Politologe zu Landtagswahlen "CDU muss Kanzlerkandidatur schnell regeln"
Die Wahlergebnisse machen Vertrauensverluste deutlich - gerade für die CDU, so der Politologe Uwe Jun im tagesschau.de-Interview. Nach den Landtagswahlen müsse sie nun dringend handeln, um im Bund wieder besser da zu stehen.
tagesschau.de: Hat die CDU seit gestern Abend aus Ihrer Sicht Richtung Bundestagswahl ein Problem mehr - nämlich nicht mehr natürliche Anwärterin auf das Kanzleramt zu sein?
Uwe Jun: In jedem Fall wird sich die CDU jetzt Gedanken machen müssen, was sie verändern muss. Sie sollte vor allem stärker beachten, dass ihr Corona-Krisenmanagement im Bund auf immer größere Unzufriedenheit stößt. Sie hatte einen Vertrauensvorschuss zu Beginn der Pandemie und war im März 2020 in Umfragen deutlich nach oben geschnellt. Wenn sie bei der Bundestagswahl erfolgreich sein will, muss sie dieses Vertrauen wieder stärken. Dazu kann beitragen, alsbald zu klären, wer Kanzlerkandidat wird.
"Keine Wechselstimmung - dafür musste die CDU bezahlen"
tagesschau.de: In Umfragen spielte die Corona-Politik nicht die entscheidende Rolle für Wählerinnen und Wähler - wo sehen Sie weitere Ursachen für dieses historisch schlechte Abschneiden im Stammland der CDU?
Jun: In beiden Bundesländern trat die CDU als Herausforderer an - und hatte es damit unglaublich schwer, weil in beiden Ländern Ministerpräsidentin und Ministerpräsident sehr beliebt sind. Zum zweiten, weil es keinerlei Wechselstimmung gab. Dafür musste die CDU wesentlich bezahlen.
tagesschau.de: Das heißt, Richtung Bund lässt sich noch nicht allzu viel aus der geschwächten CDU herauslesen?
Jun: Man kann hier nur begrenzt von einem Test für die Bundestagswahl sprechen. Denn bereits 2016 hatten wir in beiden Ländern eine vergleichbare Situation - und dennoch ist die CDU immer noch die stärkste Partei auf Bundesebene.
Nur kommt dieses Mal die Besonderheit dazu, dass die CDU dieses Mal ohne den Amtsinhaberbonus in das Rennen geht, weil Angela Merkel nicht mehr antritt. Allein deswegen könnte es von Vorteil sein, die Kanzlerkandidatenfrage möglichst bald zu klären. Der neue Parteivorsitzende Armin Laschet steht hier in der Verantwortung.
"Modell der alle verbindenden Volkspartei hat es schwer"
tagesschau.de: CDU und SPD sind in Baden-Württemberg stark geschrumpft, stattdessen versammeln die Grünen ein Drittel der Wählerschaft hinter sich. Volkspartei sein zu wollen, ist das ein Begriff fürs Geschichtsbuch geworden?
Jun: Die Zuschreibung des Begriffs ist schon seit einiger Zeit sehr fragwürdig. Die CSU erfüllt noch viele Kriterien dafür, aber die SPD schon länger nicht mehr - und auch bei der CDU wackelt das Ganze. Das heißt, man müsste versuchen, möglichst flächendeckend in allen Wählergruppen erfolgreich zu sein und eine starke Mitgliederbasis zu haben. All das bröckelt eindeutig. Das Modell der alle gesellschaftlichen Gruppen verbindenden, kompromissorientierten Volkspartei hat es schwerer gegenüber Parteien, die sich auf einzelne Themen und spezifische Wählergruppen konzentrieren.
tagesschau.de: Die SPD sieht sich als historisch gewachsene, quasi geborene Volkspartei, kommt aber in Baden-Württemberg auf 11 Prozent, in bundesweiten Umfragen liegt sie nicht viel darüber - ist es da nicht inzwischen vermessen, einen Kanzlerkandidaten zu benennen?
