Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen für die Wiederholung der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, hängt ein Wahlplakat für die Wahlkampagne zur Berlin-Wahl auf.
Porträt

Grüne Spitzenkandidatin Jarasch Keine Schonung

Stand: 08.02.2023 16:43 Uhr

Bettina Jarasch will für die Grünen Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden und nebenbei auch noch für eine bessere Welt sorgen. Aber im Wahlkampf muss sie erkennen: Der Wind ist rau - und nicht überall wird sie verstanden.

"Mut zur Veränderung!" ruft sie von der Bühne in Berlin-Schöneberg. Bettina Jarasch, die Spitzenkandidatin der Grünen ist im Wahlkampfmodus. Die 54-Jährige mit dunklen Locken, grünem Schal und einem Akzent, der ihre bayrische Herkunft verrät, will Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden. Die Ansprache ist entschieden, man merkt, sie meint es ernst. Die studierte Philosophin und engagierte Katholikin ist eine Überzeugungstäterin. Sie spricht von einer bessere Welt und sie gibt sich überzeugt, dass das nur mit großen klimapolitischen Veränderungen zu schaffen ist.

Hier auf dem Winterfeldmarkt in Schöneberg fällt ihr der Wahlkampf leicht. "Ich habe doch schon gewählt, grün natürlich", versichert ihr eine Marktbesucherin. Hier gehen die bildungsbürgerlichen Grün-Wählerinnen und -Wähler gern einkaufen. Es gibt regionales Obst und Gemüse, würzigen Käse, Olivenöl - oft hochpreisig und hochwertig. Für Jarasch ist es ein Heimspiel, sie lacht oft, wenn sie mit den Marktbesuchern und Marktbesucherinnen spricht, es wird zurückgelächelt. Ihre Flyer werden gern entgegengenommen.

Doch auch hier in der "Wir-wählen-alle-grün-Idylle" kann es ungemütlich werden. "Was ist toll am Krieg?", fragt eine Frau unvermittelt. Dann schimpft sie über die angebliche Kriegsbegeisterung bei den Grünen.

"Nichts ist toll am Krieg"

Jarasch ringt kurz mit sich. "Nichts ist toll am Krieg", sagt sie und erklärt langmütig, dass es aber gerade nicht anders gehe als mit Waffen gegen Putin. Zwei Tage später entsteht eine ähnliche Situation. "Kriegstreiber", ruft ihr einer zu - und geht einfach weiter. Nicht jeder an der Basis findet gut, was die politische Führung der Grünen macht. Das muss Jarasch auch erfahren.

Ohnehin: Im Wahlkampf gibt es keine Schonung, auch der Ton zwischen ihr und der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey wird rauer. Das ist eigentlich kein Wunder, denn Jarasch, die derzeit Bürgermeisterin und Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz ist, will Giffey an der Spitze verdrängen. Dass die beiden aber zugleich zusammen regieren müssen, macht es kompliziert. Sie führen mit Klaus Lederer von den Linken die rot-grün-rote Koalition.

Das bedeutet: Tagsüber sitzen sie gemeinsam in den Ausschüssen, sind zur Zusammenarbeit verdammt, aber bei Diskussionsveranstaltungen fliegen schon mal die Fetzen. So geschehen beim Aufeinandertreffen bei der Industrie - und Handelskammer. Giffey distanzierte sich deutlich von den grünen Plänen, die Parkplatzzahl zu halbieren. Woraufhin Jarasch ihr vorhielt, die Koalitionspartner offenbar nach Belieben wechseln zu wollen. Es folgte ein kurzes Wortgefecht, das auch zeigt, es gibt Gräben zwischen den beiden Spitzenkandidatinnen.

Kopf-an-Kopf-Rennen

Zwar führt derzeit mit Abstand die CDU. Doch dahinter ist es ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Bei Umfragen liegen Giffey und Jarasch nur knapp auseinander, mal liegt Giffey vor Jarasch, mal umgekehrt. Da die Christdemokraten womöglich keinen Koalitionspartner haben, machen die beiden Politikerinnen den Kampf um Berlins Spitze wahrscheinlich unter sich aus.

Wenn Giffey Wahlkampf macht, kommen die Menschen auf sie zu, erzählen ihr von der pflegebedürftigen Mutter, oder dass sie beim Bürgeramt ein halbes Jahr auf einen Hochzeitstermin warten mussten. Das passiert Jarasch nicht so leicht, sie wirkt freundlich und zugewandt, aber auch akademisch und distanziert.

Ihre These, dass eine progressive Klimapolitik mit Abwärme und erneuerbaren Energien auch die soziale Spaltung überwinden könne, leuchtet nicht unmittelbar jedem ein. Dass die Grünen aber immer weniger Autos in der Stadt haben wollen, das kapiert jeder. Der politische Gegner nutzt das gern, so plakatiert der CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner: "Wir lassen uns das Auto nicht verbieten."

Das Hin und Her um die prestigeträchtige Friedrichstraße wird vom Gegner immer wieder hervorgeholt. 500 Meter der Straße wurden mitten im Wahlkampf zur Fußgängerzone. Damit ist die Friedrichstraße für den Autoverkehr aber auch für Radfahrer gesperrt. Statt Autos gibt es dort also Sitzmöbel und Begrünung. Der Abschnitt war schon einmal gegen den Willen zahlreicher Gewerbetreibender gesperrt worden. Dann erzwang ein Gerichtsbeschluss, die Straße wieder zu öffnen. Nun ist sie auf Betreiben von Jarasch wieder dicht. Die autofreie Friedrichstraße wollte sie offenbar auf Biegen und Brechen durchsetzen.

Kein Platz für ökologische Themen

Beim Wahlkampf in Marzahn-Hellersdorf trifft Jarasch auf Menschen, für die das Auto kein Thema ist, weil sie es sich gar nicht leisten können. Das Rote Kreuz verteilt Lebensmittel, es bildet sich eine lange Schlange. Die Spitzenkandidatin grüßt freundlich, die Wartenden grüßen zurück, wissen aber offenbar nicht, wer sie ist oder haben andere Sorgen. Eine Frau erzählt ihr, dass sie ihre Handschuhe verloren habe. Jarasch glaubt, dass es vorn am Stand welche gäbe. Sie habe auch Schals und Mäntel gesehen. Denn neben Lebensmitteln wird diesmal auch Kleidung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bezirksamts gespendet. Die haben ihre eigenen Kleiderschränke durchforstet.

Jarasch zeigt sich gerührt von diesem Engagement. Sie greift einen Karton voller Äpfel und verteilt sie, betont, wie gesund sie sind. Dann spricht sie mit den Ehrenamtlichen, sie lobt, dass die ihre Freizeit opfern, sie spricht vom Teilen, und dass das einfach glücklicher mache. Da ist sie in ihrem Element. Der Unterschied von arm und reich macht ihr offensichtlich zu schaffen. Für globale ökologische Themen scheint das nicht der rechte Platz.

Dass sie wieder Wahlkampf machen muss, nach nur etwas über einem Jahr Arbeit in der Regierungskoalition, empfindet sie als Ausnahmesituation. Hart für alle, sagt sie. Aber so rückt sie erheblich früher als gedacht ihrem Ziel näher, Regierende Bürgermeisterin von Berlin zu werden.

 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 08. Februar 2023 um 15:00 Uhr.