Kommunikation der Regierung "Scholz muss mehr erklären"
Nur wer verstanden wird, kann auch überzeugen, sagt Kommunikationswissenschaftler Brettschneider. Scholz erkläre seine Politik aber kaum. Warum Baerbock und Habeck das besser gelingt - und wer die Schwächen der Ampel nutzt - ein Interview.
tagessschau.de: Bundeskanzler Olaf Scholz steht wegen seines Kommunikationsstils in der Kritik. "Unterirdisch" heißt es selbst aus seiner Ampel-Regierung. Berechtigt? Wie bewerten Sie den Scholz-Stil?
Frank Brettschneider: Zwiespältig. Denn in der Sache hat Scholz ja große Teile der Bevölkerung auf seiner Seite. Er handelt besonnen, zurückhaltend, vorsichtig - das kommt bei vielen in diesen unsicheren Zeiten gut an. Allerdings erklärt er seine Politik kaum. Seine Kommunikation ist nun wirklich ausbaufähig.
tagesschau.de: Was fehlt?
Brettschneider: Es fängt an beim Nicht-Erläutern seiner Standpunkte, oft mit rhetorischen Mitteln getarnt. Dann sagt er etwa: "Ich sage sehr klar", aber danach kommt etwas Nebulöses. Damit vermeidet er Festlegungen. Aber Orientierung stiftet es nicht. Scholz nutzt oft Bandwurmsätze, Schachtelsätze, die kaum zu verstehen sind. Aber nur wer verstanden wird, kann auch überzeugen.
Erschwerend hinzu kommt: Es gibt keine einheitliche Kommunikation der Regierung, zumindest ist sie zum Ukraine-Krieg nicht erkennbar. Da ist Scholz mit seinen vagen Positionen, dann die Grünen mit einem ganz anderen Kommunikationsstil, und die FDP tritt auch wieder ganz anders auf. Aus einem Guss ist das nicht. In Krisenzeiten wünscht sich die Bevölkerung aber genau das.
Frank Brettschneider ist Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim. Er forscht unter anderem zur Politischen Kommunikation wie etwa Wahlforschung.
Ähnlichkeiten mit Angela Merkel
tagesschau.de: Bleiben wir zunächst beim Kanzler: Konkretes Beispiel: die Debatte um Waffenlieferungen. Scholz nutzte verschiedene Argumentationsstränge, warum Deutschland keine schweren Waffen liefern könne. Dann ging es plötzlich doch. Erklärt hat er diese Kehrtwende bislang nicht. Können Sie das erklären?
Brettschneider: Wer zunächst einmal Erklärungen liefert, warum man etwas nicht macht, möchte eine Festlegung vermeiden. Und erstmal abwarten, wie sich Dinge entwickeln. Das hat Ähnlichkeiten mit dem Regierungsstil von Angela Merkel. Doch wenn man dann eine Kehrtwende vollzieht, muss man dies begründen. Und das macht Scholz nicht. Dass er sie vollzogen hat, kann mit öffentlichem Druck zu tun haben, auch aus seiner Ampel und von Bündnispartnern.
"Habeck beim Denken zuschauen"
tagesschau.de: Es wirkt derzeit so, als seien die Grünen die Erklärer der Regierungspolitik. Haben Baerbock, Habeck und Co es leichter als der Kanzler?
Brettschneider: Im Gegenteil. Sowohl Habeck als auch Baerbock haben mit ihren Ministerämtern eine sehr schwere Rolle. Zu den Grundsäulen der Grünen gehörten einmal Pazifismus und Gewaltfreiheit. Die Wendungen, die die Grünen jetzt vollziehen müssen, sind für Teile der Parteibasis eine Zumutung. Diese Zumutung kommunizieren beide aber sehr gut.
tagesschau.de: Was machen sie anders?
Brettschneider: Annalena Baerbock spricht in klaren Sätzen, das ist ihr Pluspunkt. Und Robert Habeck kann man fast beim Denken zuschauen, wenn er etwas erläutert. Seine innere Zerrissenheit, sein Abwägen - all das kehrt er von innen nach außen. Und das sieht man. Häufig wird das noch emotional unterfüttert. Vieles mag dann sehr undiplomatisch klingen, aber er spricht aus, was viele denken.
Eine "Satzkastenmaschine"
tagesschau.de: Nun wird Scholz vermutlich kommunikativ kein Habeck. Empathie und Emotion waren noch nie Scholz' Sache. Warum sind nun viele so überrascht - auch negativ überrascht - von Scholz' eher sparsamer Art zu kommunizieren?
