Grünen-Fraktionschef Hofreiter im Gespräch "Wir sind der Gegenpol der AfD"
Alle Parteien haben Stimmen an die AfD verloren, auch die Grünen. Im Interview mit tagesschau.de erklärt Grünen-Fraktionschef Hofreiter, wie er diese Wähler wieder erreichen will. Für die Koalitionsfrage nach der Bundestagswahl hat Hofreiter eine klare Präferenz.
tagesschau.de: Die Grünen regieren in den Bundesländern in nahezu allen Partei-Konstellationen mit und wollen erstmals ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf gehen. Sind die Grünen inzwischen beliebig?
Anton Hofreiter: Nein. Wir entscheiden immer anhand unserer Inhalte, ob es passt oder nicht. In Sachsen beispielsweise haben wir gesagt: Es geht nicht. Unser Wahlziel für 2017 ist ein Politikwechsel und die Ablösung der Großen Koalition. Damit wir endlich aus der Kohle aussteigen und unsere Industrie und Landwirtschaft ökologisch umbauen. Ich will nicht, dass Deutschland nur noch von Großen Koalitionen reagiert wird. Demokratie braucht Alternativen. Und die müssen vorbereitet werden, damit sie realistisch werden. In diesen schwierigen Zeiten gehe ich davon aus, dass keine Partei 2017 eine Koalitionsaussage treffen kann.
"Am liebsten Grün-Rot"
tagesschau.de: Welches Bündnis wäre Ihnen am liebsten?
Hofreiter: Mir persönlich wäre am liebsten Grün-Rot. Mit der SPD haben wir die meisten Gemeinsamkeiten. Ich bin aber realistisch, dass es dazu 2017 wohl nicht reichen wird. Wenn man sich dann anschaut, wie Teile der Linkspartei sich zur Europäischen Union verhalten oder in der Außenpolitik verhalten, dann wird das nicht einfach. Noch schwieriger verhält sich gerade die CSU. Wer Ressentiments schürt, in Teilen rassistische Sprüche klopft, um am rechten Rand zu fischen, und die Spaltung unserer Gesellschaft befeuert, will 2017 in eine völlig andere Richtung als wir Grüne. Jeder, der mit uns regieren will, wird sich bewegen müssen. Wir jedenfalls werden uns auf unsere eigenen Positionen fokussieren. Wenn man genau weiß, wo man steht, dann kann man auch mit einer Partei, die deutlich woanders steht, Gespräche führen. Entscheidend ist am Ende, ob ein echter Politikwechsel möglich ist.
tagesschau.de: Wenn Sie sich als jemand, der für die Parteilinke stehen will, schon mit der Möglichkeit Schwarz-Grün anfreunden, bevor überhaupt gewählt wurde, und mit Kanzleramtschef Peter Altmaier zusammen ein Buch vorstellen - wie links ist das noch?
Hofreiter: Das ist in erster Linie verantwortlich! Sich vorzubereiten, heißt ja noch lange nicht anfreunden. Auch mein Gespräch mit Peter Altmaier hat ja Differenzen aufgezeigt. Sowohl Schwarz-Schwarz-Grün als auch Rot-Rot-Grün kann nur funktionieren, wenn die Partei in ihrer Breite alle Optionen vorbereitet und ernst nimmt. Das erwarte ich auch von allen. Eigenständigkeit darf da keine Chiffre für Schwarz-Schwarz-Grün sein. Man darf nicht in vorauseilendem Gehorsam Positionen räumen. Weder in die eine noch in die andere Richtung. Es muss klar sein: Wir sind und bleiben eine Partei der linken Mitte. Da warne ich vor einer Rechtsverschiebung.
tagesschau.de: Der Eindruck nach außen ist aber, dass sich die Grünen nicht einig sind, wo sie stehen.
Hofreiter: In der Fraktion zeigen wir sehr deutlich, wo wir stehen. Da haben wir klare Beschlüsse und gute Konzepte. Wir stehen an der Seite der Geflüchteten und ihrer Helfer. Wir sagen klar Nein zu TTIP und CETA. Und wir wollen für mehr Gerechtigkeit sorgen mit der Bürgerversicherung, der Beendigung des Missbrauchs von Werkverträgen und Leiharbeit oder mit unserem sozialen Programm für bezahlbares Wohnen. Und ich werbe dafür, dass der gute Kompromiss, den wir im Fraktionsvorstand zur Vermögenssteuer gefunden haben, und der von bedeutenden Grünen aus den Bundesländern unterstützt wird, möglichst breit getragen wird.
Mehr Steuern für Superreiche?
tagesschau.de: Warum ist Ihnen die Vermögenssteuer so wichtig?
Hofreiter: Die Vermögenssteuer ist ein Baustein auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit. Die Leute ärgern sich zu recht darüber, dass ein paar besonders Reiche immer reicher werden und sich sonst aber aus der Verantwortung stehlen. Das erfahre ich immer wieder im Wahlkampf. Für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist es wichtig, dass die Menschen das Gefühl haben, dass auch die großen transnationalen Konzerne Steuern zahlen und die Superreichen mehr leisten. Das ist für den Zusammenhalt bedeutend.
tagesschau.de: Wie bewerten Sie derzeit die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung?