Jun: Nicht vermessen, aber sehr optimistisch. Die SPD hat in Dreier-Koalitionskonstellationen immer noch die Chance, den Kanzler zu stellen: So weit ist der Abstand momentan zu den Grünen auf Bundesebene nicht, dass sie den nicht bis zum Wahlabend aufholen könnte. Wenn man dann möglicherweise eine Ampel oder gar Linkskoalition bilden könnte - falls letztere noch mehrheitsfähig würde, dann hätte die SPD tatsächlich eine Chance, den Kanzler zu stellen. Nur wäre sie in einer solchen Konstellation nicht mehr die dominante Partei. Man wäre nur knapp vorne und könnte nicht diese Machtansprüche stellen, die man in der Vergangenheit gestellt hat.
tagesschau.de: Bei der FDP fällt die Emanzipation vom alten Koalitionspartner Union deutlich auf. Verschreckt sie da nicht ihre wirtschaftsliberale Klientel auf Bundesebene?
Jun: Die FDP-Parteiführung strebt ja schon seit längerer Zeit eine koalitionspolitische Offenheit an. Sie will nicht nur Anhängsel der Unionsparteien sein, sondern sich auch andere Optionen offenhalten. Allerdings ist eine Ampel nicht die Lieblingskonstellation der eigenen Klientel, weil die kulturellen Differenzen gegenüber den Grünen und programmatischen Unterschiede gegenüber der SPD nach wie vor vorhanden sind.
Die für die FDP zentralen Bereiche wie Wirtschaftspolitik, Sozial- und Steuerpolitik werden im Bund entscheiden, nicht in den Ländern. Deswegen würde es auf Bundesebene deutlich schwerer, dort zu Kompromissen für eine Ampelkoalition zu kommen.
"Aussichten für Linkspartei nicht allzu groß"
tagesschau.de: Ein Linksbündnis im Herbst ist seit gestern auch nicht wahrscheinlicher geworden - Die Linkspartei hat in beiden Ländern den Einzug ins Parlament verpasst. Ist sie noch ein ernstzunehmender politischer Faktor?
Jun: Sie hat es zunehmend schwerer, weil sie bestimmte Wählergruppen nicht mehr erreicht. Nämlich diejenigen, die sich subjektiv benachteiligt fühlen oder insgesamt eine kritische Haltung gegenüber der Politik haben. Zudem fehlt ihr aktuell eine wählerwirksame Spitzenpersönlichkeit. Deswegen sind die Verheißungen für die Linkspartei in diesem Wahljahr nicht allzu groß.
tagesschau.de: Protestwähler scheint die AfD weiterhin einsammeln zu können. Ist ein Trend für den Bund erkennbar, dass es sich hier nicht um eine vorübergehende Erscheinung handelt?
Jun: Wir sehen seit einiger Zeit, dass die AfD eine gewisse Anzahl von Stammwählern gewonnen hat. Diejenigen, die mit Politikinhalten der Regierungsparteien in Bund und Ländern nicht einverstanden sind und eine gewisse Distanz zur etablierten Politik haben, versammeln sich bei der AfD. Es spricht viel dafür, dass die Partei den Wiedereinzug in den Bundestag deswegen gut schaffen kann.
tagesschau.de: Grünen-Chef Robert Habeck gab sich trotz der aktuellen Erfolge eher vorsichtig und wies darauf hin, dass das Vertrauen in die Politik insgesamt gesunken sei. Bis zur Bundestagswahl im Herbst sei alles offen.
Jun: Dass Vertrauen schwindet, sehen wir schon länger. Das Corona-Krisenmanagement der Politik spielt in diesem Jahr weiter eine große Rolle. Wenn das Vertrauen abhanden kommt, dass Politik es schaffen kann, einen Weg aus der Krise zu finden, hat Habeck recht - dann wird es für alle an Regierungen beteiligten Parteien gleichermaßen schwer. Im Moment geht diese Ungeduld und Skepsis eben noch vor allem zu Lasten der CDU als führender Regierungspartei im Bund.
Das Interview führte Corinna Emundts, tagesschau.de.