Brettschneider: Der Politiker Scholz galt schon früher als eine Art "Satzkastenmaschine", die immer wieder Wortkombinationen auf unterschiedliche Art und Weise anordnet und dann damit nichts gesagt hat. Das war in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister so und später auch als Finanzminister. Und es war auch im Bundestagswahlkampf nicht wirklich anders. Und von einigen ist er ja auch genau dafür gewählt worden, also für dieses vermeintlich besonnene Agieren. Das hat nun aber vor dem Hintergrund von gleich zwei Krisen - Corona und Ukraine-Krieg - eine negative Interpretation erfahren. Denn auch bei der Impfpflicht hat er ja wenig dafür getan, dass sie dann auch kommt. Da erwarten viele Menschen mehr von ihm.
tagesschau.de: Der Kanzler Scholz braucht also einen anderen, einen neuen Kommunikationsstil? Sein bisheriger Stil kommt in diesen Krisen- und Kriegszeiten an sein Ende?
Brettschneider: Ein Stück weit ist das so. Scholz muss mehr erklären. Er muss versuchen, zu überzeugen. Änderungen von politischen Positionen sind nicht so sehr das Problem, wenn sie denn nachvollziehbar sind. Aber daran fehlt es bei Scholz derzeit. Und dann wird aus dem Aspekt der Führungsstärke und der Tatkraft ganz schnell ein Problem der Vertrauenswürdigkeit.
tagesschau.de: Wie bewerten Sie Scholz' Warnungen im Spiegel vor einem "Atomkrieg"? Das ist ja kommunikativ fast die "Bazooka" im Scholz-Sprech.
Brettschneider: Schwer zu sagen. Er erklärt ja auch nicht, woher seine Besorgnis kommt. Mein Eindruck ist, dass er diese Worte wählte, um Kritik an seiner zurückhaltenden Position verstummen zu lassen.
"Nicht sehr professionell"
tagesschau.de: Auch andere Mitglieder der Ampel-Regierung standen oder stehen nach missglückter Kommunikation oder unglücklichen Auftritten in der Kritik. Karl Lauterbach, Anne Spiegel, Christine Lambrecht ...
Brettschneider: Sehr professionell wirkt das nicht. Es zeigt, dass es leichter ist, einen Wahlkampf zu führen als hinterher die Regierungsgeschäfte zu leiten. Unter dem Druck der Regierungsarbeit wird Kommunikation leicht vernachlässigt. Dabei ist Politik immer auch Kommunizieren. Geht das schief, können auch Kleinigkeiten schnell zum großen Problem werden, wie ja auch das Lachen von Armin Laschet im Flutgebiet gezeigt hat.
tagesschau.de: Braucht die Ampel eine Kommunikationsmanagerin oder -manager?
Brettschneider: Es braucht vor allem Politikerinnen und Politiker, die sich auch beraten lassen. Und sich an diese Ratschläge halten und vielleicht auch mal die Füße stillhalten. Ich denke da etwa an Karl Lauterbach und seine Talkshow-Auftritte. Politisches Gestalten und politische Kommunikation gehören zusammen. Insofern kann man das auch nicht auslagern und es an eine Presseabteilung delegieren. Sie kann beraten und unterstützen, die politischen Akteure müssen das aber am Ende selbst hinbekommen.
tagesschau.de: Was bedeuten die Kommunikationsprobleme der Ampel-Regierung für die Opposition?
Brettschneider: Der Union um Friedrich Merz wird es ziemlich leicht gemacht. Und zwar in doppelter Hinsicht: Merz kann Scholz unter Druck setzen, ihn in die Rolle des Getriebenen drängen und sich selbst als potenziell kanzlertauglich positionieren - auch gegenüber Grünen und FDP. Die Botschaft: Seht her, ihr seid nicht auf Gedeih und Verderb an Scholz gebunden. Zugleich hilft es Merz, die Union hinter sich zu einen. Dieser zweite Punkt ist fast noch wichtiger als der erste.
tagesschau.de: Kann kommunikative Schwäche eine Regierung ernsthaft gefährden?
Brettschneider: Unstrittig ist, dass Kommunikation in diesen schnellen Social-Media-Zeiten eine noch größere Bedeutung hat. Eine unbedachte Aussage oder eine Unsicherheit bei noch laufender Kamera, wie bei Anne Spiegel, ist sofort auch öffentlich. Der Druck ist daher ungleich größer. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass rein kommunikative Defizite - wie jetzt bei der Ampel - ernsthaft eine Regierung ins Wanken bringt. Da muss Kritik an der Substanz hinzukommen, also inhaltliche Differenzen.
Das Gespräch führte Wenke Börnsen, tagesschau.de