Ukraine-Konflikt "Ein Klima der Unsicherheit"
Wasserversorgung, Wohnungen: Deutschland unterstützt die Ukraine enorm. Das komme in der Debatte um Waffenlieferungen zu kurz, sagt Niels Annen. Der Staatssekretär im Entwicklungsministerium warnt: Ein Krieg würde vieles zunichte machen.
tagesschau.de: Das Auswärtige Amt reduziert das Personal der Botschaft in Kiew. Wie stark beeinträchtigt das die deutsche Hilfe in der Ukraine?
Niels Annen: Ich bin in engem Kontakt beispielsweise mit der GIZ, der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, und mit der KfW. Es gibt entsprechende Notfallpläne, die jetzt in aller Sorgfalt umgesetzt werden. Das schränkt unsere Arbeitsfähigkeit ein. Ich hoffe sehr, dass auch die Gespräche des Bundeskanzlers in diesen Tagen zu einer Beruhigung der Lage führen. Wir wollen so schnell wie möglich mit unserer gesamten Mannschaft zurück in die Ukraine. Aber wir haben eine Verantwortung gegenüber denjenigen, die dort jetzt ganz besonders exponiert sind. Deswegen ist es die richtige Entscheidung, die zwischen den Ministerinnen Baerbock und Schulze auf den Weg gebracht worden ist.
tagesschau.de: Sie waren vor ein paar Tagen in Kiew. Wie oft haben Sie gehört: Danke für die Wasserversorgung, aber wir brauchen Waffen?
Annen: Danke für die Wasserversorgung habe ich mehrfach gehört. Über das Thema Waffenlieferungen aber haben meine Gesprächspartner mit mir nicht gesprochen, sondern wir haben über unsere gemeinsamen Ziele und Projekte geredet. Mein Eindruck: Es gibt ein großes Vertrauen zu Deutschland, weil wir seit vielen Jahren ein verlässlicher Partner sind. Und da ist auch ein hohes Maß an Anerkennung für das, was wir vor Ort in der Ukraine leisten.
Zwei Milliarden Euro seit 2014
tagesschau.de: Die deutsche Hilfe für die Ukraine beläuft sich auf fast zwei Milliarden Euro seit 2014. Was ist mit diesem Geld passiert?
Annen: Wenn wir unseren Beitrag zu den europäischen Leistungen mit einrechnen, ist es noch einmal deutlich mehr. Ganz wichtig ist, dass wir sehr konkret den Menschen geholfen haben, die wegen des unerklärten Kriegs im Donbass ihre Heimat verlassen mussten. Wir haben Übergangswohnungen im Osten der Ukraine gebaut. Ich habe während meiner Reise eine junge Familie besucht, die aus Donezk fliehen musste. Die haben mit einem Kredit, den wir zur Verfügung stellen konnten, eine Wohnung in Kiew gefunden.
Die Wasserversorgung wiederherzustellen, Schulen und Kindergärten wiederaufzubauen verbessert das Leben von Millionen von Menschen sehr konkret. Und es lenkt Investitionen in eine Region, die im Moment nicht das präferierte Ziel für ausländische Investitionen ist. Wir arbeiten mit der Ukraine aber auch an dicken Brettern wie der Verwaltungsreform.
tagesschau.de: Ein wichtiges Thema für die Ukraine ist Energie und Erdgas.
Annen: Das ist ein zentraler Punkt unsere Zusammenarbeit. Wir helfen der Ukraine, bei der Energieeffizienz voranzukommen. Vor allem aber soll der Weg geebnet werden, um an der grünen Transformation Europas - beispielsweise im Bereich Wasserstoff - teilhaben zu können. Das leistet natürlich auch einen Beitrag zur Unabhängigkeit von russischem Gas.
Hohe Erwartungen an Deutschland
tagesschau.de: Und dennoch ist auch in der ukrainischen Regierung eine gewisse Enttäuschung über die Bundesregierung zu spüren. Stichwort: Waffenlieferungen.
Annen: Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass wir nicht mit 100.000 russischen Soldaten an der Grenze leben. Deswegen habe ich großes Verständnis dafür, dass es auch mal emotional hoch hergeht. Gerade, weil wir uns soviel in der Ukraine engagiert haben, gab es vielleicht besonders hohe Erwartungen an Deutschland. Deshalb ist es eben wichtig, dass wir auch in solchen schwierigen Tagen im Gespräch bleiben und unsere Politik erklären. Meine Gesprächspartner - auch sehr hochrangige in der Regierung - wissen, was Deutschland geleistet hat. Aber sie wissen auch, was unsere politischen Grundsätze sind.
Deutsche Hilfe für die Ukraine kaum bekannt
tagesschau.de: War die Bundesregierung möglicherweise zu lange zu bescheiden, das eigene Engagement in der Ukraine offensiver zu verkaufen?
Annen: Das ist vielleicht sogar ein richtiger Punkt. Mir ist das auch in den Vereinigten Staaten häufig aufgefallen. Ich habe mal gesagt: Das am besten gehütete Geheimnis in Washington DC ist unser Engagement für die Ukraine. Es gibt doch leider auch einige Kräfte in Washington aber sicherlich auch in Kiew, die versuchen, die Debatte vor allem auf die Frage der Waffenlieferungen zu reduzieren. Deswegen bin ich auch nach Kiew gereist - in dieser Zeit als Zeichen der Unterstützung - aber natürlich auch, um noch einmal über das zu sprechen, was wir tun. Wir sind auch bereit, unser Engagement da auszuweiten, wo die Ukraine es ganz besonders benötigt.
tagesschau.de: Wie sehr wurmt es Sie, dass das Nein zu Waffenlieferungen die umfangreiche Hilfe in den Hintergrund schiebt?
Annen: Es ist etwas bedauerlich, weil es verdeckt, was wir über viele Jahre geleistet haben. Was mich aber auch ein bisschen bekümmert: Es erschließt sich mir nicht, warum diejenigen, die jeden Tag die Einheit des Westens fordern, den halben Tag damit beschäftigt sind, die eigene vermeintliche Uneinheitlichkeit oder Zerstrittenheit in den Mittelpunkt zu rücken. Es entspricht nicht der Wahrheit, und es schwächt uns auch in einer kritischen Phase.
tagesschau.de: Wie groß ist die Gefahr, dass eine kriegerische Auseinandersetzung die Ergebnisse der deutschen Entwicklungszusammenarbeit wieder zerstört?
Annen: Die Gefahr ist real, da darf man sich nichts vormachen. Man muss leider sagen, Russland hat der Ukraine schon durch diesen Aufmarsch enorm geschadet: Das Land kann sich zum Teil an den Märkten nicht mehr finanzieren. Direktinvestitionen aus dem Ausland sind aufgeschoben oder aufgehoben worden. Es ist es ein Klima der Unsicherheit entstanden. Dieses Ergebnis einer Form der hybriden Kriegsführung schmerzt und trifft die Ukraine sehr. Und auch deswegen ist es wichtig, dass wir so schnell wie möglich wieder arbeitsfähig werden und dass wir unseren Beitrag dazu leisten, dass ein Teil dieser ökonomischen Folgen für die Ukraine abgefedert werden kann.
Die Fragen stellte Christian Feld, ARD-Hauptstadtstudio