Teilnehmer der Demonstration "Nie wieder ist jetzt!" des Bündnisses "Gera gegen rechts" stehen mit einem Transparent mit der Aufschrift "Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda" in der Nähe der Bogenbilderhalle, wo zeitgleich der "Bauernaschermittwoch" von "Aufbruch Deutschland" stattfindet.
reportage

Kampf gegen Rechtsextremismus Sie wären gern mehr

Stand: 03.06.2024 16:06 Uhr

Der Widerstand ist oft klein, wenn rechtsextreme Gruppierungen und Parteien im ländlichen Sachsen und Thüringen zu Kundgebungen aufrufen. Die Aktivistinnen und Aktivisten wünschen sich mehr Unterstützung.

Von Jennifer Schollbach, MDR

Blauer Himmel, Sonnenschein, ein Bilderbuchtag. Doch nicht nur die Blätter an den Bäumen werden durch ein laues Lüftchen bewegt, sondern auch schwarz-weiß-rote Reichsflaggen sowie die Flaggen der 25 Bundesstaaten des ehemaligen deutschen Kaiserreiches.

Sie werden unter Trommelwirbel und mit stolzgeschwellter Brust in Gera geschwenkt. Einige Menschen tragen Uniformen der preußischen Armee und aus dem Lautsprecher dröhnt der Satz: "Das Deutsche Reich ist nicht untergegangen."

Der deutsche Rechtsstaat als Feindbild

Die Reichsbürger- und Selbstverwalterszene hatte sich im April in Thüringen versammelt, um ihre Ansicht laut kundzutun, dass die Bundesrepublik Deutschland kein souveräner Staat sei und über keine Verfassung verfüge. Wie die Polizei dem MDR mitteilte, nahmen in der Spitze rund 1.000 Menschen an dem Treffen teil. Man wünscht sich die Grenzen der Kaiserzeit zurück, lehnt die Gültigkeit der Rechtsordnung der Bundesrepublik ab. In Deutschland gibt es laut Verfassungsschutz rund 23.000 Anhänger dieser Szene.

Einer von ihnen ist der selbsternannte König von Deutschland, Peter Fitzek. Er hat seinen eigenen Fantasiestaat "Königreich Deutschland" gegründet, hat sich selbst zum Oberhaupt seiner Anhängerschaft gekrönt.

Und auch Parteimitglieder der AfD und der "Freien Sachsen" sind vertreten. Jacob hat sie erkannt. Der 23-jährige Aktivist lebt in Gera und ist, so oft er kann, als unabhängiger Blogger und Fotograf auf rechten Kundgebungen unterwegs, um zu dokumentieren und Hintergründe zu liefern. Die Lokalpresse tut das seiner Ansicht nach nur eingeschränkt.

Jacob fotografiert eine Kundgebung der Reichsbürgerszene

Jacob fotografiert eine Kundgebung der Reichsbürgerszene

Standhaft trotz Bedrohung und Schikane

Obwohl er auf den Veranstaltungen oft geschubst, bedroht und in seiner Arbeit behindert wird, hat er keine Angst. "Ich denke mal nicht, dass die Reichsbürger heute ihre Waffen dabei haben", sagt Jacob.

Nur ein halber Scherz, denn dass Teile der Reichsbürgerbewegung durchaus gewaltbereit sind, Waffen besitzen und sogar Umsturzpläne verfolgen, ist gesichert. Im April begann der Prozess gegen die sogenannte Reuß-Gruppe, die die staatliche Ordnung in Deutschland gewaltsam beseitigen wollte.

Der Verfassungsschutz beobachtet die Reichsbürger- und Selbstverwalterszene schon seit Jahren. Großen Gegenwind bekommen deren Anhänger in Gera dennoch nicht. Auf der Seite der Gegendemonstranten stehen 50 Menschen. Nur 50 Menschen, die ein Zeichen für die Demokratie und gegen Hetze setzen wollen.

"Meist sieht man immer nur die gleichen Leute. Ich weiß nicht was passieren muss, dass die anderen sagen: 'Ok, jetzt muss ich mich mal richtig engagieren'", sagt Jacob etwas resigniert. Eine Seltenheit ist das in kleineren Städten und im ländlichen Raum allerdings nicht.  

Nahaufnahme von Jacob vor einer Demonstration

Jacob will mit seiner Arbeit dokumentieren und Hintergründe liefern.

Kaum Gegenwind gegen rechts im ländlichen Raum

Wer sich hier gegen Demokratiefeindlichkeit und rechte Hetze einsetzt, hat nicht den Rückhalt und Schutz der anonymen Masse. Hier hält man seinen Kopf hin und geht auf volles Risiko.

