Tote und Verletzte Was über den Anschlag in Magdeburg bekannt ist
Nach der Festnahme eines Mannes laufen die Ermittlungen zum Anschlag in Magdeburg. Der Tatverdächtige soll ein aus Saudi-Arabien stammender Islamkritiker sein. Was bislang bekannt ist - und was nicht.
Was ist vorgefallen?
Auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg ist am Freitagabend ein Auto in eine Menschenmenge gefahren. Nach Angaben der Polizei Magdeburg ging der erste Notruf kurz nach 19 Uhr ein. Zunächst sei man von einem Unfall ausgegangen, recht schnell sei aber klar geworden, dass es sich um ein "Anschlagszenario" handele, sagte Tom-Oliver Langhans, der Direktor der Polizeiinspektion Magdeburg bei einer Pressekonferenz.
Nach Angaben der Behörden sind vier Erwachsene und ein neunjähriges Kind getötet worden. Es gebe zudem 200 Verletzte. 41 von ihnen seien schwer- oder schwerstverletzt, einige von ihnen schwebten noch in Lebensgefahr.
Der Fahrer sei durch einen Flucht- und Rettungsweg auf den Weihnachtsmarkt gelangt. Der Mann sei zunächst mit normaler Geschwindigkeit an den Weihnachtsmarkt herangefahren. Dann sei er auf den Alten Markt abgebogen und habe sein Auto abrupt beschleunigt. Die Fahrt habe etwa drei Minuten gedauert, bis der Tatverdächtige von Sicherheitskräften gestoppt und festgenommen werden konnte, erklärte Langhans weiter. Zuvor hatte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff davon gesprochen, dass das Auto mindestens 400 Meter über den Weihnachtsmarkt gefahren sei. Es handelte sich demnach um einen Leihwagen mit Münchener Kennzeichen.
Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen geht die Polizei von einem Einzeltäter aus. Laut Staatsanwaltschaft wird ihm fünffacher Mord und 205-facher versuchter Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vorgeworfen.
Wer ist der Tatverdächtige?
Bei dem festgenommenen Tatverdächtigen handelt es sich nach Angaben der Polizei um einen 50-jährigen Mann namens Taleb A.. Er war demnach 2006 nach Deutschland gekommen und stammt aus Saudi-Arabien. Taleb A. arbeitete als Facharzt für Psychiatrie in Sachsen-Anhalt. Wie eine Sprecherin des Gesundheitsunternehmens Salus mitteilte, war er im Maßregelvollzug tätig. Er habe mit suchtkranken Straftätern gearbeitet und sei seit März 2020 in der Einrichtung tätig gewesen.
"Seit Ende Oktober 2024 war er urlaubs- und krankheitsbedingt nicht mehr im Dienst", hieß es in einer Mitteilung des Unternehmens. Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa hat das Gesundheitsministerium von Sachsen-Anhalt noch in der Nacht die Personalakte des Mannes angefordert und den Ermittlungsbehörden übergeben.
Gibt es Informationen über ein Motiv?
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Magdeburg wird der mutmaßliche Täter derzeit vernommen - danach werden ein Haftbefehl beantragt, erklärte der Leitende Oberstaatsanwalt Horst Walter Nopens. Der Festgenommene habe sich zum Motiv geäußert. Was davon stimme, müsse aber noch aufgeklärt werden. Nach gegenwärtigem Stand sehe es so aus, dass Hintergrund der Tat "Unzufriedenheit mit dem Umgang mit saudi-arabischen Flüchtlingen in Deutschland" gewesen sein könnte. "Aber was da jetzt tiefer hinter sitzt, ist Gegenstand der Ermittlungen", sagte Nopens weiter.
Die Staatsanwaltschaft stuft den Vorfall auf dem Weihnachtsmarkt mit fünf Toten und 200 Verletzten als Anschlag ein. Wenn man in einen Weihnachtsmarkt hineinfahre, dann sei das ein Anschlag, und wenn man das mit einem Fahrzeug mache, dann sei das auch zugleich eine Amokfahrt, sagt Nopens. "Ob es ein Terroranschlag war, wissen wir noch nicht", betont er zugleich. Das Verfahren sei bislang nicht von dem Generalbundesanwalt übernommen worden.
