Ein Jahr GroKo "Es fehlt das Signal: Wir wollen weitermachen"
Eigentlich ist es erstaunlich, dass diese Koalition immer noch hält, meint Gero Neugebauer im tagesschau24-Interview. Zwar sei einiges geschafft worden, doch jetzt gehe es vor allem um Profilierung.
tagesschau24: Ist es nicht eigentlich ziemlich traurig, dass es jetzt schon als Erfolg gilt, dass diese Große Koalition überhaupt ein Jahr gehalten hat?
Gero Neugebauer: Wenn man bedenkt, wie sie zustande gekommen ist - eher als Zweckgemeinschaft und gelegentlich auch nur als Bedarfsgemeinschaft - dann ist es schon erstaunlich, dass auch nach den Krisen aus dem vergangenen Jahr diese Koalition immer noch hält. Dennoch wird gleichzeitig ihr Ende vorausgesagt. Das zeigt auch einen möglichen Mangel an innerer Bereitschaft, tatsächlich durchzuhalten.
Gero Neugebauer studierte Politik- und Sozialwissenschaften. Bis 2006 unterrichtete er hauptamtlich am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Er war dort danach als Lehrbeauftragter tätig und arbeitet als politischer Publizist. Schwerpunkte seiner Forschung sind das deutsche Parteiensystem sowie Wahlen und Wahlverhalten.
"SPD muss sich erneuern, Union ihr Profil schärfen"
tagesschau24: Wo sehen Sie die größten Probleme, die jetzt als Nächstes angepackt werden müssten?
Neugebauer: Die größten Probleme liegen darin, dass die Parteien sich klar sein müssen, was sie eigentlich wollen. Die SPD hat das Ziel, sich zu erneuern, ist aber immer wieder vor das Problem gestellt: Machen wir das jetzt in der Koalition mit Koalitionspolitik oder machen wir das in der Partei? Ein gutes Beispiel dafür ist die Grundrente von Herrn Heil.
Frau Kramp-Karrenbauer (CDU) auf der anderen Seite sagt: Ich bin jetzt Vorsitzende, aber ich muss erst mal die Partei hinter mich bringen, also schärfe ich mein konservatives Profil, um der Union eine Perspektive zu bringen. Die CSU sagt: Wir haben einen neuen Vorsitzenden, aber der hat noch wenig Erfahrung in Berlin und weiß auch noch nicht genau wie seine - sagen wir mal - Gesandten in Berlin oder seine Minister in der Koalition gehorchen werden.
"SPD hat nichts, was für Neuwahlen nötig ist"
tagesschau24: Im Herbst will die Große Koalition eine Zwischenbilanz ziehen. Das hatte sich ja vor allem die SPD auserbeten. Droht spätestens dann vielleicht doch das Ende dieser Koalition?
Neugebauer: Meiner Meinung nach nein. Die SPD hat zurzeit nichts, was für Neuwahlen nötig ist - weder Geld noch ausreichende politische oder personelle Angebote. Es fehlt die Begeisterung in der Partei, aber es fehlt auch eine politische Legitimation, diese Koalition zu beenden. Was neulich gesagt wurde, Frau Merkel habe den Koalitionsvertrag unterschrieben und wenn sie nicht mehr da sei, dann gelte das nicht mehr, das ist schlicht und einfach Quatsch. Parteien schließen Koalitionsverträge. Und die Repräsentanten der Parteien unterschreiben dann eben.
Aber auch die Union hat Probleme. Ich denke nicht, dass Kramp-Karrenbauer kontra Merz inhaltlich schon wirklich ausgestanden ist. Und da steht dann die Frage im Raum: Wer wird nun eigentlich Kanzlerkandidat? Frau Kramp-Karrenbauer sicherlich, aber kriegt sie auch die ganze Partei hinter sich? Dieser Zwischenbilanz-Termin wird so ausgehen, dass man sagt: Wir haben einiges geschafft. Das hat man auch. Und: Wir haben einiges vor uns. Das werden wir auch schaffen. Aber ich könnte mir durchaus vorstellen, dass man dann sagt: Ein Jahr vor dem Ende der regulären Periode machen wir einen Wechsel, um der neuen Kanzlerkandidatin dann einen Übergang zu erlauben, der auch ein Sieg möglich macht.
"Kramp-Karrenbauer muss Teil der Merz-Anhänger gewinnen"
tagesschau24: Bisher sagt Bundeskanzlerin Merkel ja, sie zieht durch bis Ende der Legislaturperiode. Aber Sie appellieren eher, dass man das vielleicht schon ein Jahr früher erledigt?
Neugebauer: Es gibt bestimmte Bedingungen für Wahlkämpfe. Das heißt, dass ein Wahlkampf ein Jahr vor dem eigentlichen Termin schon beginnt, dadurch dass man Pläne festlegt, wer wo wie aufritt, mit welchen Inhalten und ähnliches mehr. Und dass dann die Person, die kandidieren soll, auch den Medien als Kanzlerkandidatin oder Kanzlerkandidat präsentiert wird. Und da ist in aller Regel ein Jahr eine Frist, die man einhalten kann und sollte. Und es erlaubt auch einen geordneten Übergang, der dazu führen könnte, dass das nicht als abrupter Rausschmiss für Frau Merkel gilt, sondern als gleitender Übergang, den sie noch akzeptieren kann.
tagesschau24: Kann Kramp-Karrenbauer Kanzlerin?
Neugebauer: Sie lernt es. Was sie jetzt tut, ist ja, dass sie ihr Profil deutlich macht. Dass sie mit der Art und Weise, wie sie sich gibt, den Konservativen in der CDU sagt: Ich pflege jetzt wieder jenen Teil eurer Ideologie und eurer Überzeugungen, die ihr durch Frau Merkel vernachlässigt gesehen habt. Insofern baut sie sich auf. Und sie muss ja auch sehen, dass sie einen Teil der konservativen Anhänger von Herrn Merz auf ihre Seite bekommt, um möglichst viel Unterstützung auf ihrem Weg zur Kanzlerkandidatur zu behalten.
"SPD muss sich als Alternative verkaufen"
tagesschau24: Und die SPD: Kann oder könnte sie Kanzlerin oder Kanzler?
Neugebauer: Theoretisch ja. Von diesen beiden größeren, müsste sich jede Partei das zumindest zutrauen. Aber wenn man sieht, wie die Auseinandersetzungen in der SPD laufen... Die unentschiedene Haltung gegenüber der Großen Koalition hat ja einen Konflikt in der Partei hervorgerufen, der bislang nicht beendet ist. Es gibt immer noch die Zweifel, ob denn Frau Nahles die Kanzlerkandidatin sein wird oder vielleicht doch Herr Scholz oder möglicherweise doch wieder ein Dritter. Und was bitteschön sind dann die wirklichen personellen und politischen Angebote, wenn Frau Nahles sagt: Wir sind zwei Parteien?! Dann hätte man sich auch gewünscht, dass sie deutlich macht: Und wir sind zwei Alternativen, die den Wählerinnen und Wählern als Angebot zur Verfügung stehen.
Das ist, glaube ich, immer noch nicht bei der SPD angekommen, dass es ein großer Fehler gewesen ist, sich in den Koalitionen so zu verhalten, als sei man eben keine Alternative. Das lernt sie langsam und das bringt weitere Konflikte mit sich. Wählerinnen und Wähler schätzen eher Harmonie als Profilneurose oder gar Konfliktbereitschaft. Aber man muss da durch, sonst wird man nicht erkennbar.
Das Interview führte André Schünke, tagesschau24.