Merkel erhält Bayern-Orden Es ist kompliziert
Bayerns Ministerpräsident Söder würdigt Alt-Kanzlerin Merkel mit dem höchsten Orden - für ihren "Einsatz zum Wohl des bayerischen Volkes". Dabei hatte es Merkel nie leicht mit den Bayern. Zeit für einen Rückblick.
Angela Merkel, die im Spätherbst 2015 in einer schmucklosen Münchner Messehalle mit steinerner Miene eine 13-minütige Demütigung auf offener Parteitagsbühne durch den damaligen CSU-Chef Horst Seehofer über sich ergehen lässt.
Angela Merkel, die bei Bilderbuchwetter im Sommer 2020 zusammen mit Markus Söder in einer Pferdekutsche vor Schloss Herrenchiemsee vorfährt und anschließend an der Sitzung des bayerischen Kabinetts im prunkvollen Saal der Spiegelgalerie des Neuen Schlosses teilnimmt.
Beziehung voller Spannungen
Keine fünf Jahre liegen zwischen beiden Fotos, die sinnbildlich für die wechsel- und spannungsvolle Beziehung der langjährigen Kanzlerin und CDU-Vorsitzenden zu Bayern beziehungsweise zur CSU stehen. Wenn Ministerpräsident Markus Söder die 68-Jährige heute mit dem bayerischen Verdienstorden ehrt, werden zugleich Erinnerungen an erbitterten Streit wach.
Jahrelang war Merkel regelmäßig in Bayern zu Gast - bei CSU-Parteitagen, Wahlkampfterminen, den Wagner-Festspielen in Bayreuth. Um die Welt ging ein Bild vom G7-Gipfel 2015 in Elmau: die damalige Kanzlerin mit US-Präsident Barack Obama vor malerischer Bergkulisse.
Kaum ein Medium kam beim G7-Gipfel 2015 ohne dieses Bild aus. Merkel vor und Obama auf einer Bank bei Schloss Elmau vor malerischer Bergkulisse.
Das legendäre Frühstück in Wolfratshausen
Kein Foto dagegen ist von einem anderen legendären Termin Merkels im Freistaat bekannt: dem Wolfratshauser Frühstück 2002 in Edmund Stoibers Doppelhaushälfte, bei dem die damalige CDU-Chefin dem CSU-Kollegen und bayerischen Ministerpräsidenten die Unions-Kanzlerkandidatur abtrat. Merkel hätte gern selbst zugegriffen, doch der Widerstand einflussreicher Parteifreunde und der Ehrgeiz des umtriebigen Stoiber war zu groß. Sie gab nach, der CSU-Politiker trat an und scheiterte knapp.
Noch bevor Merkel 2005 doch Kanzlerin wurde, bescherte ihr ein anderer Bayer Ärger in der Unionsfraktion: Im Herbst 2004 eskalierte zwischen der Oppositionsführerin und dem stellvertretenden Unions-Fraktionschef Seehofer der Streit über die Gesundheitsreform. Der CSU-Politiker stellte sich gegen eine Kopfpauschale und damit gegen Merkel. Ein Konflikt, der in Seehofers Rücktritt als Fraktionsvize gipfelte und das Verhältnis der beiden Politiker nachhaltig belastete.
Dauerstreit mit Seehofer
Nach Seehofers Wechsel nach München als CSU-Chef und Ministerpräsident 2008 knirschte es fast regelmäßig zwischen ihm und Merkel - etwa im Streit über die Euro-Politik und CSU-Wahlkampfschlager wie Pkw-Maut, Betreuungsgeld oder Mütterrente. Mehrfach drohte Seehofer der Kanzlerin mit dem Ende der schwesterparteilichen Zusammenarbeit und damit dem Aus der Koalition.
Beispiellose Tiefpunkte erreichte ihr Verhältnis ab 2015 im Zwist über die Flüchtlingspolitik. Der CSU-Vorsitzende hielt Merkels Entscheidung, die Grenzen für Tausende Migranten nicht zu schließen, für falsch und ging auf Konfrontation. Er pochte auf eine Begrenzung der Zuwanderung.
"Herrschaft des Unrechts"
Auf dem CSU-Parteitag 2015 brüskierte er die Kanzlerin auf offener Bühne, als er ihr wie einem Schulmädchen eine Standpauke hielt - und viel Applaus erhielt. Kurz darauf brachte Seehofer Merkels Politik mit einer "Herrschaft des Unrechts" in Verbindung. Als er 2018 Bundesinnenminister wurde und einen "Masterplan Migration" durchsetzen wollte, kam es zum Eklat. Er setzte der Kanzlerin eine Frist, drohte - und sorgte mit einer Rücktrittsankündigung sowie dem Rücktritt vom Rücktritt für Wirbel.
Auch Söder, Seehofers Nachfolger in der bayerischen Regierungszentrale, stimmte ein ins CSU-Dauerfeuer gegen die Kanzlerin und CDU-Chefin: Merkels Entscheidung von 2015 geißelte er als "grundlegenden Fehler", machte sie für eine Schwächung der Union verantwortlich und forderte ein Ende des "Asyltourismus" - eine Formulierung, von der sich später distanzierte.
Söder und die SMS der Kanzlerin
Im "Münchner Merkur" bezeichnete Söder sein Verhältnis zu Merkel als wechselhaft. "Ich war früher skeptisch, insbesondere wegen der Migrationspolitik." In der Corona-Krise kam dann der Wendepunkt. Trotz seiner Corona-Alleingänge sah Söder Merkel als Verbündete im "Team Vorsicht", der restriktive Kurs im Kampf gegen die Pandemie bescherte beiden zeitweilig hohe Beliebtheitswerte. Rückblickend sagte Söder, dass die SMS der Kanzlerin mit Lebensweisheiten ihm in schwerer Zeit oft geholfen hätten.
Im Sommer 2020 nutzte Söder einen Merkel-Besuch für eine Inszenierung, die die Spekulationen über seine bundespolitischen Kanzler-Ambitionen anheizte - obwohl er diese abstritt: Söder mit Merkel an Bord eines historischen Raddampfers, Söder mit Merkel in der Kutsche, Söder mit Merkel im Spiegelsaal von Schloss Herrenchiemsee. Den CDU-Vorsitz hatte sie da schon abgegeben, auch ihr Abschied aus dem Kanzleramt stand fest. Somit war es nicht mehr Merkel, gegen die Söder wenige Monate später doch um die Kanzlerkandidatur kämpfte, sondern Armin Laschet.
Söder und Merkel im Sommer 2020 in Herrenchiemsee.
"Zum Wohl des bayerischen Volkes"
Für Spitzen oder handfesten politischen Streit mit Merkel hat Söder keinen Grund mehr, längst findet er nur noch lobende Worte für sie - sogar für ihre Flüchtlingspolitik. Anders als einst Konrad Adenauer und Helmut Kohl erhält sie den bayerischen Verdienstorden aber erst nach ihrer Kanzlerschaft. Laut einem Staatskanzlei-Sprecher ist es eine Ehrung "für ihren Einsatz zum Wohl des bayerischen Volkes in einer Zeit, die von nahezu nie gekanntem Ausmaß internationaler Krisen geprägt war".
Zwar kamen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst dem Bayern kürzlich mit Ordensverleihungen an Merkel zuvor - dafür trumpft Söder mit königlich-prunkvollem Rahmen auf: Für die Verleihung lässt er das Antiquarium in der Münchner Residenz herrichten, einen der prächtigsten Renaissancesäle nördlich der Alpen. Ein paar neue staatsmännische Fotos von Söder mit Merkel werden also dazukommen.