Hofreiter: Die Politik der Bundesregierung ist sehr widersprüchlich. Frau Merkel hat sich zu Recht geweigert, ihre zentralen Aussagen zurückzunehmen und die Obergrenze zuzulassen. Auf der anderen Seite hat sie einen Deal mit der Türkei mitgeschlossen, der uns jetzt auf die Füße fällt. Denn jetzt wird deutlich sichtbar, wie sich Erdogan immer weiter Richtung Diktatur entwickelt. Die Bundesregierung war die vergangenen Monate mehr oder weniger stumm zu den dramatischen Entwicklungen in der Türkei, weil sie sich erpressbar fühlte oder auch erpressbar war. Erdogan hat immer wieder gedroht, wenn ihr nicht schön den Mund haltet, schicke ich euch wieder mehr Flüchtlinge.
tagesschau.de: Das heißt, Merkel ist im Moment keine gute Kanzlerin?
Hofreiter: Sie ist keine gute Kanzlerin, wenn man sich den Klimaschutz anschaut. Sie ist keine gute Kanzlerin, wenn man sich den Deal mit der Türkei anschaut und das lange Schweigen bei den Untaten von Erdogan.
tagesschau.de: Die Grünen haben in der Bundesversammlung bei der Wahl des nächsten Bundespräsidenten einige Stimmen zu vergeben. Wäre das jetzt nicht eine Chance, eigene Akzente zu setzen?
Hofreiter: Das tun wir in den Gesprächen mit den anderen Parteien. Und dann schauen wir mal, zu welchem Ergebnis wir kommen. Klar ist: Wir brauchen eine Person, die durchs Wort wirken und die die Gesellschaft zusammenhalten kann. Sollte es keinen gemeinsam getragenen Vorschlag geben, kann ich mir auch vorstellen, dass wir eine eigene Kandidatin oder einen eigenen Kandidaten aufstellen. Das entscheiden wir aber, wenn es soweit ist.
"Steinmeier wäre respektabler Kandidat"
tagesschau.de: Sigmar Gabriel hat ja schon den Vorstoß mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier gemacht. Würden die Grünen Steinmeier in der Bundesversammlung wählen?
Hofreiter: Steinmeier ist ein guter Außenminister. Er wäre ein respektabler Kandidat. Jetzt warten wir mal ab.
tagesschau.de: Bei allen Landtagswahlen in diesem Jahr haben auch die Grünen Wähler an die AfD verloren. Mit welcher Strategie wollen Sie der AfD und anderen Rechtspopulisten entgegentreten?
Hofreiter: Wir haben da nicht so viele Wähler verloren, wie die anderen Parteien. Aber klar: Wir sind der Gegenpol der AfD. Für mich ist klar: Die Alternativen zwischen den demokratischen Parteien müssen sichtbar sein. Es muss einen Unterschied machen, ob ich Grüne oder Linke wähle, ob ich SPD oder CDU wähle. Und man muss differenzieren zwischen der AfD und ihren Wählern. Nicht alle werden die anderen Parteien zurückgewinnen können, aber einen Teil bestimmt. Es gibt die harten Rechtsextremen, da brauchen wir ausreichend Präventionsmittel. An die kommt man schwer ran. Bei den anderen sehe ich Chancen.
tagesschau.de: Wie wollen Sie die erreichen?
Hofreiter: Es gibt die, die sich abgehängt fühlen, obwohl es ihnen finanziell nicht schlecht geht. Warum ist das so? Diese Leute leben vielleicht in Regionen, wo kein Bus mehr hinfährt, das Schwimmbad nicht mehr auf hat und ein Supermarkt nach dem anderen dicht macht oder sie haben Angst vor Fremden, weil sie bislang keinen Kontakt hatten. Solche Leute kann man wieder erreichen, mit einer besseren Infrastruktur, mit funktionierenden Kommunen und einer besser erklärten Politik. Dann haben wir die, die echt sozial abgehängt sind. Die AfD wurde bislang oft stärkste Kraft bei Arbeitslosen, obwohl die AfD in ihrem Programm überhaupt nichts für diese Menschen macht. Da müssen wir deutlich machen, wer und was ihnen tatsächlich hilft: Wer sorgt für bezahlbares Wohnen, mehr Sicherheit im Job, eine bessere Absicherung im Alter?
tagesschau.de: Ein Blick in die Zukunft: Wo stehen die Grünen in einem Jahr?
Hofreiter: Ein Jahr weiter von jetzt an? Dann haben wir erfolgreiche Koalitionsverhandlungen geführt und sorgen für einen echten Politikwechsel.
tagesschau.de: Mit wem? Und welche Rolle spielen Sie dabei ?
Hofreiter: Mit wem entscheidet der Wähler. Und die Posten werden ganz zum Schluss besetzt.
Das Interview führte Barbara Schmickler, tagesschau.de.