Abgeordnetenhauswahl Wer wählte in Berlin was und warum?
Warum legten die Grünen in Berlin stark zu? Welche Rolle spielte SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey für das Ergebnis der Abgeordnetenhauswahl? Und warum rutschte die CDU auf ein Rekordtief? Eine Analyse auf Basis der Zahlen von infratest dimap.
In Berlin dominiert die Unzufriedenheit. Zwei Drittel halten die Verwaltung des Stadtstaates für unfähig. Nur jeder Dritte findet, dass sich die Hauptstadt in den vergangenen Jahren sehr positiv entwickelt habe. 85 Prozent haben den Eindruck, dass die Schere zwischen Arm und Reich zuletzt immer größer geworden sei. Zugleich bewertet eine knappe Mehrheit von 51 Prozent die wirtschaftliche Lage der Stadt als schlecht.
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass nur 38 Prozent mit der Arbeit des amtierenden rot-rot-grünen Senats zufrieden sind. Das ist im bundesweiten Vergleich zwar der zweitschlechteste Wert für eine Landesregierung in den vergangenen Jahren. Doch für Berliner Verhältnisse ist es ein gewohnt schlechter Wert, der sich kaum von denen unterscheidet, die die vorangegangenen rot-roten und rot-schwarzen Senate seit der Jahrtausendwende bescheinigt bekamen.
Grüne profitieren von Regierungsarbeit
Die drei Koalitionspartner gehen nach fünf Jahren Rot-Rot-Grün aber ganz unterschiedlich aus dieser Wahl hervor. Während die Grünen satte Zugewinne verbuchen, stagnieren die Sozialdemokraten und Die Linke verliert an Rückhalt.
Die Grünen sind diesmal in allen Altersgruppen zwischen 18 und 59 Jahren mit Abstand stärkste Kraft, nur bei den Über-60-Jährigen liegt die SPD vorn. Gegenüber der Wahl 2016 schaffen die Grünen in allen Altersgruppen deutliche Zugewinne - insbesondere bei den 25- bis 44-Jährigen. Frauen stimmen etwas häufiger für die Partei als Männer. Besonders hohe Stimmanteile holt die Partei bei Angestellten, Selbstständigen und Wählern mit hoher Bildung.
Die Grünen punkten in Berlin vor allem mir ihrem Programm. Das war für 78 Prozent ihrer Anhänger der Hauptgrund für ihre Wahlentscheidung - der höchste Werte aller Parteien im Abgeordnetenhaus. Der Partei ist es gelungen, ihr Themenspektrum in den fünf Jahren als Regierungspartei zu erweitern - insbesondere in den Bereichen, in denen sie die Senatoren stellte. Unter anderem trauen inzwischen jeweils neun Prozent der Partei die beste Lösung in der Wirtschaftspolitik und bei der Schaffung von Arbeitsplätzen zu - deutlich mehr als vor fünf Jahren. Trotzdem dominieren zwei Themenbereiche die öffentliche Wahrnehmung der Grünen: neben der Umwelt- und Klimapolitik ist das in Berlin die Verkehrspolitik.
Angesichts der starken Mobilisierung der Anhängerschaft durch das Programmangebot fällt die Schwäche der grünen Spitzenkandidatin Bettina Jarasch weniger ins Gewicht. Nur 23 Prozent halten sie für die passende Bewerberin ihrer Partei. Hätten die Menschen in Berlin die Regierende Bürgermeisterin bzw. den Regierenden Bürgermeister direkt wählen könnten, hätten nur zwölf Prozent für Jarasch gestimmt - 36 Prozent hätten sich für die SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey entschieden - 17 Prozent hatten Kai Wegner von der CDU bevorzugt.
Senat unter SPD-Führung am populärsten
27 Prozent wünschen sich einen Senat unter Führung der Grünen - aber 35 Prozent hätten lieber erneut einen SPD-geführten Senat. Die Sozialdemokraten profitieren bei ihrem Ergebnis einerseits vom günstigen Bundestrend. Der Berliner SPD wird - trotz der im Vergleich zu 2016 vielfach gesunkenen Kompetenzwerte - immer noch in vielen Bereichen von allen Parteien am ehesten eine gute Lösung zugetraut. Für 27 Prozent ist die SPD am besten in der Lage, die wichtigsten Aufgaben in Berlin zu lösen. Zum Vergleich: Der CDU trauen das nur 15 Prozent zu, den Grünen zwölf Prozent und der Linken zehn Prozent.
Zu den leichten Zugewinnen der SPD trägt auch Spitzenkandidatin Franziska Giffey bei. Sie erreicht den höchsten Bekanntheitsgrad aller Berliner Spitzenkandidaten. Immerhin 44 Prozent sind in Berlin mit ihrer Arbeit zufrieden - im bundesweiten Vergleich allerdings ein bescheidener Wert. Im Vergleich mit den Spitzenkandidatin der CDU, Kai Wegner, und der Grünen, Bettina Jarasch, wird Giffey als die sympathischste und glaubwürdigste wahrgenommen. Und 39 Prozent der Wählenden, die für die SPD stimmten, taten das nach eigenen Angaben vor allem wegen Giffey. Damit mobilisierte sie von allen Spitzenkandidaten mit Abstand am stärksten die eigene Anhängerschaft.
