Eine Förderbrücke steht im Braunkohletagebau Welzow-Süd in der Lausitz (Archivbild März 2022)

Energiewende Klimaforscher fordern schnelleren Kohleausstieg

Stand: 22.08.2024 06:06 Uhr

Um die Erderhitzung zu bremsen, drängen Forscher auf einen schnelleren Kohleausstieg. Minister Habeck sagt, in der Kohleregion Lausitz passiere schon viel. Eine viel schnellere Energiewende sei nicht möglich.

Von Oda Lambrecht, NDR und Isabel Schneider, NDR

Riesige Krater in der Landschaft geben den Blick frei auf dunkle Kohleschichten. Noch wird in der Lausitz im Süden Brandenburgs Braunkohle abgebaggert, um Energie zu erzeugen. Doch Klimaforscher fordern, den Kohleausstieg deutlich zu beschleunigen.

"Wir müssen viel schneller werden", sagt etwa Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Kohle sei der klimaschädlichste fossile Energieträger, so Latif im Interview mit dem ARD-Magazin Panorama. Wenn man die Erderwärmung begrenzen wolle, müsse man schnellstmöglich raus aus der Kohle. Deutschland sei nicht auf Kurs, das Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten, warnt der Wissenschaftler.

Durch die jahrzehntelangen Verzögerungen beim Klimaschutz befinde man sich nun in einem Wettlauf gegen die Zeit, um eine katastrophale Entwicklung noch abzuwenden, erklärt auch Stefan Rahmstorf, Wissenschaftler am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

"Wir kämpfen einfach gegen die Zeit"

Der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck, räumt ein: "Wir kämpfen einfach ein bisschen gegen die Zeit." Im Interview mit Panorama sagt er, Deutschland sei zu lange zu langsam gewesen. Gleichzeitig erklärt der Minister, dass es heute nicht viel schneller ginge. Beim Ausbau der Erneuerbaren und bei den Stromnetzen habe man bereits die Beschleunigung eingelegt.

Eigentlich hatte die Bundesregierung im Koalitionsvertrag festgeschrieben, den Kohleausstieg "idealerweise" auf 2030 vorzuziehen. Doch davon ist heute nicht mehr viel zu hören. Stattdessen betont Habeck, in der Lausitzer Braunkohleregion passiere viel. Der grüne Minister lobt den Kohlekonzern LEAG, die Lausitzer Energie Kraftwerke AG habe sich enorm gewandelt.

Viele Herausforderungen

Noch verdient das Unternehmen gutes Geld mit der klimaschädlichen Braunkohle. Doch die LEAG mit Sitz in Cottbus plant, komplett auf erneuerbare Energiequellen umzustellen. Dafür fordert der Konzern, am gesetzlich beschlossenen Zeitplan festzuhalten und die Kohleverstromung Schritt für Schritt bis spätestens 2038 zu beenden. Einen deutlich früheren Ausstieg hält der zweitgrößte Stromerzeuger Deutschlands nicht für machbar.

Aktuell sei die Braunkohle für die Versorgungssicherheit noch notwendig, wenn etwa Wind und Sonne nicht zur Verfügung stünden, heißt es aus dem Unternehmen. Um auf die Kohle verzichten zu können, seien Investitionen in den Ausbau von Speicherkapazitäten und in die Entwicklung wasserstofffähiger Kraftwerke nötig.

Für den Vorstandsvorsitzenden der LEAG, Thorsten Kramer, geht es um mehr als nur technologische Herausforderungen. "Man kann nicht den Hebel einfach umlegen und sagen, wir schalten in sieben, acht Jahren die Kraftwerke alle ab und sehen zu, wie es dann weitergeht", sagt Kramer. Für die Energiewende werde schließlich eine gesamte Region umgebaut und mit ihr viele Arbeitsplätze.

Latif: Häufiger die Vorteile betonen

Der Energiekonzern beschäftigt nach eigenen Angaben rund 7.000 Menschen in der Lausitz. Die Industriegewerkschaft IGBCE geht davon aus, dass an jedem dieser Jobs drei weitere hängen. Die Gewerkschaft hält es für gefährlich, früher als vereinbart aus der Kohle auszusteigen. Zunächst müssten parallel alternative Industrien und Arbeitsplätze aufgebaut und Menschen entsprechend qualifiziert werden.