Auch Ocean Hale aus Döbeln in Sachsen spürt das im Alltag oft. Ocean organisiert Demos, Ausstellungen und politische Debatten, ist deshalb in der Region kein unbekanntes Gesicht.

"Gerade über Social Media gibt es viele Hass- und Drohnachrichten. Aber ich lasse mich nicht einschüchtern. Ich wüsste nicht was passieren müsste, damit ich mein Ehrenamt aufgebe", sagt Hale. "Wenn niemand etwas macht, wird sich nichts ändern und dann übergibt man die Region automatisch an die Rechten."

Ocean Hale steht mit verschränkten Armen vor einer Hauswand.

Ocean Hale engagiert sich im Bündnis "Bunte Perlen" und im Verein "Queeres Döbeln" für Toleranz und Vielfalt.

Deshalb stehen Hale, das Bündnis "Bunte Perlen" und die "Omas gegen rechts" immer wieder auch im benachbarten Waldheim mit ihren Bannern auf der Straße. Hier finden seit Jahren Montagsdemos statt, auf denen die AfD und die "Freien Sachsen" ihre Ansichten und Forderungen kundtun.

Dass auch diese beiden Parteien vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft werden, scheint hier die wenigsten zu interessieren. Die oft rassistischen Ansichten und fremdenfeindlichen Parolen scheinen zur Normalität zu werden, scheinen auf Zustimmung oder zumindest auf keine Gegenwehr zu stoßen.

Zuwächse der AfD auf kommunaler Ebene

Dass die AfD immer mehr Zuspruch zu erlangen scheint, haben zuletzt die Kommunalwahlen in Thüringen gezeigt. Zwar wurde der von der Partei erhoffte große Durchmarsch nicht erreicht, doch die AfD ist neben der CDU in Kreistagen und Stadträten am stärksten vertreten. Sie kam auf 25,8 Prozent der Stimmen. Im Vergleich zu den Kreistags- und Stadtratswahlen der kreisfreien Städte von 2019 verbuchte die AfD mit einem Plus von 8,1 Prozentpunkten die kräftigsten Zuwächse. 

Wie in vielen anderen Bundesländern steht in Sachsen am 9. Juni nicht nur die Europawahl an, sondern auch die Kommunalwahl. Auch hier wird ein besonders genau darauf geblickt, wie die die AfD abschneidet. Seit 2023 gelten die AfD und die "Junge Alternative" in Sachsen als gesichert rechtsextremistische Bestrebung.

Der aktuelle sächsische Verfassungsschutzbericht 2023 hatte erst kürzlich aufgezeigt, dass sowohl die Zahl der Rechtsextremisten als auch der rechtsextremistischen Straftaten auf einem neuen Höchststand sind.

Keine Unterstützung aus den Großstädten fürs Hinterland

Umso frustrierender ist es für Ocean Hale und die Aktivistinnen und Aktivistinnen der "Bunten Perlen", dass sichtbarer Gegenwind immer nur aus den Großstädten kommt und vor allem in den Großstädten bleibt. Von Bildern, wie es sie zuletzt aus Leipzig gab, als Zehntausende auf die Straße gingen, um gegen das Potsdamer Geheimtreffen rund um den Rechtsextremist Martin Sellner zu demonstrieren, können die Aktivistinnen und Aktivisten im ländlichen Raum nur träumen. Dorthin kommen nur selten Menschen aus den Großstädten, um zu unterstützen.

"Natürlich ist das ein cooles Gefühl, mit 30.000 Leuten zusammen auf der Straße zu stehen. Es ist ein anderes Gefühl, mit nur 200 Leuten 300 Nazis gegenüberzustehen. Aber ich finde es krass, dass die uns im Hinterland so alleine lassen", ärgert sich Hale.

Das sogenannte Hinterland zu verlassen, ist dennoch keine Option: "Wenn alle Personen, die moderne, tolerante, weltoffene Ansichten haben, in Großstädte ziehen, dann werden die Kleinstädte immer so braun bleiben, wie sie gerade sind, oder gerade drohen wieder zu werden", erklärt Hale bestimmt.

Und so werden sich die "Bunten Perlen", Hale und Jacob auch in Zukunft gegen die Anhänger der AfD oder die "Freien Sachsen" stellen und über sie berichten. Ohne Sicherheitsabstand und ohne den Schutz der anonymen Masse.

Mehr zu diesem Thema sehen Sie in der ARD-Reportage "Furchtlos gegen rechts" in der ARD-Mediathek.