Politikwissenschaftler zur Strategie der CSU "Es geht um die Seehofer-Nachfolge"
Dass die CSU wirklich die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU aufkündigt, hält der Politikwissenschaftler Korte für unwahrscheinlich. Neben der inhaltlichen Debatte über die Flüchtlingspolitik gehe es vor allem darum, sich in der Diskussion um die Nachfolge von Parteichef Seehofer zu positionieren.
tagesschau.de: CSU-Chef Horst Seehofer hat einen eigenen Wahlkampf für 2017 angekündigt, sollte Kanzlerin Angela Merkel an ihrer Flüchtlingspolitik festhalten. Der bayerische Finanzminister Markus Söder sagt, die Differenzen zwischen CDU und CSU seien größer als 1976 - bröckelt die Fraktionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU? Wie ernst sind die Drohungen zu nehmen?
Karl-Rudolf Korte: Ich kann nicht erkennen, dass abgesehen von der Flüchtlingspolitik zwischen CDU und CSU die Uneinigkeit größer ist als die Einigkeit. Ich sehe die CDU hier nicht wirklich unter Druck. Und grundsätzlich ist es so, dass eine offene Debattenkultur gerade in Flüchtlingsfragen – Stichwort: good guy, bad guy – der Union insgesamt gar nicht geschadet hat.
tagesschau.de: 1976 hielt der Trennungsbeschluss von Wildbad Kreuth drei Wochen. Wie lange würden Sie der CSU heute geben, vorausgesetzt, sie macht Ernst?
Korte: Ich schließe nicht aus, dass die CSU ein eigenes Wahlkampfprogramm aufstellt. Aber hinter dem Kreuther Beschluss lag ja die Idee, die Fraktionsgemeinschaft aufzugeben und letztlich auch zwei getrennte Parteien zu installieren, die dann auch flächendeckend in allen Bundesländern antreten.
tagesschau.de: Das halten Sie für unwahrscheinlich?
Korte: Das halte ich für unwahrscheinlich, weil das für die CSU mehr Nachteile als Vorteile bringen würde. Die CDU könnte sich in Bayern problemlos ausdehnen. Die CSU könnte in einigen Bundesländern durchaus auch punkten. Aber insgesamt würde die Besonderheit der CSU, als eine regionale Volkspartei mit bundespolitischem Anspruch zu dominieren, die den Kern dieser Partei seit Jahrzehnten ausmacht, verloren gehen.
Karl-Rudolf Korte ist seit 2002 Professor für Politikwissenschaft an der Uni Duisburg-Essen und leitet dort die Forschungsgruppe "Regieren" sowie die "NRW School of Governance". Er gilt als Experte für Parteistrategien, Wahlkämpfe und Wählerverhalten.
tagesschau.de: Woher kommen dann die Drohgebärden? Wissen die das nicht bei der CSU?
Korte: Die CDU ist eben das Abbild einer progressiven Mitte und das letzte Progressive, das Merkel für ihre Partei tut, ist, diese Partei auch noch zu einer Pro-Asyl-Partei zu machen. Das ist aus konservativer Sicht der CSU schwer zu verkraften - zumal man in Bayern als Bundesland auch unmittelbarer vom Flüchtlingsthema betroffen ist.
tagesschau.de: Sind die Äußerungen schon Ausdruck des innerparteilichen Kampfes um die Seehofer-Nachfolge?
Korte: Das ist die eigentliche Auseinandersetzung: Wer bringt sich in Stellung für die Nachfolge, wer hat die beste Startposition? So würde ich die interne Unruhe innerhalb der CSU auch werten. Das ist gar nicht so sehr auf die CDU ausgerichtet. Sondern es geht darum, wer es schafft, innerhalb der Flügel der CSU zu punkten, wer es schafft, mediale Aufmerksamkeit bundesweit zu erzeugen. Das gelingt ja immer wieder auch mit diesen Themen.
tagesschau.de: Wo ist denn Ilse Aigner, Söders Konkurrentin um die Seehofer-Nachfolge, in der Debatte?
Korte: Die höre ich auch nicht. Man hört immer nur Söder, aber das bedeutet noch nicht, dass die Delegierten oder die Mitglieder am Ende auch Söder zum Vorsitzenden wählen.
Das Interview führte Kristina Kaul, tagesschau.de