Partei positioniert sich neu "Zeitenwende" für die SPD-Außenpolitik
2021 erhielt die SPD-Spitze den Auftrag, die Außen- und Sicherheitspolitik der Partei neu zu definieren. Das 21-seitige Ergebnis liegt nun dem ARD-Hauptstadtstudio vor: Viele der neuen Positionen folgen dem Kurs von Kanzler Scholz.
Kritik an der Außenpolitik der SPD gab es viel nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Zu blauäugig, zu russlandfreundlich, zu sehr fokussiert auf Wandel durch Handel, lauteten nur einige der Vorwürfe. Daher könnte man denken, die Neuorientierung in der Außen- und Sicherheitspolitik sei eine direkte Folge des russischen Angriffskrieges. Ganz so ist es aber nicht.
Schon im Dezember 2021 gaben die Delegierten des SPD-Bundesparteitags der Parteiführung den Auftrag, die sozialdemokratische Sicht auf die internationale Politik neu zu denken. Damals glaubte man in der Partei noch, dass der russische Präsident die Ukraine nicht angreifen werde. Ein gutes Jahr hat die "Kommission Internationale Politik" (KIP) nun gearbeitet. Dem ARD-Hauptstadtstudio liegt das Ergebnispapier exklusiv vor.
"Zeitenwende" in der Russlandpolitik
Unter der Leitung von Co-Parteichef Lars Klingbeil haben wichtige Akteure aus Partei, Bundestagsfraktion und Regierung nichts weniger versucht als die Neuerfindung der SPD-Außen- und Sicherheitspolitik. Mitglieder der Kommission waren unter anderem Fraktionschef Rolf Mützenich, Bundesministerin Svenja Schulze und Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt, aber auch Vertreterinnen und Vertreter der Jusos.
Schon im Juni hatte Parteichef Klingbeil in einer Rede bei der Friedrich-Ebert-Stiftung gesagt, Deutschland müsse den Anspruch einer Führungsmacht haben. Für die SPD sind das neue Töne. Die Partei vollzieht nun nach, was Kanzler Olaf Scholz schon länger vorgibt. Was das für die Partei bedeutet, wird auf 21 Seiten definiert.
Es ist unter anderem eine Neuerfindung der SPD-Russlandpolitik. Ganze zehn Mal kommt dabei der Begriff "Zeitenwende" vor - darin sieht man die enge Verzahnung zwischen Partei und Kanzleramt. Das Papier ist Erklärung und theoretischer Überbau der Politik von Kanzler Scholz. Auf Seite zwei schreiben die Autoren, die regelbasierte Ordnung gerate immer häufiger unter Druck. Immer mehr Staaten seien versucht, das Recht des Stärkeren über die Stärke des Rechtes zu stellen. Ein Motiv, das der Kanzler schon oft in Reden verwendet hat.
Trends frühzeitig erkennen
Die SPD gibt sich dabei auch selbstkritisch. Die Entwicklung der vergangenen Jahre zeige, das man im Bemühen, eine regelbasierte Ordnung aufrechtzuerhalten, nicht immer erfolgreich gewesen sei. Schon bei seiner Rede im Juni 2022 hatte Klingbeil gesagt, man hätte die Signale aus Russland anders sehen müssen - spätestens nach der Annexion der Krim.
Künftig will man in Szenarien denken, Trends frühzeitig erkennen und entsprechende Handlungsoptionen aufzeigen. Grundvoraussetzung für Frieden und Ordnung sei eigene Stärke, dazu gehörten starke Institutionen und eine widerstandsfähige und attraktive Wirtschaft. Das waren schon immer Grundpfeiler sozialdemokratischer Politik.
Bekenntnis zum Zwei-Prozent-Ziel der NATO
Neu ist, dass die SPD nun auch betont, dass die eigene Stärke sich auch über militärische Fähigkeiten definiere. Im Jahr 2017 hatte sich der damalige Parteichef Sigmar Gabriel noch öffentlich mit den USA über das Zwei-Prozent-Ziel der NATO gestritten. "Ich weiß gar nicht, wo wir die ganzen Flugzeugträger hinstellen sollen, die wir kaufen müssten, um 70 Milliarden Euro pro Jahr in die Bundeswehr zu investieren", hatte der damalige Außenminister am Rande eines NATO-Treffen gesagt.
Heute klingen solche Aussagen auch aus SPD-Sicht offenbar wie aus einer anderen Zeit. Im Papier bekennt sich die Partei zum Zwei-Prozent-Ziel. Deutschland mache damit klar, dass sich die Bündnispartner auf die Bundesrepublik verlassen könnten.
Mehr Fokus auf globalen Süden
Neben der NATO sei es aber auch wichtig, strategische Partnerschaften mit Ländern in Asien, Afrika und Lateinamerika einzugehen, heißt es im Papier. Auch das zeigt sich jetzt schon im Regierungshandeln: Ein Schwerpunkt der Reisediplomatie der Ampelregierung konzentriert sich bereits auf die Länder des globalen Südens.
Kanzler Scholz fliegt demnächst nach Brasilien, Argentinien und Chile. Ziel ist es, diese Länder einzubinden und ihnen Partnerschaften anzubieten, damit sie dies nicht mit Russland oder China tun. Die Volksrepublik wird im SPD-Papier als "Partner", "Wettbewerber" und "Systemrivale" bezeichnet.
Abkoppeln von China keine Option
Auch die China-Politik der Partei wird neu definiert. Einerseits sei China ein relevanter Akteur, ohne den globale Herausforderungen wie der Klimawandel nicht zu lösen seien. Zugleich sei das Land wirtschaftlich eng mit Europa verflochten. Ein Abkoppeln von China sei daher keine Option. Stattdessen müsse man die Risiken verringern. Um wirtschaftliche Abhängigkeiten zu minimieren, setzt die SPD auf Diversifizierung. Bei Rohstoffen müsse man künftig immer auch einen weiteren Lieferanten neben China haben.
Die SPD will auch künftig nicht nur mit Partnern reden, die westliche Werte teilen. Für größere Ziele müsse man auch mit schwierigen Partnern im Dialog bleiben. Darin unterscheidet sich die neue Strategie wohl auch vom Koalitionspartner, den Grünen. Im Papier heißt es, wenn mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in autokratisch regierten Ländern lebe, dann könne sich eine Partnerschaftspolitik nicht nur auf Demokratien beschränken. Es sei wichtig für den Kampf gegen die Klimakrise oder nukleare Abrüstung, Gesprächskanäle offen zu halten. "Auch mit schwierigen Partnern".
Weil innerhalb der SPD alle relevanten Strömungen in den Prozess eingebunden waren, wird nicht mit viel Kritik aus der Partei selbst gerechnet. Das Papier sei Ausdruck eines breiten Konsenses, heißt es. Am Montag will SPD-Chef Klingbeil die neue Strategie öffentlich vorstellen. Im Dezember soll der SPD-Bundesparteitag die Neuordnung der Außen- und Sicherheitspolitik dann beschließen.