16,6 Milliarden Euro will Lindner die Schuldenbremse das zweite Jahr in Folge einhalten.
Viel Geld in vielen Sondertöpfen
Zu den Ausgaben kommen allerdings hohe Summen aus anderen Geldtöpfen wie dem schuldenfinanzierten 100-Milliarden-Fonds für die Bundeswehr sowie dem Klima- und Transformationsfonds. Der Bundesrechnungshof wirft der Regierung daher vor, die echte Verschuldung durch diese Sonderfonds zu verschleiern.
Auch der CDU-Politiker Helge Braun, Vorsitzender des Haushaltsausschusses des Bundestages, warf der Ampelkoalition vor, mit einer Ausweitung von Schattenhaushalten vermeintlichen Sparwillen zu verschleiern. Braun sprach im Deutschlandfunk von 29 großen Schattenhaushalten wie Sondervermögen. Die wirkliche Neuverschuldung sei damit fünfmal höher als im Haushaltsentwurf angegeben. "Das ist einfach zu viel", kritisierte Braun.
Middelberg: Unterstützung der Koalitionspartner fehlt
Der CDU-Haushaltsexperte Mathias Middelberg sagte im Bundestag, zwar gehe Lindners Entwurf in die richtige Richtung - allerdings müsse der Finanzminister sich nun darum kümmern, die "Regierung auf Kurs zu bringen". Die Regierung habe keine einheitliche Linie und keinen Plan für dieses Land.
Der Budgetentwurf habe nicht die Unterstützung der Koalitionspartner. Er habe "keine einzige Hand hier gesehen bei der SPD und bei der Grünen-Fraktion, die sich zum Applaus bewegt hätte", sagte der CDU-Politiker. "Bei der SPD und den Grünen ist nur eine Lösung, die immer wieder diskutiert wird - nämlich Schulden machen."
AfD spricht von "Buchungstricks"
Von "Buchungstricks" sprach der AfD-Haushaltsexperte Peter Boehringer. "Das ist ein Haushalt der über Sondervermögen verschleierten Riesenverschuldung", sagte Boehringer. "Ohne die Buchungstricks wäre der ganze Spuk vorbei." Boehringer sagte, schon die offizielle Neuverschuldung von 16,6 Milliarden Euro bewege sich "exakt an der Schwelle zur Verfassungswidrigkeit". Die tatsächliche Neuverschuldung belaufe sich aber auf 102 Milliarden Euro, weil Ausgaben aus Sondervermögen und anderen Töpfen am Bundeshaushalt vorbei getätigt würden.
Linke kritisiert Verteidigungsausgaben
Für die Linksfraktion kritisierte Gesine Lötzsch vor allem Mehrausgaben für Verteidigung. "Keine Regierung hat bisher so rücksichtslos aufgerüstet", sagte sie in der Debatte. Notwendig sei aber mehr Geld für "eine wirkliche Kindergrundsicherung", für Bildung und für Gesundheit. Scharf kritisierte Lötzsch die mit dem Etatentwurf verbundenen Einsparungen. "Sie wollen in allen sozialen Bereichen kürzen", warf sie der Regierung vor. Dies werde die Krise in Deutschland nur verschärfen.
Kürzungen im Sozialbereich
Einschnitte gibt es laut den Plänen der Bundesregierung vor allem bei den Bundeszuschüssen für die Sozialversicherungen. So soll der Zuschuss für die Pflegeversicherung komplett entfallen, der Zuschuss für die Rentenversicherung gekürzt werden. Auch im Sozialbereich sind Kürzungen geplant - etwa bei der Jugendhilfe oder der politischen Bildungsarbeit. Das sorgt für Kritik bei den entsprechenden Verbänden.
Das Deutsche Kinderhilfswerk nannte die geplanten Kürzungen im Familienministerium ein "verheerendes Zeichen". "Der geplante Haushalt des Familienministeriums wird zu harten Einschnitten vor allem in der Kinder- und Jugendhilfe führen", erklärte Verbandspräsident Thomas Krüger. Er verwies konkret auf geplante Kürzungen beispielsweise bei den Maßnahmen der Integrations- und Migrationsforschung sowie beim Zukunftspaket für Bewegung, Kultur und Gesundheit, beim Bundesfreiwilligendienst oder den "Kahlschlag bei den Zuschüssen für Familienferienstätten". All dies dürfe "nicht realisiert werden", forderte Krüger.
Als "Wortbruch" bezeichnete der Deutsche Gewerkschaftsbund die Kürzungen bei der politischen Bildungsarbeit. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack wies darauf hin, dass die Koalition in ihrem Vertrag eine "bedarfsdeckende Ausstattung des Kinder- und Jugendplans und eine Stärkung von politischer Bildung und Demokratiebildung" vorgesehen habe. Hannack kritisierte insbesondere die Kürzung im Etat des Bundesfamilienministeriums für den Kinder- und Jugendplan um 18,6 Prozent und die Kürzung im Budget der Bundeszentrale für politische Bildung um 21 Prozent.
Lindner erwartet noch härtere Einsparungen
Der Finanzminister stimmte derweil auf noch härtere Einsparungen ein. Er verwies auf Belastungen jeweils in zweistelliger Milliardenhöhe ab 2028, wenn die Corona-Kredite zurückgezahlt werden müssten und das Bundeswehr-Sondervermögen aufgebraucht sei. "Hinter der Horizontlinie, da kommt ein Eisberg, um nicht zu sagen ein Eisberg-Feld", warnte der Finanzminister. Die Entwicklung des Sozialstaats müsse gebremst werden - aber nicht durch die Streichung von Leistungen, sondern durch mehr Erwerbsanreize.