Befragung von Flüchtlingen "Sehr guter Fortschritt am Arbeitsmarkt"
Mehr Flüchtlinge als erwartet haben eine Arbeit, sagt IAB-Forscher Brücker im tagesschau.de-Interview. Nachholbedarf sieht er im Bildungssystem. Und es gab für den Forscher auch überraschende Ergebnisse.
tagesschau.de: Sie haben mit einer Gruppe von Forschern zum zweiten Mal Flüchtlinge zu verschiedenen Aspekten der Integration befragt. Was sind die augenfälligsten Fortschritte?
Herbert Brücker: Der wichtigste Fortschritt ist im Arbeitsmarkt zu beobachten. Da waren bei der ersten Befragung 2016 lediglich neun Prozent beschäftigt und 2017 bereits um die 21 Prozent. Die Daten der Bundesagentur für Arbeit sprechen dafür, dass inzwischen sogar 35 Prozent der seit 2015 zugezogenen Personen aus den wichtigsten Asylherkunftsländern beschäftigt sind. Das heißt, gerade die Integration am Arbeitsmarkt schreitet sehr gut voran.
Bei der Sprachkompetenz beobachten wir Ähnliches. Rund ein Drittel der Geflüchteten spricht sehr gut oder gut Deutsch. Das waren im Vorjahr erst 18 Prozent.
Herbert Brücker ist Forschungsbereichsleiter für Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Das IAB ist die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit.
"Erheblicher Anstieg bei Sprachkenntnissen"
tagesschau.de: Wie aussagekräftig sind diese Befunde? Immerhin sind ja zumindest zu einem gewissen Teil die selben Personen befragt worden und da ist es ja logisch, dass die ein Jahr später auch weitergekommen sind.
Brücker: Natürlich haben wir erwartet, dass Sprachkenntnisse und Arbeitsmarktintegration mit der Zeit zunehmen. Aber wir beobachten, dass sich die Integration von Geflüchteten heute etwas schneller entwickelt als in der Vergangenheit, etwa nach den Jugoslawienkriegen. Und das, obwohl sehr viel mehr Menschen in kurzer Zeit gekommen sind und im Durchschnitt schlechtere Voraussetzungen hatten, etwa was Sprachkenntnisse und die Vorbildung betrifft.
tagesschau.de: Woran liegt das?
Brücker: Zum einen ist die Arbeitsmarktlage in Deutschland sehr viel günstiger als damals. Das gilt nicht nur allgemein, auch im Bereich der Helfertätigkeiten wächst die Beschäftigung gegenwärtig rund doppelt so stark wie insgesamt. Zum anderen tun wir heute viel mehr: Es gibt sehr viel mehr Integrationsmaßnahmen, angefangen von Integrationskursen über Sprachkurse bis hin zu einem breiten Engagement Ehrenamtlicher. Das hilft.
"Bei Integrationskursen Luft nach oben"
tagesschau.de: Wo sehen Sie noch Defizite beim Spracherwerb?
Brücker: Wir sind immer noch bei nur 50 Prozent der Geflüchteten, die den Integrationskurs begonnen oder abgeschlossen haben. Das heißt, es gibt noch erheblich Luft nach oben. Das gilt natürlich auch für andere Bereiche, wie die Arbeitsmarktpolitik.
tagesschau.de: Wo sehen Sie insgesamt den größten Nachholbedarf?
Brücker: Im Bildungssystem. Zum Zeitpunkt der Befragung waren etwa ein Zehntel der Menschen entweder an Schulen, in der beruflichen Ausbildung oder haben studiert. Das ist ein relativ geringer Anteil. Vor allem, weil sehr viele der Geflüchteten einen Schul- oder Hochschulabschluss oder eine berufliche Ausbildung machen wollen. Zum Teil liegt das sicher daran, dass nicht jeder die nötigen Voraussetzungen mitbringt, zum anderen fehlt es aber auch an passenden Angeboten, beispielsweise vorbereitenden Kursen.
"Frauen mit Kleinkindern benachteiligt"
tagesschau.de: Besonders Frauen mit Kindern, gerade Kleinkindern, schneiden bei Spracherwerb, dem Besuch von Schulen und Ausbildungseinrichtungen und der Arbeitsmarktintegration durchgängig relativ schlecht ab. Könnte das zu einem Problem auch für deren Kinder werden?
Brücker: Diese Frauen sind tatsächlich benachteiligt, weil sie seltener an Sprachkursen teilnehmen, weniger Bildungseinrichtungen besuchen oder seltener arbeiten. Dabei ist der Wille dafür eigentlich da. Aber es scheint hier eine Reihe von Problemen zu geben: Ihre Bildungsvoraussetzungen sind zwar nicht schlechter als die von Männern. Bei der Berufserfahrung gibt es aber ein erhebliches Gefälle. Andererseits gibt es zum Teil Probleme mit der Kinderbetreuung, und die Arbeitsteilung in den Haushalten spielt natürlich auch eine Rolle.
Für die Kinder mache ich mir etwas weniger Sorgen, aber es ist richtig, dass sich das vor allem dann nachteilig auswirkt, wenn sie nicht in Kitas und Kindergärten gehen oder nur unregelmäßig am Schulunterricht teilnehmen. Vor allem die frühkindliche Betreuung ist wichtig. Hier gibt es, wenn wir auf die Teilnehmerzahlen schauen, noch Verbesserungsbedarf. Wir beobachten aber, dass Kinder von Geflüchteten meist sehr schnell die deutsche Sprache lernen und dass ihre Mütter und Väter dann häufig von den Deutschkenntnissen der Kinder abhängig sind.
"Abgelehnte Asylbewerber arbeiten häufiger"
tagesschau.de: Geflüchtete haben häufiger psychische Erkrankungen als die einheimische Bevölkerung. Ist unser Gesundheitssystem dem gewachsen?
Brücker: Die Befragten haben in der Tat häufiger Symptome psychischer Erkrankungen, insbesondere Depressionen und Risiken posttraumatischer Belastungsstörungen. Das betrifft besonders Frauen und ältere Geflüchtete. Dort muss es entsprechende Angebote in der Versorgung geben.
Das Problem bislang war, dass während der Asylverfahren der Zugang zur Gesundheitsversorgung eingeschränkt war. Auch gab es Engpässe im Gesundheitssystem. Hier gibt es noch Handlungsbedarf.
tagesschau.de: Gab es ein Befragungsergebnis, das Sie überrascht hat?
Brücker: Überraschend fand ich, dass Geflüchtete, deren Asylanträge abgelehnt wurden, eine relativ hohe Erwerbstätigenquote haben. Die ist geringfügig höher als bei denen, deren Asylanträge erfolgreich waren. Wir erklären das dadurch, dass diejenigen mit erfolgreichen Asylanträgen vermehrt in Integrationskurse oder arbeitsmarktpolitische Maßnahmen gehen und womöglich auch länger Arbeit suchen, um dann bessere Jobs zu finden.
Ein Befund der damit zusammenhängt, ist: Diejenigen, deren Anträge abgelehnt wurden, verdienen deutlich weniger. Aber die Erwerbsmotivation dieser Gruppe ist offensichtlich sehr hoch, weil sie sich wahrscheinlich von einer Beschäftigung erhoffen, in Deutschland bleiben zu können.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.