Mehr Frauenbeteiligung "Ich werde nicht aufhören zu kämpfen"
Nach 40 Jahren Einsatz für mehr Frauenbeteiligung zieht Rita Süssmuth eine düstere Bilanz. Vor allem in der Politik sei wenig erreicht worden. Fortschritt gebe es immer nur nach Kampf, sagt sie im Gespräch mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Sie mussten sich politisch durchbeißen, wo wären sie gern im Nachhinein noch nachdrücklicher gewesen?
Rita Süssmuth: Ich wollte Politik gestalten, nicht allein Gegebenes verwalten. Wir brauchten Veränderung und dagegen gab es massive Widerstände. Ich habe lernen müssen, welches Schneckentempo zu überwinden ist. Es ist damals in der CDU nicht einmal gelungen, einen bestimmten Anteil von 30 Prozent - das Quorum - verbindlich zu verankern. Ich bin zweimal damit gescheitert - die Formulierung war nicht mehr als eine Empfehlung und ist es gegenwärtig noch immer.
tagesschau.de: Aus heutiger Sicht - hätten Sie politisch radikaler vorgehen sollen?
Süssmuth: Angesichts des internationalen Frauentages eine wichtige Frage. Damals stand offizielle Politik dagegen, heute bin ich radikaler, weil die politischen Verhältnisse es erfordern.
Als Ministerin habe ich gelernt: Aufhören, um etwas zu bitten - sondern nach den Rechtsgrundlagen zu fragen oder sie zu schaffen. Mit Empfehlungen dürfen wir uns nicht zufrieden geben. Nur mit verlässlicher, verbindlicher Rechtsgrundlage sind Veränderungen zu schaffen.
tagesschau.de: Was folgt daraus?
Süssmuth: Wenn ich nur die Zeit von 1980 bis 2020 anschaue, sind wir mit der politischen Beteiligung von Frauen in der CDU nicht weiter gekommen. Die Grünen haben von Anfang an alles anders gemacht und wirklich durchgegriffen. Sie haben bereits 1986 bei Gründung ihrer Partei den Frauenanteil paritätisch festgelegt, also 50:50 Frauen und Männer.
Die Quote war und ist immer eine Krücke - ich begrüße jeden Vorschlag zur paritätischen Beteiligung, der es noch besser macht. Nur bin ich kein Macron in der CDU. Auch ein Heiner Geißler hat das seinerzeit noch nicht geschafft.
tagesschau.de: Warum nicht?
Süssmuth: Die alte Rollenteilung von Frauen und Männern war tief verankert, so dass eine schnelle Veränderung, insbesondere in der Politik nicht erwünscht und möglich schien. Geißler hat dafür gekämpft, dass sich etwas verändert. Heute gewinne ich erneut den Eindruck, dass viele meinen, wir könnten die Entwicklung zurückschrauben. Es wird nicht anerkannt, dass der hohe politische Gestaltungsbedarf, den wir im Augenblick haben, eine Sache von Männern und Frauen ist - zu gleichen Anteilen.
Ohne Parität wird es nicht gelingen, die seit langem immer wieder beklagten Benachteiligungen und Ungleichheiten für Frauen - wie Gender Pay Gap, Gender Care Gap, Gender Leadership Gap und Gender Pension Gap, also bei Bezahlung, Betreuung von Familienangehörigen und bei der Altersvorsorge - abzubauen und zu beseitigen.
Beim Festakt zu "100 Jahren Frauenwahlrecht" bekannte sich auch Kanzlerin Angela Merkel 2018 zur Parität in der Politik - hier im Kreise der amtierenden und früherer Familienministerinnen.<br/><br/>Rita Süssmuth (CDU, v. l. n. r.), Manuela Schwesig (SPD), Angela Merkel (CDU), Franziska Giffey (SPD) und Christine Bergmann (SPD)
tagesschau.de: Sie sagten kürzlich, das Verfassungsgericht habe eher bei der Gleichberechtigung geholfen. Wo hätten Sie in der Politik mehr handeln sollen?
Süssmuth: In der Umsetzung. Frauen haben viel erreicht, wir sind nicht ohnmächtig. Nehmen Sie den gesamten Bildungs- und Berufssektor. Der rechtsverbindliche Zugang war wichtig, weil hier eine Rechtsgrundlage geschaffen wurde zum Abitur, Studium, zur Promotion und Habilitation. Das Potenzial ist da. Am wenigsten weit gekommen sind wir in der Politik. Es kommt jetzt entscheidend auf den gemeinsamen Kampf von Frauen und Männern an. Keiner kann es alleine, wir brauchen viele und Zusammenhalt.
