Wahlerfolg für AfD Vom Protest profitiert
Mit voller Schlagkraft sei die AfD in Niedersachsen zurück - so wertet die Partei ihre Stimmengewinne bei der Landtagswahl. Zu verdanken hat sie das vor allem der Unzufriedenheit mit anderen Parteien.
Der Wahlsieger in Niedersachsen heißt SPD, die Grünen feiern ihr bislang bestes Abschneiden in dem Bundesland - aber auch die AfD kann an diesem Wahlabend jubeln. Denn mit fast zwölf Prozent aller Stimmen kann die Partei ihr Ergebnis von 2017 nahezu verdoppeln.
"Ein wunderbares Wahlergebnis", fasste es Stefan Marzischewski-Drewes, der Spitzenkandidat der niedersächsischen AfD zusammen - und sieht seine Partei trotz eines schwierigen Wahlkampfes "in einem schwierigen Bundesland wie Niedersachsen schlagartig angekommen".
Mit ganz ähnlichen Worten feiert der Bundesvorsitzende der AfD, Tino Chrupalla, den Wahlausgang in Niedersachsen: "Wir haben jetzt wieder eine Landtagsfraktion, die schlagkräftig ist." Von einer Protestpartei könne aus Sicht des Bundesparteichefs keine Rede mehr sein, denn "alles was über zehn Prozent ist im Westen, ist Volkspartei".
Starkes Ungerechtigkeitsgefühl bei AfD-Wählerschaft
Gleich mehrere Parteien in Niedersachsen verzeichnen Stimmenverluste in Richtung AfD. Mit etwa 50.000 Wählerinnen und Wählern wanderten die meisten laut ARD-Wahlanalyse von der CDU ab, gefolgt von der FDP. Unter den Anhängerinnen und Anhängern der Liberalen schwenkten demnach etwa 40.000 auf die AfD um.
Etwa 30.000 Wählerinnen und Wähler wechselten bei der Vergabe ihrer Stimme von der SPD zur AfD, ebenso viele waren es mutmaßlich unter bisherigen Nichtwählern. "Die Schwächen der anderen Parteien" hätten für viele "den Weg zur AfD geebnet", fasste es ARD-Wahlexperte Jörg Schönenborn zusammen.
Hinzukommt, dass Sorgen und Ängste angesichts derzeitiger Krisen wie drohender Gasmangel und zunehmende Inflation bei der AfD-Wählerschaft stärker ausgeprägt sind als bei Anhängern anderer Parteien.
Laut Daten von infratest dimap fühlen sich bundesweit 75 Prozent aller befragten Bürgerinnen und Bürger "beunruhigt" über die wirtschaftliche und politische Situation in Deutschland. Unter AfD-Anhängerinnen und -Anhängern sind es sogar 93 Prozent. 84 Prozent der AfD-Anhänger sprachen von einer "Ungerechtigkeit", die sie empfänden und 83 Prozent zeigten sich unzufrieden mit der Demokratie in Deutschland.
Stimmengewinne dank "verfehlter Bundespolitik"
Mit dem Wahlergebnis in Niedersachsen verpasst die Bevölkerung aus Sicht von AfD-Bundesparteichef Chrupalla der Ampel-Koalition in Berlin einen Denkzettel für ihre "verfehlte Bundespolitik". Denn es sei doch wichtig, dass es eine Partei gebe, der die Bürgerinnen und Bürger ihren "Protest übertragen" könnten.
Was anders laufen müsste in der derzeitigen Politik, ist für die AfD klar: Keine Sanktionen gegen Russland mehr, dafür wieder Importe von russischem Gas. Und dazu Energiesicherheit schaffen, indem wieder längerfristig auf Atomkraft gesetzt wird.
Mit der Nutzung von Atomkraft gegen drohende Lücken in der Energieversorgung hat auch der Landesverband der AfD in Niedersachsen für sich geworben - mit dem Blick "auf die Fakten und ideologiefrei", wie es Spitzenkandidat Marzischewski-Drewes betont.
Neben ihrem Kurs gegen die aktuellen wirtschaftlichen und politischen Krisen konnte seine Partei aus Sicht des 57-Jährigen aber auch mit etwas anderem punkten - einer wiedergefundenen Geschlossenheit. Vorbei seien die Zeiten einer zerstrittenen Landes-AfD, was die Partei 2020 sogar ihren Fraktionsstatus im niedersächsischen Landtag gekostet hatte. Doch ihr jetziges Abschneiden bei der Wahl habe die AfD erreicht, "weil wir gemeinsam sind", betonte Marzischewski-Drewes.
Grüne über AfD-Abschneiden geschockt
Bei den Grünen ruft das starke Ergebnis der AfD breite Sorge hervor. Auf Twitter gratulierte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir der SPD in Niedersachsen sowie den eigenen Grünen. Er äußerte sich aber auch alarmiert über die Stimmenverluste demokratischer Parteien auf der einen und die "Gewinne für Putinfans" auf der anderen Seite.
Der ehemalige Bundesumweltminister und Grünen-Politiker Jürgen Trittin nutzte das Ergebnis der AfD für einen deutlichen Seitenhieb gegen Bundes-CDU-Chef Friedrich Merz:
Seine Tiraden gegen die Aufnahme von russischen Kriegsdienstverweigerern, sein Reden über Ukrainerinnen vor allen Dingen als Sozialtouristen haben nur den einen Effekt gehabt: Es hat nicht den Parteien der demokratischen, rechten Mitte geholfen, sondern den Antidemokraten der AfD. Dann sind die Leute zum Original gelaufen. Und vielleicht lernt man da mal draus auf Seiten der CDU. Man soll mit solchen Themen nicht die Rechten stark machen.
Merz war zuletzt mit der Formulierung "Sozialtourismus" in Bezug auf Flüchtlinge aus der Ukraine in die Kritik geraten. Später hatte er sich für diese Äußerungen entschuldigt.
Knobloch sieht "Alarmzeichen"
Die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, zeigte sich schockiert, "wie viele Stimmen bei Wahlen allein mit Angst und Hetze zu gewinnen sind". Zwar seien Krisenzeiten immer "eine Feuerprobe für die Demokratie" gewesen, doch dieses Abschneiden der AfD sei ein "Alarmzeichen - weit über Niedersachsen hinaus".