Ein Ingenieur zeigt einen experimentellen Impfstoff gegen das COVID-19-Coronavirus, der im Qualitätskontrolllabor der Sinovac Biotech-Einrichtung in Peking getestet wurde.
interview

Corona-Impfstoff "Alle wollen schnell sein"

Stand: 05.05.2020 18:11 Uhr

Wann kommt der Corona-Impfstoff und von wem? Das könne noch niemand sagen - aber die weltweite Kooperation funktioniere, sagt der Chef des Paul-Ehrlich-Instituts, Cichutek. Zu großen Zeitdruck dürfe es jedoch nicht geben.

tagesschau.de: Wo stehen wir gerade bei der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus?

Klaus Cichutek: Weltweit laufen aktuell acht klinische Prüfungen. Davon finden zwei in den USA, vier in China, eine in Großbritannien und eine in Deutschland statt. Insgesamt gibt es derzeit ungefähr 95 Impfstoff-Projekte weltweit, die sich noch im vorklinischen Stadium befinden. Wir erwarten in Deutschland vier klinische Prüfungen im Laufe des Jahres inklusive der jetzt genehmigten. Wir müssen darauf achten, dass in diesen Phase-1-Prüfungen keine Unverträglichkeiten auftreten und hoffen, dass sich eine ungefähre Dosis-Idee entwickelt.  

Klaus Cichutek , Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts lobt die gute Zusammenarbeit auch mit den US-Behörden. "Wir müssen es schaffen, mehrere Impfstoffe in die Zulassung zu bekommen."

Klaus Cichutek ist Biochemiker und seit 2009 Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts. Ein Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel. Das Institut leistet einen wesentlichen Beitrag zur Verfügbarkeit und Sicherheit von wirksamen biomedizinischen Arzneimitteln wie etwa Impfstoffen.

tagesschau.de: Sind Sie denn optimistisch, dass wir noch in diesem Jahr einen Impfstoff gegen das Virus bekommen werden?

Cichutek: Ich halte mich da an die Vorhersage der WHO. Die geht davon aus, dass es etwa 15 bis 18 Monate dauern wird. Wenn die Ergebnisse der Phase 1 sehr gut sind, können wir im Herbst oder zum Jahresende mit fortgeschrittenen klinischen Prüfungen, also Phase 2 bis 3, beginnen. Vielleicht auch schon etwas früher.

Ich weiß, dass die Hersteller auch in Deutschland sich jetzt schon darum bemühen, ihre Herstellungskapazitäten zu erweitern. Die Entwicklung hat auch vom Paul-Ehrlich-Institut mit die höchste Priorität. Ich kann auch sagen, dass es im Moment ein gutes Zusammenspiel gibt aus der Industrie und Wissenschaft, Politik und auch Regulatoren wie unserem Institut.

"Es gibt letztlich keine Hürden"

tagesschau.de: Wo liegen eigentlich die größten Hürden bei der Entwicklung?

Cichutek: Es gibt da letztlich keine Hürden. Vielmehr braucht die eigentliche Entwicklung ihre Zeit. Das heißt, es ist wichtig, eine genaue Dosierung zu finden und es muss sicher sein, dass der Impfstoff ausreichend immonogen ist, also der Wirkstoff wirklich eine spezifische Immunantwort gegen das Sars-Cov2-Virus hervorruft. Wir müssen aus den größeren klinischen Studien unbedingt Daten zur Wirksamkeit erhalten - und es ist wichtig, die theoretischen Risiken sowohl am Tier zu untersuchen, als auch am Menschen.   

tagesschau.de: Mit Blick auf die heute stattfindende Geberkonferenz sind denn finanzielle Grenzen bei der Impfstoff-Entwicklung zu erkennen?

Cichutek: Über genaue Zahlen, was eine Impfstoff-Entwicklung kostet, kann ich nichts sagen. Aber es ist essenziell, mehrere Impfstoffe parallel zulassen zu können. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Wenn die Pandemie anhält, ist es nötig, dass mehrere Impfstoff-Hersteller größere Mengen produzieren können.

Dazu gibt es natürlich ein gewisses Risiko, das die Hersteller tragen, falls diese Mengen doch nicht benötigt werden. Dieses Risiko wäre auch etwas, dass durch die Bereitstellung finanzieller Mittel abgemildert werden könnte. Das fördert natürlich auch eine schnellere Entwicklung.

tagesschau.de: Wie wichtig ist ein transnationales bzw. auch transatlantisches Teamwork?

