Berlin-Wahl Es geht um Vertrauen
Wer die Wahl in Berlin gewinnt, muss einiges aufholen. Denn das Vertrauen in die staatlichen Institutionen der Hauptstadt hat deutlich gelitten. Aber eine strahlende Führungsfigur, die die Wahl entscheiden könnte, fehlt.
Bei der Wiederholungswahl in Berlin geht es heute um nichts mehr als Vertrauen. Denn das ist dort derzeit die knappste Währung. Die Zustimmungswerte für den rot-grün-roten Senat und die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey gehören zu den niedrigsten, die Infratest dimap in den vergangenen 25 Jahren vor Wahlen gemessen hat. Und das Vertrauen in staatliche Institutionen wie Verwaltung oder Landesparlament ist weit unter das Niveau anderer Bundesländer zurückgefallen.
Die Stimmung ist die Quittung dafür, dass die politisch Verantwortlichen aus Sicht der meisten Wählerinnen und Wähler ihre Hausaufgaben in den vergangenen Jahren nicht oder schlecht gemacht haben.
Aktuelle Ereignisse wie die Angriffe auf Sicherheitskräfte in der Silvesternacht, alltägliche schlechte Erfahrungen mit Berliner Behörden und hausgemachte Probleme im Verkehr tragen dazu bei. Dass die Berliner Verwaltung im September 2021 nicht mal in der Lage war, eine Wahl ordnungsgemäß abzuwickeln, setzte all dem die Krone auf.
24 Prozent sind mit dem Senat zufrieden
In Zahlen ausgedrückt: Nur 24 Prozent der in der vergangenen Woche von Infratest dimap repräsentativ befragten Wahlberechtigten sind mit der Arbeit des amtierenden Senats zufrieden. Weniger waren es in der Geschichte der Befragungen nur zweimal: 2012 im Saarland nach dem Scheitern der dortigen Jamaika-Koalition und 2002 in Sachsen-Anhalt, wo sich die SPD-Minderheitsregierung von der PDS tolerieren ließ.
Das könnten goldene Zeiten für die größte Oppositionspartei sein. Aber nur 31 Prozent der Berlinerinnen und Berliner glauben, dass ein CDU-geführter Senat die Dinge besser machen würde, 52 Prozent glauben das nicht.
Für viele stellt sich deshalb heute zuallererst die Frage, ob sie überhaupt ihre Stimme abgeben. Die Wahlbeteiligung war 2021 wegen der parallel laufenden Bundestagswahl mit 75 Prozent auf Rekordniveau und dürfte deutlich zurückfallen.
Ordnung und Sicherheit besonders wichtig
Das wichtigste wahlentscheidende Thema für die Menschen in Berlin heißt Ordnung und Sicherheit. Fast jeder Vierte (23 Prozent) will seine Wahl davon abhängig machen, wer in der Stadt am besten dafür sorgen kann. Die CDU darf sich deshalb Hoffnung auf Zugewinne machen. Sie hat auf diesem Feld die besten Kompetenzwerte. Und eine klare Mehrheit (57 Prozent) findet es gut, dass die CDU nach Silvester "Probleme mit Zuwanderern klar benennt".
Zweitwichtigstes Thema ist die Lage auf dem Wohnungsmarkt. Die Sorge, künftig keine bezahlbare Wohnung mehr zu haben, treibt in der Hauptstadt zwei Drittel der Menschen um. Jeder Sechste (17 Prozent) will seine Wahlentscheidung davon abhängig machen. Hier liegt die Domäne der Linkspartei, der in der Wohnungspolitik knapp vor der SPD die höchste Kompetenz zugewiesen wird.
Der Klimaschutz steht insgesamt auf Rang drei, ist aber für die Jungen und für die Grünen-Wählerschaft entscheidend.
Strahlende Führungsfigur fehlt
Anders als bei zurückliegenden Landtagswahlen gibt es in Berlin keine strahlende Führungsfigur, deren Popularität über das eigene Lager hinaus reicht und die somit die Wahl entscheiden könnte. Der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) wird von 36 Prozent der Befragten gute Arbeit attestiert, für eine Sozialdemokratin Negativrekord bei Landtagswahlen. Geringere Werte hatten nur die CDU-Ministerpräsidenten Stefan Mappus und Christoph Ahlhaus in Baden-Württemberg und Hamburg 2011.
Auf Giffey folgen in der Skala der Zustimmungswerte die Spitzenkandidaten von Linkspartei und FDP, Klaus Lederer (34 Prozent) und Sebastian Czaja (25 Prozent), die aber beide keine Aussicht auf das Spitzenamt haben.
Giffeys Herausforderer Kai Wegner (CDU) und Bettina Jarasch (Grüne) werden hingegen mit 23 und 19 Prozent Zustimmung schlechter bewertet. So behält denn auch im Direktwahlvergleich unter den dreien Giffey gegenüber Wegner knapp die Nase vorn - auch wenn ihr Vorsprung auf den CDU-Mann von 18 Punkten im November auf zuletzt nur noch fünf Punkte geschrumpft ist.
Das kleinste Übel?
Die Zahlen unterstreichen, was in Berlin in den vergangenen Tagen häufiges Gesprächsthema war: Die Entscheidung fällt schwer, auch denen, die unbedingt zur Wahl gehen wollen. Deshalb sind die Umfragen der vergangenen Wochen in Berlin noch mehr als sonst als Momentaufnahme zu bewerten. Wie stark die Parteien abschneiden, hängt davon ab, ob sie in den letzten Tagen noch mobilisieren konnten - oder einfach als das kleinste Übel angekreuzt werden.
Egal wer künftig den neuen Senat bildet: Das Vertrauen in die Berliner Institutionen muss in Teilen neu aufgebaut werden. 18 Prozent der Befragten in Berlin gaben an, man könne sich auf die öffentliche Verwaltung verlassen, bundesweit sind es derzeit 66 Prozent. In Berlin sagen 53 Prozent, dass die Polizei für Ordnung und Sicherheit sorge, bundesweit sind es 73 Prozent. Waren 2016 noch 65 Prozent der Berlinerinnen und Berliner überzeugt, dass sich ihre Stadt "alles in allem sehr positiv entwickelt", sind es nun nur noch 29 Prozent. Da ist einiges aufzuholen.
Ungewöhnlich gering war der Einfluss bundespolitischer Themen auf die Stimmung vor der Wahl - die Berliner Probleme sind dafür zu greifbar. Trotzdem wird das Berliner Ergebnis wohl Rückwirkung auf die Ampelkoalition haben. Bei den vergangenen drei Landtagswahlen hatten die Grünen deutlich zugelegt, während SPD und FDP teils deutlich verloren. Das hatte die Spannungen innerhalb der Ampel spürbar verstärkt. So regional diese Wiederholungswahl geprägt sein mag: Ab 18 Uhr werden die Ergebnisse rasch auf die Bundesebene durchschlagen.