Interview zum "Safer Internet Day" "Eine Stimme für den Datenschutz fehlt"
Beim Datenschutz tritt die Bundesregierung als Bremse auf, die Bundesdatenschutzbeauftragte geht auf Tauchgang, notwendige Reformen werden nicht angepackt: Zum "Safer Internet Day" äußert der Netzaktivist Beckedahl im Gespräch mit tagesschau.de scharfe Kritik.
tagesschau.de: Heute ist "Safer Internet Day". Was müsste die Bundesregierung konkret tun, um das Netz für seine Nutzer sicherer zu machen?
Markus Beckedahl: Die Bundesregierung könnte zum Beispiel Werkzeuge entwickeln lassen, mit denen man anonym im Netz surfen kann oder seine eigenen E-Mails und den eigenen Kommunikationsverkehr verschlüsseln kann. Solche Werkzeuge gibt es zwar - sie sind in der Regel aber so kompliziert in der Nutzung, dass sich die jüngere Generation kaum traut, diese für die eigenen Eltern zu installieren.
Ein weiterer Punkt wäre, dass die Bundesregierung wichtige freie Softwareprojekte, die von vielen in Industrie und Zivilgesellschaft genutzt werden, nach Sicherheitslücken durchsuchen lässt. Damit würde unsere digitale Infrastruktur viel sicherer werden.
Ein Bereich, in dem jeder viel fordert, aber wenig geschieht, ist die sogenannte Medienkompetenz. Geförderte Medienkompetenzprogramme konzentrieren sich vor allem auf junge Menschen. So werden Schüler und Lehrer quasi überrollt mit unterschiedlichsten Medienkompetenzbroschüren, aber ältere Mitbürger werden nicht mitgenommen. Die müssen aber auf eine andere Weise aufgeklärt werden. Sie bringen die notwendige Skepsis mit, die man für das Internet braucht, haben aber gleichzeitig zu viele Ängste, um sich in dieses digitale Ding reinzubewegen. Hier könnte die Bundesregierung etwas tun.
"Die Bundesregierung tritt seit Jahren als Bremse auf"
tagesschau.de: Die Bundesregierung betont immer wieder, dass sie gegen den mangelhaften Umgang von Facebook und Google mit Nutzerdaten machtlos sei, weil diese US-Internetgiganten nur auf europäischer Ebene zu regulieren oder bei Datenschutzfragen zu belangen seien. Was unternimmt die Bundesregierung auf EU-Ebene?
Beckedahl: Wir hören immer in den offiziellen Verlautbarungen unserer Bundesregierung, dass sie sich im Rahmen der EU-Datenschutzreform für stärkere Datenschutzregeln einsetzen würde. Allerdings lesen wir auch die internen Protokolle des EU-Rates, wo die Bundesregierung mit am Tisch sitzt und konkret etwas tun könnte. Und da taucht die Bundesregierung in Form des Bundesinnenministeriums seit Jahren als Bremser auf.
Deshalb haben wir noch keine gute, zeitgemäße EU-Datenschutzreform. Das ist ein bisschen schizophren. Ich vermute, dass die Bundesregierung Lobbyeinflüssen unterliegt, die verhindern wollen, dass wir konkrete Maßnahmen auf EU-Ebene treffen. Dazu kommen die ganzen Datensammler der Werbewirtschaft, die aus Deutschland oder der EU kommen.
"Bloß nicht zuviel über Datenschutz reden"
tagesschau.de: In der Debatte fehlt oft die Stimme der Datenschutzbeauftragten der Bundesregierung, Andrea Voßhoff. Wo ist die eigentlich?
Beckedahl: Das ist leider auch bei uns bei netzpolitik.org der "running gag". Als sie zur Bundesdatenschutzbeauftragten benannt wurde, hatten viele die Befürchtung, dass das ein klasssisches Versorgungsamt ist. Als langjährige CDU-Abgeordnete war sie 2013 nicht wieder in den Bundestag gewählt worden. Sie musste also irgendwohin.
Auch nach mehr als einem Jahr hört man nur zögerlich etwas von ihr. Doch gerade jetzt bräuchte man eine Stimme in der öffentlichen Debatte zum Datenschutz. Aber leider geht das Amt komplett auf Tauchgang. Das könnte man fast schon als mutwillig und als Strategie der Bundesregierung erkennen: Bloß nicht zu viel über Datenschutz reden. Dabei wäre das notwendig.
"Wir wissen, dass wir überwacht werden"
tagesschau.de: Voßhoffs Vorgänger Peter Schaar hat ja oft polarisiert. Fehlt Ihnen als Netzaktivist so eine Stimme in der gegenwärtigen Debatte?
Beckedahl: Vorweg: Peter Schaar war nicht allmächtig. Er war aber eine zumindest wahrnehmbare Stimme in der Datensicherheit und Datennutzung. Frau Voßhoff meldet sich vor allem mit zaghaften Pressemittleilungen. Natürlich haben Wirtschaftslobbyisten dadurch Überhand gewonnen und können Ihre Interessen in der Öffentlichkeit stärker durchsetzen, auch gegen die Interessen der Verbraucher und Bürger.
Seit den Enthüllungen von Edward Snowden wissen wir aber, dass wir überwacht werden und dass unsere eigenen Geheimdienste mit im Schlamassel sitzen. Und seitdem ist nichts geschehen. Man kann Reformen noch nicht mal mit der Lupe erkennen, weil sie nicht da sind. In diesem Moment bräuchten wir eigentlich auch eine lautstarke, institutionelle Stimme auch für den Datenschutz. Die fehlt leider.
tagesschau.de: Für unseren Datenschutz ist der Bundesjustizminister zuständig. Der beschäftigt sich aber am heutigen "Safer Internet Day" mit dem "gläsernen Autofahrer". Ist das wirklich das Thema des Tages?
Beckedahl: Ich finde es zunächst einmal gut, wenn sich Politik und Wirtschaft über solche Fragen öffentlich austauschen, vielleicht dabei sogar die Zivilgesellschaft einbeziehen. Gerade bei Zukunftsthemen, wie Smart Cities oder selbstfahrenden Autos brauchen wir eine gesellschaftliche Debatte darüber, wie wir gleichzeitig Fortschritt schaffen aber den Datenschutz von Anfang an mitdenken. Deshalb machen solche Sachen Sinn, aber es darf natürlich nicht eine Alibi-Veranstaltung bleiben, sondern der Dialog muss weitergeführt werden.
Das Gespräch führte Marjan Parvand, ARD-aktuell.