Vor der Landtagswahl Wie die AfD in Hessen tickt
Die AfD wurde vor zehn Jahren in Hessen gegründet. Seitdem ist sie mehrmals nach rechts gerückt - auch im Landesverband. An ihrer Selbstbeschreibung als "bürgerlich-konservativ" hält sie fest. Mit Erfolg?
Robert Lambrou hat einen Lieblingssatz. Er spult ihn dann ab, wenn er in Interviews auf Rechtsextremismus in seiner Partei angesprochen wird. "Wir sind eine bürgerlich-konservative Kraft", sagt der Spitzenkandidat der Hessen-AfD dann fast immer - zuletzt im Gespräch mit hessenschau.de. Doch wieviel konservative Bürgerlichkeit steckt noch in der Hessen-AfD?
Als die AfD vor zehn Jahren im hessischen Oberursel gegründet wurde, waren eurokritische Wirtschaftsprofessoren wie Bernd Lucke oder der konservative FAZ-Publizist Konrad Adam die Gesichter der Partei. Inzwischen ist von diesen AfD-Gründungsvätern kaum noch jemand übrig. Die meisten haben die AfD wegen eines ständig radikaler werdenden Rechtskurses längst verlassen.
Gemäßigte verlassen Fraktion
Auch in der Wiesbadener Landtagsfraktion sind die Stühle inzwischen weniger geworden. Mit knapp über 13 Prozent ist die AfD hier im Jahr 2018 erstmals in den Landtag eingezogen. Eigentlich holte sie damit 19 Mandate. Doch gleich zu Beginn wurde eine AfD-Abgeordnete von ihren Kollegen nicht in die Fraktion aufgenommen, weil sie in den sozialen Netzwerken einen Kriegsverbrecher der Waffen-SS verherrlicht haben soll. Sie bestreitet den Vorgang bis heute.
Und auch danach kam die erste hessische AfD-Fraktion nicht zur Ruhe: Gleich vier weitere Abgänge folgten im Laufe der Legislatur - insbesondere von Vertretern, die als gemäßigt gelten. Unter ihnen ist etwa der Jurist Walter Wissenbach. Inzwischen sitzt er als fraktionsloser Abgeordneter im Landtag. Seinen Austritt vollzog er Ende 2022 mit einem Knall und ließ kein gutes Haar an seiner Ex-Partei. Sie sei zu einer "Schande für Deutschland" geworden und zu einer "Versorgungsanstalt" für Personen, die für "normale Beschäftigungsverhältnisse" untauglich seien, heißt es in seiner Austrittserklärung.
Parteichef Lambrou spricht in diesem Zusammenhang von gekränkten Eitelkeiten. Andere sehen darin Flügelkämpfe. Wissenbach war Mitbegründer der "Alternativen Mitte" in Hessen. Einer Gruppe von AfD-Mitgliedern, die einen Gegenpol zum rechtsextremen Parteiflügel rund um Björn Höcke in Thüringen bilden wollten. Das Projekt verschwand allerdings schnell in der Bedeutungslosigkeit - auch weil es keine Rückendeckung im Parteivorstand der Hessen-AfD dafür gab.
AfD-Landeschef Lambrou sieht seine Partei als "bürgerlich-konservativ".
Rechtsruck auch in Hessen
"Mitglieder, die in der AfD einen gemäßigten Kurs einschlagen wollen, haben es inzwischen schwerer", unterstreicht Politikwissenschaftler Reiner Becker von der Universität Marburg. Zwar sei die Hessen-AfD im Vergleich zu den radikalen Ostverbänden immer noch etwas gemäßigter, allerdings ist die Selbstdarstellung von einer "bürgerlich-konservativen freiheitlichen" Kraft für den Rechtsextremismusforscher unglaubwürdiger geworden.
Denn auch in Hessen gebe es genug Anzeichen dafür, dass die Partei immer weiter nach rechts "abdrifte". Zuallererst fällt Becker als Beispiel dafür Landessprecher Andreas Lichert ein. Seit 2021 führt dieser die Hessen-AfD gemeinsam mit Lambrou und sitzt als stellvertretender Fraktionschef im Landtag. Vorher war er für das "Institut für Staatspolitik" aktiv - einer Art Denkfabrik der "Neuen Rechten" rund um den rechtsextremen Verleger Götz Kubitschek. Außerdem macht Lichert bis heute keinen Hehl daraus, dass er Sympathien für die "Identitäre Bewegung" hegt. Er war sogar Hausverwalter einer Immobilie, die von ihr genutzt wurde. "Auch das ist eine klar rechtsextrem orientierte Bewegung", so Becker.
Bestes Ergebnis in Westdeutschland möglich
Die vielen "Häutungen", die die Partei seit ihrer Gründung erlebt hat, zeigen aus Beckers Sicht inzwischen Wirkung. "Es tritt immer mehr das rechtsautoritäre, rechtspopulistische und in Teilen rechtsextreme Gewand in Erscheinung", so Becker. In den Umfragen schadet der Partei dieser Kurs nicht. Im Gegenteil: Im repräsentativen HessenTrend von Mitte September kam die AfD auf 17 Prozent. Das wäre der höchste Wert, den die Partei bislang in einem westdeutschen Bundesland errungen hat. Aktuell liegt sie bei 15 Prozent.
Die Gründe für den Höhenflug sind in Hessen aber nicht anders als irgendwo sonst. Laut dem Experten profitiert die Partei überall vor allem von Krisen. Corona, Migration und Klimawandel - all diese Themen lösen laut Becker enorme Verunsicherung in Teilen der Bevölkerung aus. Allein die Klimakrise stelle ganze Lebensmodelle infrage wie etwa die Art und Weise des Wohnens, Heizens oder der Mobilität. "Es gibt hier eine Auseinandersetzung in der Frage: Was ist eigentlich normal?", so Becker.
Werben um Koalition mit CDU bleibt erfolglos
Die AfD habe in diesen Fragen oftmals ein Alleinstellungsmerkmal, weil sie zum Beispiel als einzige größere Partei den menschengemachten Klimawandel infrage stelle. "Das ist für Menschen, die nicht wissen wie sie eine neue Heizung bezahlen sollen, natürlich attraktiv." Die AfD mache damit das Normalitätsversprechen der 1950er-Jahre zu einem Sehnsuchtsort für viele Wählerinnen und Wähler. Dazu komme ein Wählerpotenzial, das das politische System grundsätzlich ablehne, und dafür jetzt ein Ventil habe.
Die eigene Politik umsetzen kann die AfD wohl auch nach der Wahl am 8. Oktober nicht. Keine andere Partei ist bereit, mit den Rechtspopulisten in Hessen zusammenzuarbeiten. AfD-Spitzenkandidat Lambrou wirbt zwar seit Monaten in Interviews für eine Koalition mit der CDU - die zeigt ihm allerdings in Person des Spitzenkandidaten und Ministerpräsidenten Boris Rhein die kalte Schulter. Er spricht regelmäßig von einer "widerwärtigen" Partei, die mit christdemokratischen Werten unvereinbar sei. Deutlicher kann man eine Tür kaum zuschlagen.