Mehr als zwei Drittel der Menschen in der Lausitz sprechen sich gegen ein Vorziehen des Kohleausstiegs von 2038 auf 2030 aus. Das hat eine Umfrage für den sogenannten Lausitz-Monitor in diesem Jahr ergeben. Etwa die Hälfte der Befragten ist sogar gegen den vereinbarten Kohleausstieg bis 2038. Und dieser Anteil ist zuletzt gestiegen.

Klimaforscher Latif wünscht sich deshalb, häufiger die Vorteile der Energiewende zu betonen. Die Produktionskosten für erneuerbare Energien etwa seien viel niedriger als die für Kohle- oder Atomstrom, so Latif. Klimaschutz sei inzwischen auch deshalb fast zu einem Reizwort geworden, weil bestimmte Kreise immer nur die Nachteile benennen würden.

AfD leugnet wissenschaftliche Erkenntnisse

Die AfD Brandenburg etwa schreibt in ihrem Wahlprogramm, gegen Windkraft und Solarenergie sprächen unter anderem die Auswirkungen auf das Landschaftsbild, die Umwelt und die Lebensqualität der Anwohner. Den Braunkohleabbau will die Partei hingegen als "wichtigen Wirtschaftsfaktor" erhalten.

Die Energiewende bezeichnet die AfD Brandenburg als "Klimahysterie". Außerdem leugnet die Partei in ihrem Programm wissenschaftliche Erkenntnisse und schreibt, es sei nicht gesichert, dass derzeitige Klimaveränderungen vorwiegend durch den Menschen verursacht seien.

Mit solchen Aussagen stelle man sich gegen die Klimawissenschaft weltweit, so Klimaforscher Latif, der auch Präsident der Hamburger Akademie der Wissenschaften ist. Es sei klar, dass man die Energiewende beschleunigen müsse, um die Klimaziele einzuhalten.

Schnellerer Ausstieg durch den Markt?

Die Auswirkungen der globalen Erderwärmung zeigten sich bereits heute, mahnt der Klimaforscher. Hitzewellen, Starkregen und Überschwemmungen würden zunehmen, zu enormen Schäden und auch zu Todesopfern führen. "Der Klimawandel ist in voller Fahrt", so Latif. Auch Klimaforscher Rahmstorf warnt davor, zu zaudern und die Energiewende zu verschleppen. Er fordert, nicht später als 2030 aus der Kohle auszusteigen.

Doch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz schreibt, zu einem beschleunigten Ausstieg aus der Braunkohleverstromung im Osten fänden aktuell keine Gespräche statt. Insofern habe der bisher vereinbarte Ausstieg bis spätestens 2038 Bestand.

Die Expertenkommission Energiewende-Monitoring prognostiziert in ihrem aktuellen Bericht allerdings, dass der Kohleausstieg voraussichtlich allein durch den Markt und seine Rahmenbedingungen deutlich schneller erfolgen werde. Denn Energieunternehmen müssen einen Preis für klimaschädliche Emissionen zahlen. Und dieser CO2-Preis wird voraussichtlich steigen. Dadurch könnte sich das Geschäft mit der Kohle schon bald nicht mehr lohnen.

Ministerium ist gesprächsbereit

Damit rechnet offensichtlich auch das Ministerium von Grünen-Politiker Habeck. Aufgrund des sich ändernden energiewirtschaftlichen Umfelds sei es nicht ausgeschlossen, dass es zu einem früheren "marktgetriebenen" Kohleausstieg komme, schreibt ein Ministeriumssprecher. Um eine solche Beschleunigung des Kohleausstiegs im Osten planvoll zu gestalten, sei man gesprächsbereit.

Minister Habeck möchte das aber nicht "von oben per Dekret" entscheiden, heißt es weiter. Stattdessen habe die Bundesregierung eine ehrgeizige Reform des EU-Emissionshandels unterstützt, die mittlerweile im Rahmen des sogenannten Green Deal auch umgesetzt werde.

Oda Lambrecht, NDR, tagesschau, 22.08.2024 06:45 Uhr

Mehr zu diesem Thema sehen Sie in "Panorama: Das Klima im Kohleland" heute um 21.45 Uhr im Ersten und ab 16.30 Uhr in der ARD-Mediathek.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtet die ARD-Sendung "Panorama" am 22. August 2024 um 21:45 Uhr.