Sozialforscher: Öffentliche Rentenversicherung stärken Zurück in die Zukunft
Rente ab 70? Für Sozialforscher Florian Blank ist das die falsche Diskussion: Vielmehr fordert er im Gespräch mit tagesschau.de eine Grundsatzdebatte darüber, was uns ein gutes Rentensystem wert ist. Sein Lösungsansatz: Die öffentliche Rentenversicherung wieder stärken.
tagesschau.de: Das Thema Renten ist wieder ganz oben auf der politischen Agenda: Immer lauter wird die Rente ab 70 gefordert. Die Lebensarbeitszeit damit stärker an die gestiegene Lebenserwartung koppeln, um das Rentenniveau abzusichern. Das klingt ja plausibel - was halten Sie davon?
Blank: Also erst mal freue ich mich, dass so lebhaft über Rentenpolitik diskutiert wird. Ich glaube aber, dass eine Diskussion über eine Anhebung von Altersgrenzen momentan nicht zum richtigen Zeitpunkt kommt. Wir haben jetzt die Möglichkeit, auch nochmal grundlegender über das Rentensystem, über eine Anhebung des Rentenniveaus zu diskutieren, und dabei auch noch zu reflektieren, was wir uns ein gutes Rentensystem mit guten Leistungen auch kosten lassen wollen. Das ist eine gesellschaftliche Debatte und ich glaube, die müssen wir führen und nicht über Altersgrenzen diskutieren, obwohl selbst diese Rente mit 67 noch nicht voll umgesetzt ist.
"Dreh- und Angelpunkt bleibt der Arbeitsmarkt"
tagesschau.de: Was wären denn die Alternativen zu einem immer höheren Renteneintrittsalter?
Blank: Der zentrale Dreh- und Angelpunkt bleibt schlicht und einfach der Arbeitsmarkt. Wenn wir viele Beitragszahler haben, die dann ihr Einkommen auch aus nach Tarif entlohnter Arbeit und nicht aus prekärer Arbeit haben, dann stehen wir schon ganz gut da. Die andere Frage ist, ob ein Beitragsanstieg nicht auch tragbar ist, wenn damit das ernst gemeinte Versprechen verbunden ist, auch gute Leistungen hinterher zu erhalten.
Riester-Rente war der falsche Weg
tagesschau.de: Ein wichtiger Bestandteil der letzten Rentenreform war ja die freiwillige, staatlich geförderte Eigenvorsorge, kurz Riester-Rente. Die hält CSU-Chef Seehofer nun für gescheitert. Hat er recht?
Blank: Was wir sehen ist, dass die damaligen Pläne einfach nicht aufgehen. Das betrifft die Verzinsung in dieser Niedrigzinsphase. Wir sehen auch, dass die Nutzung der Riester-Rente bei weitem nicht so hoch ist, wie das damals erhofft worden ist, und dass gerade Geringverdiener zu wenig vorsorgen. Dieses Grundprinzip der Freiwilligkeit ist aus meiner Sicht letztendlich gescheitert. Ich denke, wenn wir jetzt über ein künftiges Rentensystem diskutieren, sollte da die Riester-Rente eigentlich in ihrer bisherigen Form keinen Platz mehr haben. Da hat einfach die Realität gezeigt, dass das ein falscher Weg war.
Mehr Betriebsrenten reichen nicht
tagesschau.de: Bundesarbeitsministerin Nahles hat ein Konzept zur Rentenreform angekündigt: Sie will, dass mehr Arbeitnehmer als aktuell 58 Prozent von einer Betriebsrente profitieren. Reicht das aus, um das Rentenniveau auf Dauer zu sichern?
Blank: Ich glaube, es reicht nicht aus, dass wir einfach über eine höhere Verbreitung sprechen. Die betriebliche Altersversorgung ist ein unglaublich heterogenes Feld. Worüber wir dann parallel sprechen müssen, ist, wie es mit den Zuschüssen der Arbeitgeber zu diesem System aussieht oder ob das nur eine Art privates Sparen im Betrieb ist. Da müssen Mindeststandards und Grundlagen eingesetzt werden, Verpflichtungen durch die Tarifparteien oder durch den Staat.
tagesschau.de: Hat das Drei-Säulen-Modell von gesetzlicher Rente, Riester-Rente, Betriebsrente noch eine Zukunft?
Blank: Für das bisherige System tue ich mich schwer, da eine Zukunft zu sehen. Was wir jetzt brauchen, ist eine Diskussion über die Möglichkeiten, die öffentliche Rentenversicherung weiter zu entwickeln. Und auch eine Diskussion, welchen Platz eine betriebliche Altersversorgung sinnvoll im deutschen Rentensystem haben kann.
Österreichs Rentensystem: "Leistungsstark und finanzierbar"
tagesschau.de: Viele Experten blicken auf Österreich als Positiv-Beispiel: Das System dort gilt als Erwerbstätigenversicherung und das Rentenniveau ist deutlich höher als in Deutschland. Können wir davon lernen?
Blank: Was wir vor allem lernen können, ist, dass Österreich einen Weg gegangen ist, bei dem die öffentliche Rentenversicherung im Mittelpunkt steht. Wo ganz klar gesagt wird, es ist die Aufgabe des öffentlichen Systems, den Lebensstandard im Alter zu sichern. Dafür sind die bereit, auch einen höheren Beitragssatz in Kauf zu nehmen. Was sich im Vergleich mit Österreich zeigt - aber auch mit Blick auf die Vergangenheit des deutschen Systems - ist, dass die Sozialversicherung ein unglaublich flexibles System ist, um Lebensläufe die Familienarbeit oder Arbeitslosigkeit beinhalten, abzusichern. Das ist etwas, dass andere Säulen (Riester-Rente und Betriebsrente, Anm. d. Red) nicht können. Und das ist es, was wir von Österreich lernen können: Ein öffentliches System kann leistungsstark und finanzierbar kann.
Zukunftsmodell Erwerbstätigenversicherung
tagesschau.de: Eine solche Erwerbstätigenversicherung lehnt die Bundesarbeitsministerin bislang ab, weil sie keinen langfristigen Nutzen darin sieht: Selbständige und Beamte, die einzuzahlen beginnen, würden irgendwann auch Rentenempfänger werden. Sie glaubt nicht, dass so das Rentenniveau abzusichern ist. Wie sehen Sie das?
Blank: Ich glaube, dass das dennoch eine sinnvolle Lösung ist. Erstens gibt uns das Zeit, um grundlegend über Rentenpolitik nochmal zu diskutieren. Zweitens ist das ein langer Zeitraum, in dem auch in der Gesellschaft, auch auf dem Arbeitsmarkt unglaublich viel passieren kann. Und außerdem muss man eine solche Erwerbstätigenversicherung nicht nur unter Finanzierungsgesichtspunkten diskutieren. Es geht auch immer um die Möglichkeit des Schutzes, beispielsweise von Solo-Selbständigen, die andernfalls in kein Pflichtversicherungssystem eingebunden sind.
Das Interview führte Ben Buck, tagesschau.de.