"Letzte Generation" Erpressung oder Austausch?
Die Politik ringt um den richtigen Umgang mit den Klimaaktivisten der "Letzten Generation". Die Oberbürgermeister von Marburg, Hannover und Tübingen haben sich mit ihnen zusammengesetzt - und eine Einigung erzielt.
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer fühlt sich missverstanden. Wieder einmal. Einen "Deal" mit der "Letzten Generation" habe es nie gegeben, versichert der Grünenpolitiker, dessen Mitgliedschaft aktuell ruht, gegenüber tagesschau.de. "Erpressen" lassen habe er sich schon gar nicht. Es geht um ein Treffen mit den Klimaaktivisten am 21. Februar im Tübinger Rathaus. "Wir haben uns eine Stunde sehr fundiert über den Klimaschutz unterhalten", sagt Palmer. "Mehr nicht."
Auch die Oberbürgermeister von Marburg, Thomas Spies (SPD) und Hannover, Belit Onay (Grüne), haben sich mit der "Letzten Generation" ausgetauscht - und im Nachgang deren Forderung nach einem "Gesellschaftsrat" öffentlich befürwortet. In diesen sollen Bürgerinnen und Bürger gelost werden, die dann bis 2030 über Deutschlands Schritte hin zur Klimaneutralität entscheiden sollen.
Mehr Zugeständnisse habe es nicht gegeben, das beteuern alle Beteiligten. Die Aktivisten haben im Gegenzug angekündigt, in den drei Städten keine Protestaktionen mehr starten zu wollen. Das erhitzt die Gemüter. Denn was ist das nun? Ein Schulterschluss von Kommunalpolitikern mit einer Organisation, die für ihre umstrittenen Aktionen bereits strafrechtlich verfolgt wurde? Ein Deal? Oder gar Erpressung? Kleberfreie Straßen gegen ein politisches Zugeständnis?
Versöhnliche Töne von den Grünen
"Es ist verständlich, wenn Städte und Kommunen ihrerseits nach Lösungen suchen, um Konflikte zu schlichten. Zugleich darf sich der Staat dabei nicht erpressbar machen", sagt Nina Scheer, klimapolitische Sprecherin der SPD.
FDP-Bundesvorstandsmitglied Manuel Höferlin schlägt in dieselbe Kerbe: "Es ist legitim, durch friedlichen Protest Mehrheiten zu organisieren. Was dort den Städten angeboten wurde, ist für mich aber Erpressung." Auch Stephan Brandner, stellvertretender Bundessprecher der AfD, spricht von Erpressung und sieht sogar das Gewaltmonopol des Staates in Gefahr, wenn Oberbürgermeister mit "radikalen Klima-Aktivisten" verhandelten.
Von den Bundes-Grünen kommen hingegen versöhnlichere Töne. "Wenn das Engagement von Belit Onay zur Folge hat, dass statt über Protestformen in Hannover und anderen Städten wieder mehr über konkrete Klimaschutzmaßnahmen gesprochen wird, hat es sich bereits gelohnt", sagt Julia Verlinden, stellvertretende Fraktionsvorsitzende über ihren Parteikollegen im Rathaus von Hannover.
"Diskussion auf Klimaschutz lenken"
Die Politik ringt um den richtigen Umgang mit der "Letzten Generation" und ihren umstrittenen Protestaktionen. Doch während das politische Berlin erregt diskutiert, kann man die Aufregung in den betroffenen Städten nicht verstehen. "Das ist Unsinn", sagt Marburgs Oberbürgermeister Spies auf die Erpressungsvorwürfe. "Erpressung würde ja bedeuten, dass man seine Haltung ändert. Die Stadt Marburg hat eine klare Haltung."
Er hätte sich auch ohne das Einwirken der "Letzten Generation" für einen Gesellschafts- oder - wie er es nennt - "Bürger*innenrat" eingesetzt. Schließlich stehe ja ein ähnlicher Vorschlag auch im Koalitionsvertrag, den seine Partei auf Bundesebene mit Grünen und FDP abgeschlossen habe.
Hannovers Oberbürgermeister Onay sieht das ähnlich. "Mein Ziel war es, den Protest von der Straße zu holen und die inhaltliche Diskussion auf den Klimaschutz zu lenken. Für Hannover ist das gelungen", sagt er.
"Letzte Generation" wertet Gespräche als Erfolg
Während sich die Statements aus den Rathäusern in Hannover und Marburg schon nach einer Übereinkunft oder dem viel zitierten "Deal" anhören, ist die Lage in Tübingen etwas anders. Denn hier gab es bisher noch überhaupt keine Protestaktionen. "Aberwitzig" nennt Oberbürgermeister Palmer die Schlüsse, die nun gezogen würden. Man könne ja gar nicht über einen "Deal" oder eine "Erpressung" reden, sagt er: "Denn Blockaden waren nie Thema und auch nie angekündigt."
Und die "Letzte Generation" selbst? Sie wertet die Gespräche als vollen Erfolg. Die drei Kommunen hätten einen mutigen Schritt gemacht und sich hinter die Forderungen der Aktivisten gestellt - trotz aller Kritik, sagt Bundessprecher Theo Schnarr. "Aktuell sind es drei Oberbürgermeister, aber wir sind in weiteren Verhandlungen und auch in anderen Städten stets gesprächsbereit."
Andere Städte lehnen Gespräche ab
Doch längst nicht alle Städte sind offen für dieses Gesprächsangebot. Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) erklärte, er werde das entsprechende Schreiben, das am Montag bei ihm eingegangen sei, nicht beantworten. Er halte das Vorgehen der "Letzten Generation" für nicht vertretbar.
Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) ließ mitteilen, sie lasse sich nicht durch Aktionen unter Druck setzen, die rechtliche Grenzen des Demonstrationsrechts überschritten - und ist damit auf einer Linie mit Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), die Verhandlungen vergangene Woche schon kategorisch abgelehnt hatte.
Diskussion geht weiter
"Für Gespräche bin ich grundsätzlich offen", sagt hingegen Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU), "für Gegengeschäfte - politische Forderungen an den Bund gegen Stillhalten der sogenannten 'Letzten Generation' - aber nicht".
Und Münchens Stadtoberhaupt Dieter Reiter (SPD) verweist darauf, dass die Städte in Sachen Klimaschutz die gänzlich falschen Ansprechpartner seien. "Politische Forderungen sollten daher an die zuständige Bundesregierung gerichtet und dort diskutiert werden", sagt er. Die hat allerdings auch schon mehrfach erklärt, sich nicht erpressen lassen zu wollen.
Theo Schnarr von der "Letzten Generation" ist dennoch davon überzeugt, dass Tübingen, Marburg und Hannover nicht die letzten Städte sind, die sich mit ihm und seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern an den Verhandlungstisch setzen. Wie auch immer man die Ergebnisse dieser Gespräche auch nennen mag - die Diskussion um den richtigen Umgang mit der "Letzten Generation" auf kommunaler Ebene wird weitergehen.