Der Festgenommene war bereits als islamkritischer Aktivist bekannt, der sich selbst als Ex-Muslim bezeichnet. In sozialen Medien, auf islamfeindlichen Websiten und in Interviews erhob er zuletzt Vorwürfe gegen deutsche Behörden. Er hielt ihnen unter anderem vor, nicht genügend gegen Islamismus zu unternehmen und befürchtete eine Islamisierung Deutschlands.
Auf dem Onlinedienst X bekundete er seine Sympathie zur AfD und äußerte den Wunsch nach einem gemeinsamen Projekt: einer Akademie für Ex-Muslime.
Nachdem er vor Jahren mit seiner Unterstützung für saudische Frauen, die aus ihrem Heimatland fliehen, an die Öffentlichkeit gegangen war, schrieb er später auf seiner Website in englischer und arabischer Sprache: "Mein Rat: Bittet nicht um Asyl in Deutschland." Eine islamistische Motivation für die Tat sei deshalb nicht naheliegend, meint ARD-Terrorexperte Holger Schmidt.
Gab es zuvor Hinweise?
Nach Recherchen des ARD-Hauptstadtstudios soll der Tatverdächtige bereits vor mehr als zehn Jahren auffällig gewesen sein. Aus Ermittlungskreisen hieß es, dass er 2013 vom Amtsgericht Rostock wegen der Androhung von Straftaten zu 90 Tagessätzen zu je zehn Euro verurteilt worden sei. Bei dem späteren Asylverfahren habe die Verurteilung aber nicht zu einer Ablehnung seines Antrags geführt. Zuvor hatte es geheißen, A. sei den deutschen Sicherheitsbehörden vor der Tat nicht bekannt gewesen.
Auf der Pressekonferenz in Magdeburg erklärte Oberstaatsanwalt Nopens, er habe keine Kenntnis von Verurteilungen des Verdächtigen. Aber er könne derzeit nicht sagen, ob es möglicherweise Verfahren an anderen Gerichten oder zivilrechtliche Verfahren gegen den Mann gegeben habe.
Nach Informationen von WDR, NDR und SZ gab es aus Saudi-Arabien Warnungen vor dem Tatverdächtigen an die deutschen Behörden. Langhans, der Dirkektor der Polizei Magdeburg, erklärte, er habe keine Kenntnis von einer solchen Warnung, man sei aber in enger Absprache mit den Sicherheitsbehörden, um das zu klären.
Langhans bestätigte, dass die örtliche Polizei bereits früher eine Strafanzeige gegen A. erhalten habe. Diese liege aber ein Jahr zurück. Damals sei vorgesehen gewesen, eine Gefährderansprache bei A. durchzuführen. Dies sei aber nach den bisherigen Erkenntnissen nicht erfolgt. Langhans wollte sich nicht dazu äußern, welche Vorwürfe damals im Raum standen.
Was sind die Reaktionen?
Mehrere hundert Menschen haben am Samstagabend im Magdeburger Dom der Opfer des Anschlags gedacht. Neben verletzten Opfern, Angehörigen und Rettungskräften nahmen auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz und Ministerpräsident Reiner Haseloff teil. Hunderte weitere Menschen verfolgten zudem auf dem Domplatz den Gottesdienst via Leinwand-Übertragung.
Als Zeichen der Trauer bleiben alle städtischen Kultureinrichtungen in Magdeburg geschlossen, teilte die Stadt mit. Die Schließung gelte für die kommenden Tage.
Ministerpräsident Haseloff will den Opfern und Angehörigen der Todesfahrt unter die Arme greifen. Sein Kabinett habe Festlegungen getroffen über "finanzielle und organisatorische Ressourcen", sagte Haseloff. Mit dem Kanzler habe er darüber geredet, wie die Hilfe und Unterstützung des Bundes aussehen werde. Die Stadt Magdeburg und Wohlfahrtsverbände richteten Spendenkonten für die Opfer und Betroffenen ein. Es gehe darum, den Betroffenen möglichst schnell Unterstützung zu ermöglichen, erklärte die Stadt.
Bundesinninministerin Nancy Faeser hat bundesweit Trauerbeflaggung bei den obersten Bundesbehörden angeordnet. Mehrere ausländische Regierungen, die EU, die Vereinten Nationen sowie die NATO bekundeten nach dem Anschlag ihre Solidarität.