Proteste von Landwirten Özdemir sieht Versäumnisse von Vorgängern
Agrarminister Özdemir sieht im Streit über den Agrardiesel nur einen Grund für die Wut von Landwirten. Jahrzehntelang seien den Bauern Dinge versprochen, aber nicht eingehalten worden. Kritik kommt aus der Union.
Bundesagrarminister Cem Özdemir hat mit Blick auf die Bauernproteste die vorherige Regierung kritisiert. "Der Karren ist so tief im Dreck, um mal bildlich zu sprechen, dass wir alle miteinander arbeiten sollten und jetzt nicht so sehr Parteipolitik machen sollten, wie es meine Vorgängerin vorher gemacht hat", sagte der Grünen-Politiker im Morgenmagazin von ARD und ZDF. Er bezog sich damit offensichtlich auf die CDU-Politikerin Julia Klöckner, die das Ressort von 2018 bis 2021 leitete.
Die Ampelkoalition will aufgrund der angespannten Haushaltslage die Steuerbegünstigung beim Agrardiesel abbauen. Nach Kritik der Landwirtschaftslobby schwächte sie die baldige Streichung ab und plant nur einen Abbau in mehreren Schritten. Auf die zuvor angekündigte Abschaffung der Kfz-Steuerbefreiung für die Landwirtschaft verzichtet die Bundesregierung ganz.
"Ich weiß natürlich, dass die Bauern sagen, das reicht nicht. Ich glaube aber, dass es gar nicht so sehr um den Agrardiesel nur geht", sagte Özdemir. "Der Agrardiesel alleine hat nicht den Zorn ausgelöst, sondern was den Zorn ausgelöst hat, ist, dass jahrzehntelang den Bauern Dinge versprochen wurden von wechselnden Regierungen, die dann nur zum Teil oder gar nicht gehalten worden sind." Der Minister betonte: "Landwirte denken in Generationen, wir denken in Legislaturperioden - und das ist das Problem."
Kritik von Unionspolitikern
Klöckner äußerte sich im Morgenmagazin ebenfalls zur Lage der Landwirte: Es müsse eine Politik gemacht werden, die etwas mit der Realität der Bäuerinnen und Bauern zu tun habe. "Die demonstrieren dafür, dass sie nicht eine Steuererhöhung aufgebrummt bekommen, die sie überproportional zum Sparen für diese Ampel-Haushaltspolitik beibringen sollen", sagte Klöckner.
CSU-Generalsekretär Martin Huber sagte, "für den Unmut der Landwirte tragen alleine die Ampel und Cem Özdemir die Verantwortung". Özdemir müsse für die Rücknahme der Belastungen sorgen. "Kann er das nicht, sollte er zurücktreten." Die CSU hatte vor Klöckner mehrere Agrarminister in den Regierungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel gestellt.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder warf der Bundesregierung eine "einseitige Benachteiligung der Landwirtschaft" vor. Ziel sei es wohl, "bäuerliche Existenzen zu zerstören, bäuerliche Produktion zu reduzieren, um abhängig vom Ausland zu sein", sagte der CSU-Chef. Die Bundesregierung gefährde so die Zukunft Deutschlands und Bayerns.
Lindner will bei Protesten reden
Für kommenden Montag ist eine große Protestkundgebung von Bauern in Berlin geplant. Die Vorsitzenden der drei Ampel-Fraktionen im Bundestag luden die Spitzen der Landwirtschaftsverbände für diesen Tag bereits zu einem Gespräch ein.
Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner will sich Anfang nächster Woche den protestierenden Landwirten stellen. Der FDP-Chef soll am Montagmittag bei einer Demonstration des Bauernverbands vor dem Brandenburger Tor reden, wie das Finanzministerium mitteilte.
Der bayerische Bauernverband erwägt eine Verschärfung der Proteste. "Wir haben bisher davon abgesehen, Infrastruktur zu blockieren, etwa die Lebensmittelversorgung. Aber wir lassen uns nicht einfach mehrere Monatseinkommen aus der Tasche ziehen", sagte der bayerische Bauernverbandspräsident Günther Felßner der "Augsburger Allgemeinen".
Wagenknecht äußert Verständnis für Bauern
Sahra Wagenknecht forderte den vollständigen Erhalt der Steuervorteile beim Agrardiesel. "Ansonsten sollte der Protest weitergehen", sagte die Vorsitzende des Bündnisses Sahra Wagenknecht und ehemalige Linkspartei-Politikerin. Zudem verlangte sie von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine Entschuldigung bei den Bauern. Es sei "unverschämt, dass die eindrucksvolle Protestwoche der Bauern endet, ohne dass der Bundeskanzler seinen schweren Fehler korrigiert".
Auch "Fridays for Future" zeigte Verständnis für die Lage der Bauern und forderte von der Bundesregierung eine nachhaltige Agrarpolitik. Die gesamte Landwirtschaft stecke in der Klemme, sagte der Sprecher der Klimaschutzbewegung, Pit Terjung, im RBB. Sie werde zwischen dem Handel und der Agrarindustrie "zerrieben". Außerdem gebe es seit Jahren eine enorme Abhängigkeit von Subventionen.
"Wir sitzen in diesem Boot gemeinsam"
Die Ethikratsvorsitzende Alena Buyx mahnte derweil zu einem differenzierten Blick auf den aktuellen Bauernprotest. "Protest ist immer total wichtig, das gehört zu einer Demokratie dazu", sagte Buyx im Morgenmagazin. Aber Unterwanderungen durch rechte und demokratiefeindliche Gruppierungen bereiteten ihr Sorge.
Buyx sagte, sie wünsche sich ein respektvolleres Miteinander bei den aktuellen Protesten. "Letztendlich sitzen wir in diesem Boot einer Gesellschaft doch alle gemeinsam", so die Medizinethikerin von der Technischen Universität München.
"Wut und Empörung sind nachvollziehbar, aber sie sind eben auch nicht das, was helfen wird", sagte Buyx. Sowohl staatliche Stellen als auch Medien seien aufgefordert, zu einer "gewissen Mäßigung" beizutragen, statt Emotionen weiter aufzupeitschen. Letztlich trage aber jeder einzelne in der Bevölkerung Verantwortung dafür, "dass unsere Demokratie stabil und stark bleibt und dass wir uns nicht zerfetzen im Streit", betonte die Vorsitzende des Ethikrates.