Mehrere gleichrangige Themen
Wenn es darum geht, breite Bevölkerungsschichten mit ihren Themen anzusprechen, zu überzeugen und für sich zu gewinnen, kämpfen alle Parteien mit den Folgen der Vielfalt der Berliner Bezirke und Milieus. Es gab kein herausragendes Thema, das diese Abgeordnetenhauswahl geprägt hätte. Jeder Fünfte gab zwar an, dass Umwelt- und Klimafragen für die eigene Wahlentscheidung die größte Rolle gespielt hätten. Aber ähnlich häufig wurden die Themen soziale Sicherheit (17 Prozent), Wirtschaft/Arbeit (16 Prozent) und Wohnen (15 Prozent) genannt.
Die SPD und Die Linke mobilisierten ihre Anhängerschaft vor allem mit den Themen sozialer Sicherheit und Wohnen. Auffällig ist auch, dass Die Linke - im Gegensatz zur SPD - in der Regierung fast durchweg ihre Kompetenzwerte in den verschiedenen Politikfeldern halten oder sogar leicht ausbauen konnte. Wenn es aber um die Frage geht, welche Partei sich am stärksten um sozialen Ausgleich bemüht - eines der wichtigen Themen im Wahlkampf - liegt Die Linke zwar weiter auf Platz 1 vor der SPD - aber mit einem deutlich geringeren Vorsprung als 2016. Auch hier ist erkennbar, dass die politische Stimmung im Bund zu spürbaren Effekten in Berlin führt.
Dass Die Linke leichte Verluste hinnehmen muss, liegt auch nicht in erster Linien an Spitzenkandidat Klaus Lederer. Denn der erreicht hinter Giffey den zweithöchsten Zustimmungswert und Bekanntheitsgrad aller Berliner Spitzenkandidaten. Auffällig ist aber, dass die Partei vor allem in der Altersgruppe der Über-45-Jährigen und unter Arbeitern spürbar an Rückhalt einbüßt.
CDU verliert bei Jüngeren deutlich
Die CDU wollte gerne den Platz als stärkste Kraft in der Stadt zurückerobern. Stattdessen erholt sie sich nur minimal vom Rekordtief von 2016 und ist erstmals nur noch die Nummer drei in Berlin. Vor allem die Unter-45-Jährigen wandten sich von der Union ab - und auch die Beamten.
Wer sich diesmal für die CDU entschied, tat dies besonders oft wegen deren Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik - eine traditionelle Kernkompetenz der Union neben der Kriminalitätsbekämpfung. Nur bei den Themen Innere Sicherheit und Wirtschaft ist die Union für die Berliner noch die erste Wahl. 58 Prozent sind allerdings der Ansicht, die CDU habe kein Gespür für die Sorgen der einfachen Leute.
Zentrale AfD-Themen diesmal weniger wichtig
Die AfD muss in Berlin deutliche Verluste hinnehmen und halbiert in etwa ihren Stimmanteil im Vergleich zu 2016. Einerseits verfestigt sich zwar ein Kern ihrer Wählerschaft. 48 Prozent gaben diesmal an, ihre Kreuz aus Überzeugung bei der AfD gemacht zu haben - 22 Prozentpunkte mehr als bei der Wahl vor fünf Jahren. Die Wahrnehmung als Protestpartei schwindet parallel.
In Berlin waren es vor allem drei Themenfelder, mit denen die Partei mobilisierte: Für 41 Prozent der AfD-Wählenden spielt die Zuwanderungspolitik die größte Rolle, für 18 Prozent war es der Umgang mit Corona und für 15 Prozent das Thema Wohnen.
Koalitionen mit FDP-Beteiligung weniger beliebt
Die FDP verbessert sich in Berlin leicht. Zwar sind immerhin 22 Prozent mit der der Arbeit von Spitzenkandidat Sebastian Czaja zufrieden - damit liegt er unter anderem vor den Spitzenkandidaten von CDU und Grünen. Zudem begrüßt fast jeder Zweite in der Stadt, dass sich die Liberalen für eine Entlastung der Bürger und Bürokratieabbau einsetzen. Doch mögliche Dreier-Koalitionen mit Beteiligung der FDP werden von deutlich weniger Wählenden positiv bewertet als Rot-Grün oder Rot-Rot-Grün. Das wirkte sich auf das Wahlergebnis aus.
Stark ausbauen konnte die FDP ihre Anhängerschaft bei Männern unter 35 Jahren und bei Beamten. Schwächer als 2016 schnitt sie dagegen vor allem bei den Über-60-Jährigen und bei den Selbstständigen in Berlin ab.