Rolle des Ex-Finanzministers Hat Lindner sich verzockt?
Den Posten als Finanzminister hat er verloren, seinen Parteifreund Wissing auch. Pokerte Lindner zu hoch im Kampf um seine wirtschaftspolitischen Ziele? Er selbst sieht das offenbar nicht so - und hat große Pläne.
Christian Lindner wirkt angeschlagen, als er in der FDP-Parteizentrale vor die Presse tritt, am Tag nach dem Ende der Ampelregierung. Seine Augen sind rötlich, gläsern. Auf die Frage, mit welchen Gedanken er an diesem Morgen aufgewacht ist, folgt ein langes Zögern. Und dann: "Mich macht die Situation, so wie sie sich entwickelt hat, tatsächlich betroffen." Es hätte eine bessere Option für das Land gegeben, sagt er. Und: "Ich habe mich in anderen getäuscht."
In anderen getäuscht. Damit dürfte Lindner Bundeskanzler Olaf Scholz meinen, der am Abend zuvor angekündigt hatte, beim Bundespräsidenten um die Entlassung Lindners als Finanzminister zu bitten. Damit dürfte Lindner aber auch seinen bisherigen Parteifreund Volker Wissing ansprechen. Der FDP-Mann aus Rheinland-Pfalz, einer der Architekten der Ampelkoalition, der kurz zuvor seinen Austritt aus der Partei und seinen Verbleib in der rot-grünen Minderheitsregierung verkündet hat.
Spott und Häme im Netz
Für Lindner muss es sich anfühlen wie eine doppelte Demütigung: Er verliert seinen Job - und einen Parteifreund. Hat er zu hoch gepokert? Mit seinen parallel stattfindenden Wirtschaftsgipfeln, die von den Grünen als peinlich beschrieben wurden. Mit seinen Vorschlägen für eine Wirtschaftswende, aufgeschrieben auf Ministeriumspapier. Von manchen Wirtschaftsleuten gelobt, von SPD und Grünen als Scheidungspapier und Affront empfunden. Hat Lindner gezockt und verloren? Und: Wird er das Image des Kompromisslosen je wieder los?
Im Netz kursieren viel Spott und Häme für Lindner und die FDP. Von "Deutschlands frechstem Arbeitslosen" ist da die Rede. Scharfe Kritik auch von den ehemaligen Partnern, fast wie in einem Scheidungskrieg. "Ein solches Verhalten will ich unserem Land nicht länger zumuten", sagt Bundeskanzler Scholz noch am Abend zuvor, als er die Entlassung Lindners verkündet.
Scholz wirft ihm Verantwortungslosigkeit vor, Lindner habe Gesetze sachfremd blockiert. Bei einer Veranstaltung am Donnerstag tritt der Kanzler nochmal nach: "Es gibt Leute, die sind großartig, die sagen immer: 'Nach vorne! Auf die Barrikade. Alles nach mir!' Aber die Welt ist nicht so, dass sie sich nur nach ein oder zweien richtet."
Lindner lächelt gequält, Wissing gar nicht
In eine ähnliche Richtung geht auch die Kritik des ehemaligen Parteifreundes Wissing. "Es muss Kompromissbereitschaft geben, um am Ende immer eine Lösung für die Bürgerinnen und Bürger zu erarbeiten", sagt er. Und: "Ich möchte mir selbst treu bleiben." Wissings Schritt verhagelt Lindner den ansonsten geschlossenen Rücktritt der FDP-Minister aus der Regierung. Er kratzt am Image des unangefochtenen Parteichefs, hinter dem die Partei kritiklos steht.
"Rein menschlich wünschen ihm sicher alle Parteifreundinnen und Parteifreunde alles Gute", sagt Lindner bei der Pressekonferenz über Wissing. Ein vorerst letztes Mal wird er ihm weniger Stunden später auf Schloss Bellevue begegnen. Bundespräsident Steinmeier wird ihm, Lindner, die Entlassungsurkunde überreichen - und den bisherigen Verkehrsminister Wissing zusätzlich zum Justizminister ernennen. Lindner wird gequält lächeln, Wissing gar nicht. Die Kälte zwischen den beiden - unübersehbar.
Er will's wieder machen
Doch ist Wissing der Einzige, der geht? Im politischen Berlin kursiert eine Liste mit Namen weiterer FDP-Abgeordneter, die angeblich aussteigen wollen. Auf Nachfrage heißt es, man könne darüber nur lachen. Lindner liefert lieber Positiv-Nachrichten. "Am heutigen Tag sehen wir viele Menschen, die die Prinzipienfestigkeit der freien Demokraten würdigen. Wir verzeichnen Eintritte in die FDP."
Hört man sich in der FDP um, scheinen tatsächlich die meisten hinter Lindner zu stehen. Und der will von Niederlage nichts wissen. Im Gegenteil. Selbstbewusst wie eh und je will Lindner wieder als Spitzenkandidat antreten - um nach der nächsten Wahl seine Arbeit als Bundesfinanzminister wieder aufzunehmen, wie er sagt. Für eine Partei, die bislang laut Umfragen bei drei bis vier Prozent dümpelt, dürfte das eine Herausforderung werden.