Ich habe oft gedacht: Na, packe ich es nochmal, werde ich nochmals akzeptiert oder nicht? Heute ist das mit der Akzeptanz sehr viel größer geworden. Das merke ich auch in meiner Partei. Ich bin nicht mehr so alleine.
tagesschau.de: Sie empfinden sich nicht mehr als Außenseiterin?
Süssmuth: Als Außenseiterin fühle ich mich manchmal immer noch. Aber der Kreis der Unterstützer und Unterstützerinnen ist doch sehr viel größer geworden. Aber wir diskutieren zum Teil sehr kontrovers, noch immer um den zentralen Satz im Grundgesetz herum (Art.3, 2 Satz 2): "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung (...) und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin." Dieser Grundgesetzartikel wird oft vernachlässigt, außen vor gelassen. Die Freiheit der Wahl ist vermeintlich gewichtiger als die Forderung nach Gleichberechtigung von Frauen und Männern.
tagesschau.de: Sie spielen auf die zwei aktuell gescheiterten Versuche in Bundesländern an, bei Listenaufstellungen per Gesetz Parität zu etablieren. Sehen sie noch eine Chance auf ein Paritätsgesetz mithilfe der CDU in absehbarer Zeit?
Süssmuth: Wir haben uns in der Struktur- und Satzungskommission für einen Stufenplan entschieden. Die Partei muss diesen noch beschließen. Unabhängig davon werden wir nicht aufhören, für eine stärkere politische Beteiligung von Frauen zu kämpfen. Ich jedenfalls nicht. Und ich kenne viele Frauen und Mitstreiter, die ebenso nicht aufgeben, gerade jetzt nicht.
Es ist immer nur nach Kampf Fortschritt erfolgt. Das heißt für uns nicht aufzuhören, sondern die Gesetze verfassungsgemäß zu machen. Und der Zeitpunkt ist gekommen, an dem ich auch hier sage 'Parität jetzt' und nicht erst in 100 Jahren.
"Mich wundert nicht, dass Frauen sich aus der Politik zurückziehen"
tagesschau.de: Der Bundestag hat einen Frauenanteil von 31 Prozent, niedriger als in früheren Legislaturperioden. Warum haben es Frauen in der Politik immer noch schwer?
Süssmuth: Es stimmt, dass sie es oft schwerer haben. Frauen machen auch heute noch die Erfahrung, im Kampf für mehr Gleichberechtigung innerparteilich keine Unterstützung zu erfahren und abgestraft zu werden. Sie landen auf Plätzen, mit denen sie wenig Chance auf ein Mandat haben. Da verwundert es nicht, dass sie nicht mehr kandidieren. Auch die Anwerbung engagierter Frauen erschwert sich durch diese möglichen Konsequenzen.
tagesschau.de: Was raten Sie Frauen, die sich heute in der Politik engagieren wollen?
Süssmuth: Macht euch bewusst: wenn ihr euch raushaltet, hat das Folgen. Verbesserungen haben sich immer nur eingestellt, wenn Frauen auch widerständig waren und zusammen hielten.
tagesschau.de: Dieses Land hat seit mehr als 15 Jahren mit Angela Merkel eine Frau an der Spitze der Regierung - und fast so lange auch an der CDU-Parteispitze. Was hat sie für Frauen bewirkt?
Süssmuth: Sie hat als einzelne Frau gezeigt, dass wir es können. Eine Frau, die das Amt anders ausübt als ihre Vorgänger - die Macht nicht scheut und sie auch ausspielt. Aber gekonnter, mit breiter Unterstützung.
tagesschau.de: Für Parität, die Sie anmahnen, hat sie offenbar weniger bewirkt - wenn man Ihre kritischen Worte hört.
Süssmuth: Sie betont, dass der Frauenanteil in unseren Parlamenten eine elementare Frage unserer Demokratie betrifft und das Ziel Parität sein muss. Ich wünsche mir, dass sie ihren Einfluss zur höheren Beteiligung der Frauen verstärkt, wo immer sie kann. Bis zur Bundestagswahl im September kann sie noch durch ihre Beiträge Einfluss nehmen, die tatsächlich Veränderung im Handeln herbeiführen.
"Wo sind denn andere Frauen?"
tagesschau.de: Mit Merkel, Von der Leyen und Kramp-Karrenbauer hat die CDU drei aktive, profilierte Spitzenpolitikerinnen. Warum ist die Partei dennoch nicht für Frauen attraktiv?
Süssmuth: Drei Frauen an der Spitze machen keine Parität aus. Wo sind denn andere Frauen? Wir haben mehr fähige als wirklich beteiligte. Es ist uns bisher nicht gelungen, Potenziale sichtbar zu machen - daran müssen wir jetzt endlich arbeiten.
Das Interview führte Corinna Emundts, tagesschau.de