Wagenknecht gründet Partei "Es sieht so aus, dass die Linkspartei am Ende ist"
Sahra Wagenknechts neue Partei leitet womöglich das Ende der Linkspartei ein, sagt der Politikwissenschaftler Schroeder im Interview mit tagesschau24. Er warnt aber auch davor, das Potenzial der Neugründung zu überschätzen.
tagesschau.de: Sahra Wagenknecht und ihre Verbündeten planen die Gründung einer neuen Partei. Ist die klassische Linke in Deutschland damit am Ende?
Wolfgang Schroeder: Ja, es sieht so aus, dass die Linkspartei am Ende ist. Es geht aber nicht einfach nur auf die Gründung von Sahra Wagenknechts eigener Partei zurück, wenn sie denn im nächsten Jahr stattfinden sollte. Sondern das ist ein längerer Prozess der Selbstentmachtung, der stattgefunden hat, der selbstverantwortet ist. Und da ist, wenn man so will, die in Aussicht gestellte Gründung ein letzter Ziegelstein im Abbau dieser Partei.
Wolfgang Schroeder ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Kassel. Er leitet dort das Fachgebiet "Politisches System der BRD - Staatlichkeit im Wandel". Außerdem ist er Research Fellow am Wissenschaftszentrum Berlin, wo er in der Abteilung Demokratie und Demokratisierung forscht. Schroeder gehört der Grundwertekommission der SPD an.
tagesschau.de: Das "Bündnis Sahra Wagenknecht", wie es sich noch als Verein nennt, will "eintreten für alle, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, aber hart arbeiten". Auf welche Wählerklientel schielt die angehende Partei?
Schroeder: Die Idee ist: Es gibt in Deutschland eine rechtspopulistische bis rechtsextreme Partei. Die bietet einen restriktiven Kurs in der Migration mit einer starken Orientierung an Traditionen, am Nationalstaat, bis in den Nationalismus, an. Und unter den Anhängern und Wählern dieser Partei, vermutet man, gibt es aber viele, die wollen gleichzeitig ein umfassendes Sozialprogramm haben. So wie wir es beispielsweise in Polen erlebt haben mit der PiS-Partei, die ja auch sehr intensiv in der Sozialpolitik war und illiberal in der Migrations- und Nationalstaatspolitik.
Das ist sicherlich nicht das Programm von Wagenknecht direkt. Aber es ist der Versuch, auf der einen Seite Konservative und auf der anderen Seite linke Dimensionen zusammenzubringen. Und damit eine Alternative zur AfD und auch wohl eine Alternative zur Linkspartei anbieten zu können.
tagesschau.de: Das deckt sich mit dem, was der Linken-Politiker Gregor Gysi über den wahrscheinlichen inhaltlichen Kern der Wagenknechtpartei gesagt hat. Er sagte: Sozialpolitik wie die Linke, Wirtschaftspolitik wie unter Ludwig Erhard und Flüchtlingspolitik wie die AfD. Ist das typisch plakativer Gysi-Sprech oder würden Sie das unterschreiben?
Schroeder: Das kann man schon so, wenn man die bisherigen Äußerungen nimmt, als eine Grundorientierung sehen. Und daran sehen Sie ja auch schon: Das ist alles noch sehr artifiziell. Man kann noch wenig sagen, wie das wirklich dann in den jeweiligen Milieus wirken kann. Man kann sogar vielleicht sagen, es gibt ja eigentlich bislang noch kein Milieu, das für diese Partei geschaffen wäre.
Und wenn man den Blick ins nächste Jahr richtet, dann ist es natürlich sehr verheißungsvoll, die Europawahlen ins Visier zu nehmen, weil dort braucht man nur eine Zustimmung von 0,75 Prozent. Das ist sicherlich gut schaffbar und damit hat man schon mal eine erste Parlamentarisierung hinbekommen.
tagesschau.de: Ist es überhaupt möglich, in so kurzer Zeit Parteistrukturen zu etablieren?
Schroeder: Das ist eine gute Frage, weil das deutsche Parteiengesetz setzt in der Tat hohe Anforderungen an eine Neugründung. Man muss flächendeckend präsent sein, man muss ein Programm haben, man muss die innerparteilichen Strukturen demokratisch gestalten können. Man muss auch Transparenz über die Herkunft der Gelder geben können. Das sind also schon eine ganze Reihe von Fallstricken, die nicht so ohne Weiteres zu bewältigen sind.
Und dann muss man denken, bei einer solchen Partei gibt es natürlich auch viele "Fellow traveller", die das nutzen wollen, um ihre eigenen politischen Geschäfte zu machen, also extreme Persönlichkeiten. Und da wird die Partei auch einige Mühen haben, wenn sie denn gegründet wird, diese Menschen vom Zugang zur Partei abzuhalten. Also viele Hindernisse auf dem Weg zu einer Gründung und erst recht viele Hindernisse auf dem Weg zu einer nachhaltig starken Partei.
tagesschau.de: Ist die Marke Sahra Wagenknecht stark genug, um nennenswertes Wählerpotenzial zu heben?
Schroeder: Die Verheißung zu personalisieren kommt sehr stark durch den Blick ins Ausland. Wir hatten das bei Emmanuel Macron, der eine persönlichkeitsorientierte Bewegung in Kraft gesetzt hat und damit sehr erfolgreich war. Wir haben das in Österreich mit Sebastian Kurz gesehen.
In Deutschland gibt es das nur in einer rudimentären, bisher gescheiterten Form beim "Team Todenhöfer". Aufs Ganze betrachtet kann man sagen, dass der Versuch einer Personalisierung über eine Person Pro und Contras hat. Also diejenigen, die das toll finden, werden kontrahiert und bekämpft von denen, die das schlecht finden, weil sie vielleicht die Idee gut finden, aber die Person nicht. Insofern ist das noch nicht eindeutig ausgemacht und ich würde eher sagen, dass sich da die Dinge die Waage halten.
Am Anfang kann es durchaus einen Aufmerksamkeitspunkt geben. Ob wir es wirklich mit einer nachhaltigen Parteigründung zu tun haben werden, das ist eine sehr, sehr offene Frage. Auf jeden Fall die Potenziale, die immer wieder ins Spiel gebracht werden - 20 oder 27 Prozent. Das ist vollkommen überhöht und hat nichts mit den realen Möglichkeiten einer solchen Parteigründung zu tun.
Das Gespräch führte Ralph Baudach für tagesschau24. Es wurde für die schriftliche Version gekürzt und redigiert.