Ende der Ära Merkel Bis zum Schluss ohne Pathos
In diesem Jahr ging eine Ära zu Ende: 16 Jahre lang regierte Merkel als Bundeskanzlerin. Ihre Amtszeit war von vielen Krisen geprägt. Auf Pathos verzichtete Merkel - selbst bei ihrem Abschied.
Es ist die Musik, die für lange Zeit mit dem Abschied von Angela Merkel verbunden bleibt: Beim Großen Zapfenstreich am Abend des 2. Dezember spielt das Musikkorps der Bundeswehr Merkels Lieblingssong aus der früheren DDR.
"Du hast den Farbfilm vergessen" entlockt der Kanzlerin zumindest ein Lächeln. Ansonsten fließen keine Abschiedstränen - anders als bei ihren Amtsvorgängern Gerhard Schröder und Helmut Kohl.
Auch ihre kurze Abschiedsrede enthält kein Pathos. Dafür aber eine Art politisches Vermächtnis von der Frau, die in aller Welt für ihre Kompromissfähigkeit geschätzt wurde: "Ich möchte dazu ermutigen, auch zukünftig die Welt immer auch mit den Augen des anderen zu sehen, also auch die manchmal unbequemen und gegensätzlichen Perspektiven des Gegenübers wahrzunehmen, sich für den Ausgleich der Interessen einzusetzen."
Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Großen Zapfenstreich zu ihrem Ausscheiden aus dem Amt
So viele Krisen wie nie
Daran hat sich Deutschlands erste Bundeskanzlerin selbst gehalten: Auch mit schwierigen Rivalen wie Putin, Erdogan oder Chinas Präsident Xi ließ sie den Gesprächsfaden nie abreißen. Keiner ihrer Amtsvorgänger musste so viele Krisen wie sie bewältigen: erst die Finanz- und dann die Euro-Krise, Ukraine-Krieg und Flüchtlingskrise, Brexit und Corona-Krise.
An ihrem letzten Amtstag ist die Corona-Lage in Deutschland schlimmer denn je. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 439. Merkel, die von Beginn an mahnte, die Lage ernst zu nehmen, macht in ihrer Abschiedsrede den Bundesbürgern dennoch Mut: "Ich bin überzeugt, dass wir die Zukunft auch weiterhin dann gut gestalten können, wenn wir uns nicht mit Missmut, mit Missgunst, mit Pessimismus, sondern mit Fröhlichkeit im Herzen an die Arbeit machen."
"Schauen wir mal, wo ich auftauche"
In den Wochen nach der Bundestagswahl sorgt die scheidende Kanzlerin für eine reibungslose Machtübergabe. Ihren Nachfolger Olaf Scholz nimmt sie schon beim G20-Gipfel in Rom zu allen Gesprächen mit. Die unaufgeregte und professionelle Art des Machtwechsels in Deutschland wird weltweit gelobt.
Bis zum letzten Tag im Kanzleramt spricht Merkel nicht gern über das, was danach kommt. Einen kleinen Einblick gab sie im Juli Studierenden der Johns Hopkins Universität in Baltimore. Erstmal wolle sie überlegen, was sie eigentlich interessiert und "dann werde ich vielleicht versuchen, was zu lesen. Dann werden mir die Augen zufallen, weil ich müde bin. Dann werde ich ein bisschen schlafen, und dann schauen wir mal, wo ich auftauche."
Nächstes Projekt: Memoiren schreiben
Auf jeden Fall will Merkel reisen. Sie könne sich vorstellen, im Ruhestand all jene Städte zu besuchen - so Merkel in einem Interview - in denen sie einen Ehrendoktor bekommen hat. Das wären dann 19 Städtetouren: von New York und Baltimore über Jerusalem und Haifa, bis nach Seoul und Nanjing in China.
Ein weiteres politisches Amt strebt Merkel nicht an. Ihre langjährige Büroleiterin Beate Baumann verriet kürzlich, was sie und ihre Chefin in den nächsten zwei bis drei Jahren gemeinsam vorhaben: Merkels politische Memoiren schreiben - und zwar ohne Ghostwriter. Genügend Stoff für ihr Buch hat sie: In ihrer 16-jährigen Amtszeit erlebte Merkel vier US-Präsidenten, vier Präsidenten aus Frankreich, neun aus Italien und sie hatte mit acht SPD-Vorsitzenden plus Interimschefs zu tun. Kein Zweifel: In diesem Jahr ging eine Ära zu Ende. Und irgendwann verschwindet auch ihr Abschiedssong aus den Ohren.