Cichutek: Es ist hilfreich und passiert auch jetzt schon. Es ist eine globale Anstrengung. Alle sind von dem Gedanken beseelt, den Impfstoff für die Welt bereit zu stellen. Es bilden sich verschiedene Konsortien zwischen den einzelnen Playern und auch einzelnen Staaten. Nicht jeder arbeitet natürlich mit jedem zusammen, aber man versucht schon die Vorteile miteinander auszutauschen.

Auch auf der regulatorischen Ebene gibt es ein gutes Netzwerk. Das Paul-Ehrlich-Institut trifft sich alle zwei Wochen virtuell mit den global agierenden Arzneimittelbehörden. Wir haben gute Kontakte zur amerikanischen Zulassungsbehörde, der FDA, aber auch mit Großbritannien, Europa und auch mit den chinesischen Kollegen. Das sind sehr gute globale Entwicklungen.

Lob für die US-Behörden

tagesschau.de: Das heißt, auch die Amerikaner sind kooperativ? Bei der heutigen Konferenz sind sie ja nicht dabei.

Cichutek: In den regulatorischen Netzwerken arbeiten die amerikanischen Behörden sehr gut mit. Das heißt nicht, dass es hier überhaupt keinen Wettbewerb gibt. Alle wollen schnell sein, damit das soziale und wirtschaftliche Leben wieder hergestellt werden kann. Das ist die Erwartung an den Impfstoff.

Ich warne aber immer vor einer zu starken Beschleunigung des Verfahrens für den Impfstoff, bei der Genehmigung klinischer Prüfungen und später der Zulassung. Wir müssen Sorgfalt walten lassen, damit der Impfstoff verträglich und wirksam ist, werden also keine Schnellschüsse riskieren. Die Zusammenarbeit und die Verteilung nach erfolgter Zulassung muss natürlich geregelt werden, da werden auch nationale Interesse zu berücksichtigen sein.

tagesschau.de: Steht das denn zu befürchten, dass nötige Zulassungsprozesse zu sehr verkürzt werden?

Cichutek: Im Gegensatz zum allgemeinen Glauben sind die regulatorischen Prozesse wirklich flexibel. Unser Institut ist zum Glück auch auf die Impfstoff-Zulassung spezialisiert und kann auf ein gutes internationales Netzwerk zurückgreifen. Das gibt uns die Möglichkeit, flexibel an die einzelnen Schritte bei Genehmigungs- und später auch Zulassungsverfahren zu gehen. Was unveränderbar ist, das sind die Entwicklungsprozesse. In den klinischen und auch den vorklinischen Untersuchungen wurde bei aller notwendigen Sorgfalt schon viel getan, um zu beschleunigen.

Aber es braucht eben eine gewisse Zeit. Die Probanden müssen geimpft werden, man muss dann eine Immunreaktion abwarten und mögliche Unverträglichkeiten prüfen, das dauert zwei bis drei Monate - in der jeder Phase. Die Probanden müssen genau untersucht und die Ergebnisse sorgfältig bewertet werden. Auch das braucht Zeit. Diese Punkte lassen sich einfach nicht beschleunigen.

"Bessere Bedingungen als beim Ebola-Impfstoff"

tagesschau.de: Gibt es eigentlich ein gutes Beispiel, wie so eine Entwicklung gemeinsam gelingen kann?

Cichutek: Ja, bei der Entwicklung des Ebola-Impfstoffes gab es auch eine sehr gute Zusammenarbeit. Hier hat es nur vier bis fünf Jahre bis zur Zulassung gedauert.

tagesschau.de: Das klingt aber nicht so besonders schnell …

Cichutek: Das stimmt, aber da gab es keine Vorarbeiten oder -erfahrungen. Und der Unterschied zu heute ist: Wir hatten bei dem Ebola-Impfstoff eine fokussierte Epidemie in West-Afrika. Hier hat auch das Zusammenstellen der Daten am Ende noch etwas mehr Zeit gekostet. Ich wage aber jetzt zu sagen, dass wir dieses Mal bei den Prozessen noch schneller sein werden. Wir beraten die Entwickler und Unternehmen auch häufiger, als das damals der Fall war.

Das Gespräch führte Iris Marx, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 04. Mai 2020 um 20:00 Uhr.