Neuer Anlauf für Deutsche Islamkonferenz "Junge Muslime werden nicht gehört"
Bei der Neuauflage der Islamkonferenz sollen die Themen Terrorprävention und Integrationspolitik ausgeklammert werden. Stattdessen geht es um Wohlfahrt und Seelsorge. Ein guter Anfang, findet die junge Muslimin Esra Küçük. Im Gespräch mit tagesschau.de kritisiert sie allerdings, dass die jungen Muslime völlig außen vor bleiben.
tagesschau.de: Zuletzt war die Deutsche Islamkonferenz (DIK) festgefahren und zerstritten, jetzt hat Innenminister Thomas de Maizière den Fahrplan für einen Neustart vorgelegt. Wird mit der "neuen Islamkonferenz" alles besser?
Esra Küçük: Erstmal ist positiv, dass die DIK in die dritte Runde geht. Denn trotz aller Kritik, kann es nicht darum gehen, die DIK abzuschaffen, sondern darum, die Schwerpunkte anders zu setzen. Ich finde gut, dass Herr de Maiziere die Themen jetzt mit den Verbandsvertretern gemeinsam festlegt. Damit reagiert er auf die Kritik, dass die Themen vorher einseitig vom Ministerium bestimmt wurden und der Schwerpunkt zu stark auf Sicherheits- und Integrationsfragen lag. Muslimische Vertreter mussten sich formell sich zum Grundgesetz bekennen oder sich gegen Islamismus und häusliche Gewalt aussprechen.
tagesschau.de: Der Schwerpunkt beim Neustart der DIK soll auf den Themen Seelsorge und Wohlfahrtspflege liegen. Sind die Themen richtig gewählt?
Küçük: Diese beiden Bereiche betreffen zumindest sehr viele Muslime. Es fehlen die staatlichen Regularien für die Gründung eines muslimischen Wohlfahrtsverbands, wie es das mit Caritas und Diakonie auf christlicher Seite gibt. Wenn das künftig möglich wird, hätten wir schon sehr viel erreicht. Denn daraus würden ja dann auch Arbeitsplätze und Ausbildungswege entstehen. Und dieser Bereich umfasst ja die Begleitung in vielen Lebenslagen von der Geburt bis zur Beerdigung. Auch die Institutionalisierung von muslimischer Seelsorge bei Bundeswehr und Bundespolizei, in Krankenhäusern oder Haftanstalten ist keine Kleinigkeit.
Und ich finde es sehr gut und richtig, diese Themen bei der DIK zu verhandeln. Denn sie gehören zum genuinen Aufgabenbereich der Verbände. Die Junge Islam Konferenz hat dem Innenminister genau das empfohlen, nämlich die Themen Sicherheit und Integration aus der DIK rauszunehmen. Die Verbände sind dafür gar nicht die richtigen Ansprechpartner, sie sind ja keine Integrationsbeauftragten.
"Islamkonferenz falscher Ort für Integrationsdebatten"
tagesschau.de: Aber ist es nicht falsch, wenn diese Themen unter den Tisch fallen?
Küçük: Unter den Tisch fallen sollen sie ja nicht. Die DIK ist nur der falsche Ort dafür. Wir wünschen uns eine Enquetekommission "Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe", die Integrationsthemen behandelt. Damit wären diese Themen direkt beim Deutschen Bundestag angegliedert, und somit nicht mehr auf die Minderheit der Muslime gemünzt, sondern auf die Gesamtgesellschaft.
tagesschau.de: Was erhoffen Sie sich davon?
Küçük: Wir sehen gerade im Zuge der Europawahlen ganz viele Ängste, die sich rechtspopulistische Parteien zunutze machen. Das sind Vorbehalte gegenüber Muslimen, aber auch die Angst, Fremder im eigenen Land zu werden. Viele sind verunsichert, weil Eindeutigkeiten verschwinden: 'Bist du türkisch oder deutsch?'
In einer solchen Enquetekommission könnten Vorschläge erarbeitet werden, wie man den Ängsten begegnen kann und eine Art Leitbild oder Haltung entwickeln, wie wir positiv mit der Vielfalt umgehen können, so dass es den Zusammenhalt stärkt. Wir müssen weg von der Problem-Islamkonferenz und weg von diesem schwerfälligen und verkrampften Integrationsdiskurs.
"Nicht der große Wurf bei der rechtlichen Gleichstellung"
tagesschau.de: Ein Ziel der DIK war es, die religionsrechtliche Gleichstellung der Muslime in Deutschland voranzubringen. Dieses Ziel kommt bei der jetzigen Schwerpunktsetzung nicht mehr vor. Ein Versäumnis?
Küçük: Was mit Seelsorge und Wohlfahrtspflege jetzt angepackt werden soll, ist ja ein Schritt auf diesem Weg. Immerhin geht es hier um eine rechtliche Gleichstellung mit anderen Religionsgemeinschaften, wie den Kirchen in diesen beiden Bereichen. Aber klar ist auch, der ganz große Wurf wird jetzt nicht angepackt. Und das heißt, dass wir am Ende dieser Legislaturperiode, nach elf Jahren Deutsche Islamkonferenz, immer noch nicht von einer endgültigen rechtlichen Gleichstellung der Muslime in Deutschland sprechen können.
tagesschau.de: Welches Thema treibt die Teilnehmer der Jungen Islamkonferenz am meisten um?
Küçük: Das Thema Diskriminierung. In jeder Stufe des Lebens, in Kindergarten, Schule, Vereinsarbeit, sogar beim Arztbesuch bekommen Menschen mit muslimisch geprägter Migrationsgeschichte ihre Herkunft immer wieder als Defizit vorgehalten. Wir fragen uns, wie wir es schaffen können, die Herkunft in etwas Positives zu überführen. So dass wir dahin kommen zu denken, Deutsch plus etwas anderes ist mehr statt weniger.
"Die Stimme der jungen Muslime wird nicht gehört"
tagesschau.de: Was wünschen Sie sich von der neuen DIK?
Küçük: Das Thema "muslimisches Leben in Deutschland" wurde bei der Zielsetzung für die neue DIK am Rande genannt. Dazu haben junge Muslime viele offene Fragen und vieles beizutragen. Aber die Stimme der jungen Muslime wird hier überhaupt nicht gehört. Denn wer bei der DIK verhandelt, sind ausschließlich Vertreter der größeren muslimischen Verbände. Dabei wissen wir, dass nur ein kleiner Teil der Muslime in Deutschland in Verbänden organisiert ist.
Von den vier Millionen Muslimen, die in Deutschland leben, ist etwa die Hälfte unter 25 Jahren. Das ist die kommende Generation, die hier aufgewachsen ist und zu Recht sagt, wir wollen hier mitgestalten. Eine Generation, die von den Eltern oft gehört hat: 'Fallt nicht auf, seid nicht so laut.' Und gerade deshalb melden sie sich jetzt immer mehr zu Wort und wollen mitreden dürfen.
tagesschau.de: Hat sich durch die DIK bereits etwas zum Positiven verändert?
Küçük: Die DIK hat natürlich nicht alles erreicht, was man sich gewünscht hatte. Trotzdem gab es positive Impulse, zum Beispiel die Einführung des islamischen Religionsunterrichts in einigen Bundesländern und die Etablierung islamischer Theologie an den Universitäten.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de